■ Der Friedensprozeß in Nordirland ist vorerst am Ende. Die Protestanten boykottieren die Regierungsbildung. Gescheitert ist der Friedensplan für die ewige Krisenregion, weil sich die Konfliktparteien über den Zeitplan der IRA-Entwaffnung nicht einigen konnten.: Ein Sieg der Starrköpfigkeit
Gestern wollten sie eine Regionalregierung für Nordirland bilden, übermorgen sollte sie ihr Amt antreten. Doch die protestantische Ulster Unionist Party (UUP), die größte nordirische Partei, war zur entscheidenden Sitzung des Belfaster Parlaments gestern gar nicht erst erschienen. Seamus Mallon, der katholische Sozialdemokrat und designierte Vizepremier, trat aus Protest von seinem noch gar nicht angetretenen Amt zurück. Unionistenchef David Trimble, der am Sonntag Premierminister werden sollte, ist durch Mallons Rücktritt automatisch sein Amt los.
Ohne Unionisten gibt es keine Mehrparteienregierung und ohne diese Regierung kein Parlament. Damit ist das Belfaster Karfreitag-Abkommen vom vorigen Jahr nur noch Makulatur, der Friedensprozeß wird bis September „geparkt“, wie der britische Premierminister Tony Blair es nannte.
Blair hatte den nordirischen Parteien vor zwei Wochen eine „endgültige Frist“ bis gestern gesetzt, um ihre Differenzen auszuräumen – es war bereits die vierte „endgültige Frist“ in diesem Jahr.
Alles war an der Forderung der Unionisten gescheitert, daß die Irisch-Republikanische Armee (IRA) abrüsten müsse, bevor ihr politischer Flügel Sinn Féin die beiden Ministerposten erhalten könne, die ihr aufgrund des Wahlergebnisses vom Juni 1998 zustehen. Sinn Féin argumentierte, daß dies im Belfaster Abkommen gar nicht vorgesehen sei.
Dann hatte Blair vor vierzehn Tagen einen „erderschütternden Meinungsumschwung“ ausgemacht: Sinn Féin habe am Ende der Marathonverhandlungen im Belfaster Schloß Stormont erstmals „die Verpflichtung zur Abrüstung“ anerkannt, jubelte der Premierminister. Wenige Minuten später trat Trimble mit Begräbnismiene vor die Kameras. Die Versicherungen von Sinn Féin reichten nicht aus, ohne Herausgabe der Waffen sei nichts zu machen.
Blair und sein irischer Amtskollege Bertie Ahern zogen noch einmal einen Trumpf aus dem Ärmel: Ihr Plan sah vor, die nordirische Regierung wie vorgesehen zu bilden, zuvor jedoch Gesetze zu verabschieden, die den Beginn der IRA-Abrüstung binnen weniger Tage vorschrieben. Am Dienstag jagte die britische Regierung das Gesetz durchs Unterhaus, einen Tag später wurde es dem Oberhaus vorgelegt. Blair lehnte am Morgen jede Veränderung des Gesetzes ab, zwölf Stunden später hatte er seine Meinung geändert. Mehreren Erweiterungsanträgen der Unionisten wurde stattgegeben: Die Kontrolle der Entwaffnung der IRA sollte verschärft werden, Blair deutete sogar an, daß Sinn Féin aus der Regierung ausgeschlossen werden könnte. Die Zugeständnisse schienen Erfolg zu haben, Trimble sprach von einer „positiven Entwicklung“.
Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams sah das erwartungsgemäß anders. Er begann seine Pressekonferenz wie üblich im irischen Gälisch, doch auch ohne Irischkenntnisse konnten die Journalisten seinem Gesicht ablesen, daß „fearg“ Wut bedeutet. Adams sagte, das nordirische Regionalparlament müsse sofort aufgelöst werden, wenn die Unionisten eine Regierungsbildung verhinderten. Blair versuche, die Abrüstung erneut zur Vorbedingung für die Regierungsbildung zu machen, statt sie als „freiwillige Verpflichtung“ – auf diesen paradoxen Begriff hatte man sich vor zwei Wochen geeinigt – zu betrachten. Seine Partei wolle gegen die Erweiterung der Gesetzesanträge vor Gericht ziehen, fügte Adams hinzu.
Das erübrigte sich kurz darauf. Nach einer Sitzung des 110köpfigen UUP-Parteiausschusses, die nur eine Viertelstunde dauerte, sagte Trimble lapidar: „Die Meinung der Partei ist unverändert. Ich habe weder um einen Kurswechsel ersucht, noch werde ich das in Zukunft tun.“
Die britische Nordirland-Ministerin Marjorie Mowlam bestand dennoch darauf, gestern eine Sitzung des Belfaster Parlaments einzuberufen. So nahm die Farce ihren Lauf. Parlamentspräsident Lord Alderdice von der kleinen Alliance Party eröffnete die Sitzung und bat die Parteien, ihre Minister zu benennen. Als die Reihe an der UUP war, sprach Alderdice mit den 28 leeren Stühlen und forderte sie auf, binnen fünf Minuten mit der Nominierung zu beginnen.
Sinn Féin suchte sich für Martin McGuinness, den Chefunterhändler bei der Entwaffnungskommission, das Landwirtschaftsministerium aus, aber er bekleidete den Posten nur wenige Sekunden lang. Mowlam hatte in letzter Minute angeordnet, daß sämtliche Minister ihres Amtes enthoben wurden, kaum daß sie ernannt waren, weil durch das Fernbleiben der Unionisten die Balance der Macht nicht mehr gegeben sei. Dann trat Seamus Mallon von seinem Amt als Vizepremier zurück, weil es diesen Posten ohnehin nicht mehr gab. Ralf Sotscheck
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