Der FUTURZWEI-Kommentar von Udo Knapp : Leistung für alle!
Drei Landes-Bildungsministerinnen leiten einen Paradigmenwechsel in der Schulpolitik ein. Sie sind von CDU, Grünen und SPD. Ist das Politik, die sich an Lösungen und nicht an Ideologien orientiert?
taz FUTURZWEI | Wahlkampfgetöse und Trump-Panik bestimmen den Diskurs in der politischen Öffentlichkeit. In dieser Stimmung des immer noch schlechter werdenden Schlechten geht verloren, dass gleichzeitig auch ernsthaftes Ringen um die Zukunft der Republik weitergeht – und das über Parteigrenzen hinweg.
Ein Beispiel: Die Bildungsministerinnen von Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein, Stefanie Hubig (SPD), Theresa Schopper (Grüne) und Karin Prien (CDU) haben sich auf Anregung der Wübben-Stiftung-Bildung auf Ziele für den Schulsektor bis 2035 geeinigt. Die Drei haben einen gemeinsamen abstimmungsfähigen Antrag für die Kultusministerkonferenz im Frühjahr 2025 vorbereitet, der dort beschlossen werden soll. Sie haben Output-orientierte Indikatoren vereinbart, an denen das Erreichen dieser Ziele, die Erfolge bzw. Misserfolge der Schüler und ihrer Schulen gemessen, überprüft und korrigiert werden sollen.
Output bedeutet, dass die messbaren Leistungen und Erfolge der Schüler in den Vordergrund rücken. Heute werden die Standards in der Regel nach unten angepasst, was den Schwachen nicht hilft, besser zu werden und die Starken daran hindert, durchzustarten. Die drei Ministerinnen gehen davon aus, dass sich insgesamt zwölf Bundesländer bereitfinden werden, mitzumachen - und die anderen sich später anschließen.
taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°31: GEMEINSINN
Gemeinsinn gilt manchen als gut gemeint, salonlinks oder nazimissbraucht. Kann und wie kann Gemeinsinn zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen?
Mit Aleida Assmann, Armin Nassehi, Barbara Bleisch, Florian Schroeder, Jagoda Marinić, Wolf Lotter, Heike-Melba Fendel, Florence Gaub, Paulina Unfried, Tim Wiegelmann und Harald Welzer.
Die Ministerinnen schreiben damit die Zielvorgabe aus dem Startchancenprogramm der Ampel aus dem Februar 2024 fort. Die Zahl der Schüler, die die Mindeststandards in Deutsch und Mathematik nicht erreichen, soll bis 2035 halbiert werden. Der soziale Gradient, der die Abhängigkeit des Schulerfolges von der sozialen Herkunft misst, soll bis 2035 um 20 Prozent sinken. Die Schulabgänge ohne Abschluss sollen bis dahin halbiert werden.
Die bisherige Fokussierung der Lehrer in der Hauptsache auf diejenigen, denen das Lernen schwerfällt, haben die drei Ministerinnen in ihrer Vereinbarung durch Zielvorgaben für die Leistungsstarken ergänzt. Bis 2035 sollen 30 Prozent mehr Schüler die Optimal-Standards in Deutsch und Mathematik erreichen. Heute sind das weniger als zehn Prozent. Nicht nur die Schwachen stärken, sondern auch dafür sorgen, dass die Starken alle ihre Kompetenzen entfalten können, das ist die Ansage.
Die Bildung der Kinder vor der Schule soll so gestärkt werden, dass sie eine Chance bekommen, die Primärstufen des Lesens, Schreibens und Rechnens zu bewältigen. Dafür sei eine kostenfreie Kindergarten-Pflicht ab drei Jahren einzuführen. Das Erreichen dieser Ziele soll anhand von bundesweit einheitlichen Vorgaben regelmäßig gemessen werden. Auf der Grundlage der so gewonnenen Daten soll dann nachgesteuert werden.
