Der Enkel Max Pechsteins erinnert sich: „Vögel wie ein V“
Alexander Pechstein ist der Enkel des Malers Max Pechstein. Ein Gespräch über seinen Großvater, den er „Maxe“ nennt, blaue Bäume und verbrannte Bilder.
taz: Herr Pechstein, gibt es eine frühe Erinnerung an Ihren Großvater?
Alexander Pechstein: Ja, die gibt es. Da war ich vier Jahre alt, in der Kurfürstenstraße in Berlin, da war sein Atelier. Ich sehe ihn mit einem Skizzenblock, wie er Skizzen von mir macht.
Was wurde aus den Skizzen?
Sie sind im Zweiten Weltkrieg mit dem Haus verbrannt.
Können Sie sich an frühe Reisen von Max Pechstein erinnern?
Ja, auch das. In Leba, in Pommern, da bin ich vier, fünf, dort wohnte mein Großvater bei den Möllers, den Eltern seiner zweiten Frau, Marta, wir waren im Sommerurlaub dort. Schemenhaft sehe ich ihn mit den Malutensilien, der Leinwand mit dem Keilrahmen, in die Dünen ziehen.
73, lebt ein paar Kilometer östlich von Kiel. Er hat eine Ausbildung als Grafiker, Zeichentrickfilme gemacht, dann im Bereich Marketing gearbeitet, den Pechstein-Verlag gegründet. Heute kümmert er sich um den Nachlass seines Großvaters, über den er einen Film gedreht hat.
Er hat in Berlin gelebt, obwohl er das Landleben liebte.
Ja, später in der Hubertusallee, Grunewald, dort lebte er fünf, sechs Jahre lang, schöne Villa. Er hatte die untere Etage. Ich kann mich erinnern, wie er im Garten steht und mit einer Säge Holz klein macht. Es war schön dort.
Sie durften in sein Atelier?
Jeder durfte das. Nach dem Krieg war er Professor an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin, da kamen die Studenten ins Atelier und wir auch.
Und haben ihm über die Schulter geguckt?
Studenten durften ihm über die Schulter gucken, wir auch.
Andere nicht?
Wenn er irgendwo saß, und hat gemalt, etwa in Öl, und Touristen kamen, und haben ihn gefragt: „Warum malen Sie das Haus rot, das ist doch gelb, und warum den Baum blau, der ist doch grün?“, dann mochte er das nicht.
Er wollte nicht diskutieren.
Nein, nicht diskutieren. Deshalb ist er oft morgens schon um drei losgezogen, da war dann keiner, der ihn belästigt hat.
Haben Sie sich auch über blaue Bäume gewundert?
Überhaupt nicht! Ich bin in Ateliers aufgewachsen. Mein Stiefvater war der Maler Helmut Märksch, wir hatten ein Atelier in der Ruhlaer Straße 12 in Berlin, dort hab ich gewohnt. Ich hab als Kind Keilrahmen gebaut, Leinwände gespannt, mich hat interessiert, wie Maxe das gemacht hat, wie er umgesetzt hat, was er gesehen hat.
Auch Ihr Stiefvater war unter den Nazis verboten.
Ja. Helmut Märksch hat sehr schöne Sachen gemalt. Max durfte malen, aber nicht ausstellen, das war furchtbar für ihn. Die Nazis haben ein Bild von ihm für Devisen verkauft, haben seine Bilder verbrannt, und dann sind bei Bombenangriffen Bilder verbrannt.
Was glauben Sie, mit welcher Einstellung sind die Besucher in die Ausstellungen für „Entartete Kunst“ gegangen?
Wie in andere Ausstellungen auch. Im Stade-Katalog ist ein Foto: Ausstellung „Entartete Kunst“ in München 1937. Da sehen sie, dass die Leute die Bilder aufmerksam und interessiert betrachten. Ich glaube nicht, dass die Nazis das erreicht haben, was sie erreichen wollten.
Dass die Besucher sich vor Abscheu abwenden?
Genau das nicht.
Haben Sie zugeguckt, wie Ihr Großvater gemalt hat?
Hm, muss ich nachdenken. Ja, ich hab’ zugeguckt, in Leba, in den Dünen. Wir sind in der Düne rum gesprungen, Maxe hat gemalt. Rüber gucken, der Opa malt, alles gut, weiter hüpfen. Er hat gern an zwei Bildern gleichzeitig gemalt, weil das doch dauert, bis die Ölfarbe trocknet. Hat er einmal den einen Blick gemalt, einmal den anderen Blick. Wenn es dann hieß: Zusammenpacken, ab nach Hause, hatte er zwei nasse Bilder. Da hat er dann oben an den Bildern durchgeschnittene Korken befestigt, so konnte er zwei Ölbilder mit den nassen Seiten nach innen transportieren, ohne dass sie sich berührten. Auf manchen Bildern finden Restauratoren Sandkörner von der Ostsee. Das finden die Restauratoren spannend. Das kommt, wenn man „en plein air“ malt.
