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■ Der Brandt-Sturz und die aktuelle Krise der SPDWehners lange Messer

Alle reden von Moskau, kaum einer von Münstereifel. Nur wenige wissen, daß Heinrich Breloers Vierstundenepos „Wehner – Die unerzählte Geschichte“, das dieser Tage abendfüllend in der ARD gezeigt wird, nicht im Hotel Lux in Moskau beginnt, sondern in Bonn Anfang der siebziger Jahre. Die Chronologie mußte der Dramaturgie weichen. Denn Brandts Rücktritt 1974 stellt sich heute als biographisches Machtzentrum Herbert Wehners dar. Erst von dort aus blendet Breloer zurück auf die Jahre der frühanarchistischen Politisierung und der stalinistischen Verstrickung.

Dabei spitzt der mehrfach ausgezeichnete Filmautor im ersten Teil seiner Charakterstudie – „Die Nacht von Münstereifel“ – den Konflikt Brandt–Wehner in einer Weise zu, daß er durchaus an aktueller Brisanz gewinnt. Mit der erotischen Pointierung der Hintergründe des Kanzlersturzes wird ein – für die Sozialdemokratie nicht untypischer – Konflikt fixiert: Parteisoldat besiegt Bonvivant, der Asket den Lustmenschen, die Disziplin die Lebensfreude.

In Bad Münstereifel, 40 Kilometer von Bonn entfernt, sollte der alte Zuchtmeister den schwammig gewordenen Hedonisten zum Rücktritt nötigen – mit Belastungsmaterial von intimen Geschichten aus Willys berühmt-berüchtigtem Wahlkampfwaggon anno 72. Mit atemberaubender Rasanz hatte Wehner im Mai 1974 die sozialliberale Koalition binnen einer Woche aus dem reformeuphorischen Lotterbett Willy Brandts auf die Pritsche des spröden Ökonomen Helmut Schmidt gezwungen. Damit war das Lebensgesetz der Troika getroffen, wonach jeder der drei Schwierigen mit den jeweils anderen auskommen mußte. Schmidt hätte Brandt niemals als Parteichef stürzen können; Brandt mußte Wehner den Fraktionsvorsitz lassen; aber Wehner konnte Brandt als Kanzler stürzen! Das war der Sündenfall.

Breloer konfrontiert die Antipoden: Karl Wienand, Wehners Mann fürs Grobe, gegen Klaus Harpprecht, Brandts Schöngeist; Rut Brandt, die betrogene Gattin, gegen die Liebhaberin Wiebke Bruhns. Harpprecht analysiert Wehner als lustfeindlichen „roten Mönch“, der in der alltäglichen Fron seine stalinistische Schuld abarbeitet und dabei alles ins Sexistische verzerren muß, was außerhalb seines asketischen Diabetikerhorizonts geriet. „Ihr sollt regieren und nicht e-regieren“, wird er zitiert. Und Eugen Selbmann, sein langjähriger Referent, schildert Wehners wachsende Wut wegen Willys „Weibergeschichten“: „Wenn der Schwanz steht, ist der Kopf im Arsch.“

Im zweiten Filmteil „Hotel Lux“ wird Lotte Löbinger, die erste Ehefrau Wehners und frühere Schauspielerin bei Piscator („Ich war den Männern gut“) nach den Liebhaberqualitäten des jungen Herbert gefragt. Die heute 87jährige hält so lange inne, daß die Minute der Sprachlosigkeit zur Ewigkeit für die Zuschauer und zur Peinlichkeit für den früheren Lebensgefährten gerät.