Mit diesen Vorschlägen wird ein Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik eingeleitet. Bildungsgerechtigkeit soll nicht mehr nur durch die Anforderungen mildernde Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit der schwachen Schüler, sondern mit einem stärkeren Fokus auf Leistung und Anstrengung für alle Schüler hergestellt werden.
Klingt erst mal wie das Alte: Wer es nicht mit eigener Anstrengung aus dem Unten nach Oben schafft, ist selbst daran schuld. Nur Leistung soll sich wieder lohnen? Das muss nicht zwangsläufig die Folge der Output-orientiert steuernden Erfolgskriterien sein, wenn die Rahmenbedingungen für Anstrengung und Leistung in den Schulen so gesetzt werden, dass sie für jeden Schüler passen.
Der erfolgreiche Gebrauch dieser neuen Kriterien wird davon abhängen, dass alle Bundesländer diesem Ansatz folgen. Nur mit verlässlichen Daten für die ganze Republik könnte der Bund dafür gewonnen werden, Milliarden Euro einzusetzen, um das gleichzeitige Stärken der Schwachen und das Fördern der Starken auf den Weg zu bringen.
Möglicherweise könnten die regelmäßig erhobenen Daten auch dazu beitragen, eine verfassungsfeste, gemeinsame Zuständigkeit von Bund, Ländern und Kommunen für das ganze Bildungssystem zu schaffen. Davon sind Bund, Länder und Kommunen im Augenblick aber noch weit entfernt. Für die Schule der nächsten Schülergenerationen reicht es nicht, Leistung und Anstrengung wieder in den Vordergrund zu rücken. Die Bedingungen für das Lernen müssen verbessert werden.
Dafür werden Milliarden gebraucht: Kostenlose Kindergarten-Pflicht ab drei, kleine Klassen, zwei Lehrer in jeder Klasse, individuelle Angebote für das Erreichen der Leistungsvorgaben, keiner wird zurückgelassen, aber eine Versetzung erfolgt nur, wenn die dafür notwendigen Leistungen auch wirklich erreicht worden sind.
Für das Erreichen dieser Leistungen sind aber nicht der Schüler allein, sondern auch ihre Lehrer verantwortlich. Deren Anstrengungen lohnen sich, weil öffentliche Zuschüsse für ihre Schule in Zukunft an ihren Output von erfolgreichen Abschlüssen geknüpft sind. Die Lehrer und die Schulen haben den Freiraum, ihre Pädagogik in jeder Hinsicht selbst zu gestalten. Der regulierende Einfluss der Schulämter auf die Schulen ist auf die Erfolgskontrolle, das Einhalten des rechtlichen Rahmens reduziert.
Noch ist die Bildungspolitik der Republik von solchen Zielvorgaben und erneuerten Strukturen weit entfernt. Aber dass eine solche Schule des selbstbestimmten Lehrens und Erziehens erfolgreich sein kann, zeigt sich etwa an der Alemannenschule in Wutöschingen, Baden-Württemberg (Motto: „Lernen wie im Wohnzimmer“).
Die drei Bildungsministerinnen von CDU, Grünen und SPD könnten mit dem Schaffen einer exakten Datenbasis einen ersten Schritt zu mehr zielorientierter Bildungsarbeit ermöglichen. Mehr noch nicht, aber es wäre immerhin ein Anfang.
Im Wahlkampf ist für eine Debatte über zukunftsentscheidende Bildungspolitik offensichtlich kein Platz. Genau so wenig für ein Politikverständnis, das sich nicht am eigenen Wahlprogramm oder eigener Ideologie orientiert, sondern an der Lösung gemeinsamer Probleme. Insofern könnte man mit etwas gutem Willen den gemeinsamen Bildungspolitik-Entwurf von CDU, Grünen und SPD als einen Mut machenden Vorgriff auf eine gemeinsame Bundesregierung nach dem 23. Februar sehen.
■ UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.