: Der Bio-Bluff
Die schönsten Ölfelder sind die, auf denen Palmen stehen. Biokraftstoffe aus Palmöl sind das „grüne“ Modethema der Agrarindustrie, Malaysia und Indonesien die Hauptanbauländer. Wenn die ganze Welt nachzieht, gibt das ein Umweltdesaster. Denn den Plantagen in Monokultur muss Regenwald weichen
Um sogenannte Biokraftstoffe, wegen ihres Bezugs zum globalen Agro-Business korrekter „Agrotreibstoffe“ genannt, geht es in Heiligendamm nicht direkt. Doch ihr verstärkter Einsatz wird vor allem von den USA und in minderem Maße von Deutschland als Mittel zur Reduzierung des fossilen Energieverbrauchs und damit auch als Beitrag zum Klimaschutz propagiert. Beim heutigen Treffen der Schwellenländer Brasilien, Mexiko, Südafrika, Indien und China mit den G-8-Ländern in Heiligendamm will auch Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva kräftig die Werbetrommel für Ethanol und Biodiesel rühren.
In Reaktion auf diese Debatte warnen die Erdölproduzenten vor einem neuen Ölpreisschock. Die Opec erklärte am Dienstag, der Ausbau von Biokraftstoffnutzung werde zum Rückgang der Neuinvestitionen in die Ölförderung und damit zu einer Ölverknappung führen. Dies werde die Ölpreise „durch die Decke“ schießen lassen, sagte Opec-Generalsekretär Abdullah al-Badri. Der Boom der Biokraftstoffe wird bereits für starke Preissteigerungen von Getreide und damit von Grundnahrungsmitteln verantwortlich gemacht, weil immer mehr Getreideanbauflächen in Plantagen umgewandelt werden.
VON NICOLA GLASS (Kuala Lumpur), MARC ENGELHARDT (Kampala) und GERHARD DILGER (Porto Alegre)
Das grüne Meer wogt bis zum Horizont: malaysische Ölpalmen, so weit das Auge reicht. Die Anbaugebiete ziehen sich kilometerweit rund um den Kuala Lumpur International Airport. Die großen Fruchtbüschel werden jeweils ein- bis dreimal im Jahr geerntet, aus dem Fruchtfleisch wird Palmöl gepresst. Das meiste geht nach China.
Palmöl gilt als „grüner Rohstoff“: Er ist nachwachsend, und man kann daraus inzwischen sogar Diesel für Autos gewinnen, ähnlich wie in Brasilien Ethanol aus Zuckerrohr statt Benzin verwendet wird. Eine Ölpalmenplantage, sagen Experten, kann über 6.000 Liter „Biodiesel“ pro Hektar im Jahr produzieren.
Doch der Mythos vom „grünen“ Palmöl ist Makulatur. Denn den Plantagen müssen Millionen Hektar Regenwald weichen. Die Umweltorganisation Friends of the Earth schätzt, dass 87 Prozent der Entwaldung Malaysias zwischen 1985 und 2000 auf die Errichtung neuer Palmölplantagen zurückzuführen waren. Malaysia ist der wichtigste Palmölproduzent der Welt mit 3 Millionen Hektar Plantagen – ein knappes Viertel der Weltkapazität – und einer Produktion von bis zu 16,5 Millionen Tonnen pro Jahr.
Der Nachbar Indonesien legt sich mächtig ins Zeug, um Malaysia zu überholen; teils um den eigenen Energiebedarf zu kompensieren, zum größten Teil aber für den Export nach Europa, China und in die USA. Indonesiens Plantagen nehmen heute etwa 6,4 Millionen Hektar ein, weitere 20 Millionen Hektar sind bereits genehmigt. Experten schätzen, dass Indonesiens Produktion in diesem Jahr auf über 17 Millionen Tonnen anwachsen wird. Indonesien und Malaysia beherrschen zusammen rund 85 Prozent des Weltmarkts; weil Malaysia nur noch begrenzt über Land für den Anbau verfügt, investieren malaysische Unternehmen kräftig in die Palmölindustrie des Nachbarn.
Die Ausdehnung von Palmölplantagen für den Anbau von Biokraftstoffen schüre Konflikte, so Norman Jiwan von der Umweltschutzorganisation Sawit Watch. Die Plantagen und der Anbau seien der Hauptgrund für die Zerstörung der Ökosysteme, für Waldbrände und die Verschmutzung von Boden und Wasser. Zudem befinden sich immer mehr Bodenrechte und Ressourcen in den Händen einiger weniger Plantagenbesitzer und Industriebetriebe. Nicht selten wurden dafür indigene Gemeinschaften und Dorfbewohner vertrieben. Allein um Landrechte gibt es laut Sawit Watch mehr als 500 ungelöste Konflikte.
