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Der Blitzmarathon der Polizei soll die Autofahrer zum Langsamfahren erziehen. Der Erfolg dieser Erziehung ist zweifelhaft, aber was ist schon zweifelsfrei in diesem MetierDas Gehirn des Autofahrers

fremd und befremdlich

von KatrinSeddig

Blitzmarathon“ ist erst mal ein bemerkenswertes Wort. Man möchte es gerne für Sachen verwenden, die besonders schnittig und kräftig und schnell und sportlich sind. Für was Tolles jedenfalls. Eben wie Blitz und wie Marathon.

Wer denkt sich aber solche Wörter aus? Gibt es dazu einen Menschen in einer Behörde, der dafür abgestellt ist? In der DDR hätte die Aktion sicherlich nicht Blitzmarathon geheißen, sondern „Sozialistischer Tag der Verkehrssicherheit“. Oder „Tag des disziplinierten Fahrens“. Oder „Deutscher Verkehrsfriedenstag“.

So was in der Art. Hier jetzt heißt es aber eben „Blitzmarathon“, wenn einen Tag lang massenhaft die Geschwindigkeit kontrolliert wird. Meist an Stellen, die vorher angekündigt wurden, über Zeitungen und Radio, damit die Autofahrer und LKW-Fahrer Bescheid wissen und rechtzeitig vom Gas gehen.

Natürlich wird an diesen Tagen auch an nicht angekündigten Stellen geblitzt. Die Polizei ist in allen Bundesländern mit einem Großaufgebot unterwegs, um vor allem eines zu tun: die Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit zu überprüfen.

Am großen Blitzmarathon-Tag fahren angeblich etwa drei Prozent der Autofahrer zu schnell, das sind viel weniger als sonst zu schnell fahren. Verständlicherweise. Wer ein Radio hat oder eine Zeitung liest, wer im Internet unterwegs ist, der weiß, dass großer Blitzmarathon-Tag ist und fährt anders als sonst.

Genau das soll aber den unbewussten Lerneffekt hervorrufen. Wer einmal aus Gründen, die eigentlich nichts mit Verkehrssicherheit zu tun haben, sondern mit Geldstrafen, langsamer und auf Geschwindigkeit achtend unterwegs ist, der ist auch zukünftig womöglich langsamer und vorsichtiger unterwegs. Weil das Gehirn jetzt diesen Gedankenweg des Langsamfahrens schon mal gegangen ist.

Das Gehirn mancher Autofahrer ist vielleicht aber nicht so leicht zu manipulieren. Das Gehirn mancher Autofahrer gewöhnt sich möglicherweise nach einem einzigen solchen Tag noch nicht an den Gedanken des Langsamfahrens. Manche Gehirne von manchen Autofahrern gewöhnen sich möglicherweise nie daran, denen wäre nur geholfen, wenn sie täglich kontrolliert würden, bis man ihnen nach einer Woche den Führerschein entzieht. Dann hätten ihre Gehirne Ruhe und wir würden nicht totgefahren.

Ich bin gerade empfindlich bei dem Thema, weil ich gerade einem schlimmen Unfall beiwohnte. Straßenverkehr ist eines der schlimmsten Monster in unserer sonst recht abgepufferten Welt. Es ist fraglich, ob ein Blitzmarathon jemals Erfolg zeitigt, indem er ein Verhalten ändert, das auf Egoismus und Selbstüberschätzung beruht. Manche sagen „Ja“, und zeigen Statistiken vor. Andere sagen „Nein“, und wischen die Statistiken vom Tisch.

So der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius. Es gäbe keine verlässlichen wissenschaftlichen Untersuchungen darüber, wie sich die Aktion auf das allgemeine Fahrverhalten auswirke. Soll es jetzt aber geben. In Nordrhein-Westfalen ist eine Studie in Auftrag gegeben worden. Sollte die keinen langfristigen Effekt erkennbar machen, würde Herr Pistorius für die Abschaffung des Blitzmarathons in Niedersachsen plädieren. Polizeikräfte würden nur sinnlos gebunden. Wenn es denn sinnlos ist.

Notorische Raser sind eigentlich so was wie Verbrecher. Aber die werden an solchen Tagen kaum erwischt und sind unbelehrbar. Bleiben noch die, die immer mal ein bisschen zu schnell fahren. Rüttelt es die auf, wenn sie zweimal im Jahr gezwungen werden, über die Geschwindigkeit nachzudenken? Oder fahren sie nur ein paar Tage langsamer, um dann wieder in ihr altes Verhalten zurückzufallen, wie Herr Pistorius meinte, wie manche meinen? Und ist das nicht eine Art Kindergartenerziehung? Eine Art Pädagogik, die nur ein paar Halbeinsichtige erreicht, die eigentlich Netten und die eigentlich Willigen? Andererseits, besser die als keine?

Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.

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