Schließlich die berühmte Szene vor der Bundestagsfraktion: Wehner überreicht dem versteinerten Brandt ein Blumenbouquet und redet von „Liebe“. Egon Bahr bricht in Tränen aus. Was Harpprecht einen ungeheuerlichen „Akt der Verlogenheit“ nennt, ist für Wienand ein grundehrlicher Onkel-Herbert-Auftritt. Hämisch wischt er Bahrs Tränen weg. „Den hab' ich öfter so weinen sehen.“

Vom Parteigründer Ferdinand Lassalle, der beim Duell um eine Angebetete durch ein Geschoß in den Unterleib – gleichsam getroffen am Corpus delicti – verschied, bis zur Rotlichtaffäre an der Saar zieht sich eine facettenreiche hedonistische Linie im Rahmen einer höchst protestantischen Partei.

Mit der Entscheidung Willy Brandts, die ebenso parteilose wie berufsunerfahrene, dafür aber hübsche Griechin zur Parteisprecherin machen zu wollen, war 1987 das SPD-Maß voll. Die Partei rächte sich jäh am großen Vorsitzenden, dem sie schon die Trennung von der geliebten Rut kaum hatte verzeihen können. Dieses Mal wetzten nicht nur rechte Zuchtmeister, sondern auch empörte Parteilinke wie Heide Simonis das Messer. Die spröde Partei hatte die Pferdchen-Politik und das „Büroleiterinnen-Unwesen“ satt. Aber der Streit blieb unwirklich. Während das Parteivolk Brandt zu Unrecht eine neue Affäre anhängen wollte, versuchten die Parteischickimickis, geübt in der eitlen Profilierung auf Kosten der spießigen Partei, dieser die Schelle der Ausländerfeindlichkeit zu verpassen. Tief enttäuscht kommentierte Brandt: „Ich dachte, daß wir weiter wären.“

Als im gleichen Jahr die üppige Phantasie des diabolischen Barschel auch auf das Sexualleben seines Rivalen Engholm überschwappte, war höchste Eisenbahn fürs Dementi. Denn wie bekannte das Opfer seinerzeit in einer Talk- Show? Seine Partei sei eine tief puritanische Veranstaltung, wo solche Dinge, wie sie Barschel unterstellte, ehrenrührig seien.

Ähnlich bewegt sich die innerparteiliche Auseinandersetzung nach der jüngsten Hessen-Pleite an der kulturellen Scheidelinie einer so tiefsitzenden wie unwirklichen Alternative: „Schickimicki oder Tradition“, Modernisierung oder Stammwählerschaft. Die Parteirechte munitioniert gegen die Toskana-Sozis. Die Sehnsucht nach einem dezisionistischen Zuchtmeister à la Wehner ist groß. Selbst Vogels Klarsichthüllen würden einige noch lieber in Kauf nehmen als Engholms grüblerisches Weggetretensein. Doch die Auseinandersetzung bewegt sich auf wenig analytischem Niveau.

So machte Helmut Schmidt dieser Tage in einer Oldie-Runde mit Barzel und Scheel immer noch das „jugendliche Akademikertum“ als den Parteischädling aus. Doch dieser Befund bezieht sich nur auf die Situation der Partei von 1978. Der frühere Kanzler hat offenbar den Paradigmenwechsel in der Partei vom theoretischen Eiferer zum ästhetisierenden Softie verpaßt.

Demgegenüber bewegen sich die bis '91 so erfolgreichen Brandt- Enkel seit dem Wiedervereinigungsschock auf der abschüssigen Linie. Die hedonistische Linke steht zusehends im Verdacht, nur Schönwetterpolitik zu betreiben. Vielfach ohne soziale Bodenhaftung kommt ihnen der Stammwähler nur noch wie ein latent faschistoides Monster vor. Der Spagat gelingt nicht in Zeiten sozialer Deklassierungsängste.

Heinrich Breloers „Nacht von Münstereifel“ enthält eine Droge für das derzeit so ramponierte Gemüt der Partei. Der erste Teil des Wehner-Epos mag wie ein Aufputschmittel für rechte Parteifans wirken. Doch der eher Brandt zugeneigte Filmautor reicht im zweiten Teil den Tranquillizer für allzu übermütig gewordene Anhänger Onkel Herberts nach. Titel: „Hotel Lux.“ Wohl bekomm's! Norbert Seitz

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