: Der Feind, der bessere Fick
Er erzählt ihr, was sie empfindet: Thomas Ostermeier inszeniert Marc Ravenhills One-Night-Stand „Das Produkt“ an der Berliner Schaubühne. Ein Spiel um Sex und Gewalt. Viel Metaebene – und ein Ausweichen vor der Realität?
Das Beste an diesem Film ist, dass er wohl nie gedreht werden wird. Ein Mann erzählt einer Frau ein Drehbuch, und mit jedem seiner Worte besetzt er ihren Körper, ihre Sinne und versucht sie hinüberzuziehen in seine Fantasie. Er ist Filmproduzent und sie die Schauspielerin, die all das empfinden soll, was er mit größtmöglichen Pathos ausmalt. Sein Monolog ist eine One-Man-Show, die mehr und mehr zu einem sprachlichen One-Night-Stand wird in Marc Ravenhills kurzem Stück „Das Produkt“. In England stand Ravenhill mit dem Stück selbst auf der Bühne. In Berlin richtete Thomas Ostermeier die deutsche Erstaufführung, die sich vom Gestus des Originals nicht weit entfernt, an der Schaubühne ein.
Mit Ravenhills erstem Stück „Shoppen & Ficken“ hatte Ostermeier als junger Regisseur 1998 einen großen Erfolg. Die damals junge britische Dramatik versprach zu einem Label zu werden, dessen Sprache einen neuen Zugriff auf die Wirklichkeit möglich machte. Unter anderem gelang ihr das, indem sie die Themen Sex und Gewalt als Vehikel nutzte, um die Schale zu durchstoßen, die Theatergewohnheiten um die Empfänglichkeit des Zuschauers gelegt hatten. Acht Jahre später ist von diesem Griff nach der Wirklichkeit nicht mehr viel geblieben. „Das Produkt“ ist eine Satire über Trash, B-Movies und Hollywood, mit viel Comedy-Qualitäten und bösem Witz, in der Sex und Gewalt vor allem in ihrer Warenförmigkeit ausgestellt werden. Ein schönes doppelbödiges Spiel, vom Ehrgeiz angestachelt, jedes noch so ausgelutschte Klischee noch einmal mit einer genretypischen Wendung zu toppen. Allein Wirklichkeit wird hier kaum noch verhandelt, es sei denn, man versteht die Frage „Wozu brauchen wir eine Unterhaltungsindustrie?“ als brennend.
Zu unterhalten und mit mehr Spannung zu fesseln als die Actionfilme, die imitiert werden, vermag „Das Produkt“ aber durchaus. Jörg Hartmann spielt die Rolle des Filmproduzenten mit großer körperlichen Zurückhaltung, ja fast Verklemmtheit, die deshalb die Zudringlichkeit der Sprache umso härter aufscheinen lässt. Der Film, den er erzählt, „Mohammed and me“, ist eine wüste Kolportage: die Liebesgeschichte zwischen Amy, Managerin von Callcentern, und ihrem „dunkelhäutiger“ Lover, der einer Bande fundamentalistischer Verschwörer angehört. Bravourös schildert Hartmann, wie eines Tages „Ossama“ in Amys Wohnung erscheint, Jesus nicht unähnlich. Ravenhills Text schmiegt sich wunderbar an die kleinen Tricks der filmischen Dramaturgie und erzählt genau, wo mit Close-ups, mit Schnitten in die Bewegung, mit Pausen, Musik und Slow Motion die Emotion getriggert, gedehnt, massiert und verzögert wird.
Nun ist diese Analyse der Strategien, wie man dramaturgisch zum Höhepunkt kommt, aufgebaut auf einem ständig politisch unkorrekten Spiel mit rassistischen und sexistischen Klischees, sodass die Freude am Witz mit einem permanent schlechten Gewissen bestraft wird. In einem Text, den die Schaubühne der Pressemappe angeheftet hat, erinnert sich Marc Ravenhill unter der Überschrift „Ich glaube, wir brauchen Feinde“ an die Comics seiner Jugend 30 Jahre nach Kriegsende: „Die Briten waren starke, wagemutige Menschen. Die Deutschen waren grausame Kampfmaschinen. Wenn aber jemand eine erotische Ausstrahlung hatte, dann waren es die Deutschen: Sie hatten Narben auf ihren Wangen, trugen Lederhandschuhe, hohe Stiefel. Die Briten waren deine Freunde, die Deutschen der bessere Fick.“ Und in der Welt der Pulp Fiction könnten nun fundamentalistische Terroristen an ihre Stelle treten.
In dieser Konstellation wirkt irgendetwas verrutscht. Einerseits ist in Ravenhills Text eindeutig der Filmproduzent der Wahnsinnige, der Sex- und Gewaltfixierte, der die fiktive Figur Mohammeds als erlebnissteigernde Droge benutzt. Andererseits wirkt dieses allein ironisierte Spiel mit den Klischees auch wie ein ständiges Ausweichen vor dem Verhandeln ihrer Macht in der Realität. Das ist eine große Leerstelle im Text. Und eigentlich sieht man dieses Fehlen von etwas auch die ganze Zeit auf der Bühne in der stummen Rolle der zuhörenden Schauspielerin. Ihre Figur ist nirgendwo zu Hause, auf keiner der durchgespielten Metaebenen.
KATRIN BETTINA MÜLLER