: Der Eigencharakter der Klangkörper
■ Der Dirigent Herbert Blomstedt ist auf dem Weg in die Spitzengruppe / Ob zu Recht, läßt sich mit dem SHMF-Orchester zu Bruckner und Hindemith überprüfen
Manchen Künstlern gelingt die große Karriere in einem Alter, in dem normale Werktätige sich schon lange von der Arbeitswelt verabschiedet haben. Wie Hamburgs Lieblingskind Günter Wand ist auch dem 68jährigen Herbert Blomstedt erst innerhalb der letzten zehn Jahre der Aufstieg in die kleine Spitzengruppe der Stardirigenten gelungen. Und wie bei Wand ist dieser Durchbruch in besonderem Maße der Schallplattenindustrie zu danken, in Blomstedts Fall der Decca, die mittlerweile ein umfangreiches Repertoire mit ihm aufgenommen hat.
Blomstedts Musizierstil kommt dabei einer Annäherung via Tonkonserve durchaus entgegen: Ist er doch, anders als Kollegen wie Leonard Slatkin und Semyon Bychkov, nicht primär um den großen Sound bemüht, und es geht ihm auch nicht um die Heraufbeschwörung einer raumfüllenden Live-Athmosphäre. Blomstedts Aufnahmen wie Konzerte sind vielmehr von einer akribischen Auseinandersetzung mit den Partituren geprägt, die immer wieder verblüffende und auf andere Art spannende Resultate zeitigt.
Ein Orchesterschaustück wie Richard Straussens Don Juan dampft und schwitzt bei ihm nicht aus allen Poren, sondern offenbart sich als transparent-imaginatives Motivgewebe. Blomstedts Verzicht auf dramatische Kunstgriffe zugunsten von Detailarbeit und Durchsichtigkeit bewährt sich insbesondere bei den üppigen Texturen der Spätromantik und klassischen Moderne, die die Möglichkeiten eines 120-Mann-Orchesters voll ausschöpfen.
Die Fähigkeit, den verschiedensten Klangkörpern seinen Stempel aufzudrücken, ohne deren spezifischen Eigencharakter zu verwischen, hat sich der 1927 geborene Blomstedt im Umgang mit den Spitzenorchestern von Berlin bis Boston angeeignet. Verknüpft ist sein Name jedoch vor allem mit zwei Ensembles: Der Staatskapelle Dresden, die er von 1975 bis 1985 leitete, und dem San Francisco Symphony Orchestra, dem er in den vergangenen zehn Jahren vorstand. Jetzt zieht es den Schweden wieder nach Deutschland, seiner „musikalischen Heimat“: Eine enge Zusammenarbeit mit den NDR-Sinfonikern deutet sich in letzter Zeit an, Blomstedt gilt als der aussichtsreichste Kandidat für den nach John Eliot Gardiners Weggang vakanten Posten des Chefdirigenten.
Wer sich von der berüchtigt-halligen Michel-Akustik nicht abschrecken läßt, kann Herbert Blomstedt dort am 4. Juli mit dem SHMF-Orchester erleben. Auf dem Programm stehen Bruckners Siebte und Hindemiths Suite aus seiner Oper Mathis der Maler.
Jörg Königsdorf Mo, 4. Juli, St. Michaelis,20 Uhr
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