Waren Sie später mal dort, wo er gemalt hat?
Ja, im Jahr 2009, also zum 100-jährigen Jubiläum seiner ersten Nidden-Reise, waren wir in Nidden auf der Kuhrischen Nehrung. Von Kiel aus, eine Woche, war hoch interessant. Wir sind auf den Spuren meines Großvaters gewandelt und haben nachempfunden, wo genau er mit seiner Staffelei gestanden hat. An einer Stelle stehen jetzt hohe Bäume. Wir haben die Rote Kirche gesehen, die er gemalt hat. Meine Cousine hat eine Ortsbesichtigung in Monterossa al Mare in Ligurien gemacht.
Hatte nicht auch Thomas Mann in Nidden ein Haus?
Stimmt, Nidden heißt heute Nida und liegt in Litauen.
Gibt es den Gasthof Blode noch?
Der heißt nun „Nidos Smilte“. Wissen Sie, was es mit dem Gasthof auf sich hat?
Nein.
Ernst Mollenhauer, der Landschaftsmaler, hat Hedwig Blode, die alle Heta nannten, geheiratet. Heta war die Tochter des Gastwirts Hermann Blode. Blode hat die Bilder der Expressionisten, die auf Nidden malten, also Schmidt-Rotluff, Lovis Corinth, Pechstein, gesammelt, Mollenhauer hat die Bilder vor den Nazis gerettet. Im Winter 1945 haben die Soldaten der Roten Armee die Bilder in der Sauna verheizt.
Haben Sie dem Großvater mal eigene Zeichnungen gezeigt?
Nein. So etwa: Opa – guck mal? Nein.
Wie haben Sie in der Schule gemalt?
Weiß ich noch, einmal hat Maxe in einem Aquarell Vögel gemalt wie ein „V“, die habe ich in der Schule in einer Zeichnung übernommen. Mein Zeichenlehrer schrieb drunter: „Sollen das Vögel sein?“
Wie war er denn als Großvater?
Er war nett, liebevoll, wie ein Opa so vom Enkel wahrgenommen wird. Wir haben allerdings nicht zusammen Eisenbahn gespielt.
Sind Sie auf ihn angesprochen worden?
Ja, Klassenkameraden sprechen einen an: Dein Großvater steht im Lexikon, aber das machte mir nichts aus. Die Erwartungshaltung, die damit verbunden ist, war manchmal ein bisschen lästig.
Und Lehrer?
Ja, fremde Leute. Die fragen, das ist noch heute so: Sind Sie verwandt mit Max Pechstein? Manchmal werde ich heute auch nach Claudia Pechstein gefragt.
Und?
Nicht unser Zweig der Familie.
Wie ist es, in einem Künstlerhaushalt aufzuwachsen? Ihre Mutter war Schriftstellerin.
Interessant. Ich hab meinen Stiefvater oft beim Malen erlebt. Seine Wutausbrüche, wenn er etwas nicht so hinbekommen hat, wie er sich das vorgestellt hat. Dann konnte er schon mal das Palettenmesser durch die Leinwand stoßen. Ich hab’ dann die Leinwand geflickt. Ich hab’ ihm auch Farben gemischt.
Gibt es in der Ausstellung Bilder mit biografischen Bezügen?
Ja. Sehen Sie mal genau „Lotte mit Kopftuch“ an, und alle frühen Akte, das ist immer meine Großmutter Lotte Pechstein.
Sie sehen ihr ähnlich.
Ja, das setzt sich bei unserem Familienzweig durch, auch bei meinen Enkelkindern.
Ihr Großvater bestimmt Ihr Leben?
Ich befasse mich jetzt hauptsächlich mit Pechstein. Kümmere mich mit meiner Cousine in der Max Pechstein-Urheberrechtsgemeinschaft um den Nachlass, um Ausstellungen und um das leidige Thema Fälschungen, zum Beispiel Wolfgang Beltracchi aus Höxter, mit bürgerlichem Namen Wolfgang Fischer, der auch Max Pechstein gefälscht hat.
Nee!
Aber ja. Das war der größte Fälscherskandal der letzten Jahre, er ist 2011 zu sechs Jahren verurteilt worden.
Was hat er gefälscht?
Einen „Liegenden Frauenakt mit Katze“ und eine „Seine-Brücke“. Er ist geschickt vorgegangen. Bilder, von denen man annehmen konnte, dass Max Pechstein sie gemalt hat, die aber als verschollen galten, hat er gefälscht. So hat er es auch bei Max Ernst und Fernand Léger gemacht.
In Stade sind alle Bilder echt?
Alle echt.
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