Die indonesische Insel Sumatra ist beinahe schon übersättigt mit Plantagen. Verfechter des Palmölanbaus werfen begehrliche Blicke in Richtung der zwischen Indonesien und Malaysia geteilten Insel Borneo. An Geschäften mit Regenwald und Tropenholz in Indonesien verdienen bislang nicht nur Konzerne, sondern auch Indonesiens Militärs. Kein Wunder also, dass internationale Versuche, Umweltzertifikate für Palmöl zu entwickeln, nur mühsam vorankommen. Denn ein solches Label würde unter anderem vorschreiben, dass dafür kein Regenwald mehr abgeholzt werden darf.
Längst haben Indonesien und Malaysia den nächsten Schritt eingeleitet: Etwa 40 Prozent des Palmöls sollen zu Biodiesel verarbeitet werden. Im Januar ergatterte Indonesien Zusagen über Auslandsinvestitionen von etwa 12,2 Milliarden US-Dollar. Mit Unterstützung des chinesischen Ölkonzerns CNOOC sollen auf Westborneo drei riesige Biodieselanlagen entstehen.
Bäume statt Natur
Vom Bioölrausch will auch Afrika profitieren. Die Ölpalme kommt aus Westafrika, ihr Anbau war in Nigeria und Ghana das Rückgrat der Kolonialwirtschaft, und noch heute ist Nigeria der drittgrößte Produzent weltweit. Als Biokraftstoff haben diese Länder es noch nicht entdeckt. Das bleibt Ugandas Präsident Yoweri Museveni überlassen, der auf die industrielle Nutzung von Agrarprodukten setzt. „Eine Zuckerrohrplantage ist nicht mehr nur eine Zuckerrohrplantage, sondern ein Ölfeld“, jubelte Museveni jüngst. Das Gleiche gelte für Palmölplantagen.
Ohne sich um Gesetze zu kümmern, überschrieb Museveni zu Jahresbeginn zwei der ökologisch wertvollsten Waldreservate an einen Zucker- und einen Palmölproduzenten, um sie in Plantagen umzuwandeln. „Wir müssen unsere Rückständigkeit überwinden“, erklärte Museveni die Entscheidung. „Afrika hat nicht zu wenig Wälder, Afrika hat zu wenig Fabriken.“
Die Ssese-Inseln mitten im Viktoriasee etwa gelten Umweltschützern wie Ambrose Mugisha von Nature Uganda als kleines ökologisches Wunder. In den 12.000 Jahren seit der Loslösung vom Festland haben sich auf den 84 Inseln zahlreiche einmalige Arten entwickelt. „Nicht zuletzt ist die Bevölkerung auf die Inselwälder angewiesen“, erklärt Mugisha. „Sie sammeln Feuerholz und Heilpflanzen, und einige ihrer heiligen Plätze liegen dort.“
Zu Massenprotesten führte im April der Plan, ca. 7.000 Hektar des Mabira-Nationalparks der indischen Mehta Group für Zuckerrohranbau zu schenken. Erst einen Monat später, nachdem es bei Demonstrationen drei Tote gegeben hatte und nach verheerender öffentlicher Kritik, nahm Museveni seine Pläne zurück.
Auch der kenianisch-ugandische Bioölkonzern Bidco, dem Museveni die Ssese-Inseln zur Rodung angeboten hatte, nahm Abstand von seinen Plänen. Bidcos Projektpartner engagiert sich für ein Ökolabel für Palmöl, Proteste sollten das nicht gefährden. Doch Bidcos Mann in Uganda, Kody Rao, lässt nicht locker: „Wir wollen keine Reservate roden, aber wir brauchen Land.“
1998 begann Bidco, Ölpalmen in Uganda anzubauen. 30.000 Hektar versprach die Regierung damals dem Unternehmen, das im Gegenzug eine Fabrik in Ugandas zweitgrößter Stadt Jinja baute. „Bislang haben wir gerade mal 4.000 Hektar bepflanzt, 1.000 werden noch vorbereitet. Die Verzögerung der Landvergabe kostet uns Millionen“, kritisiert Rao. 3 bis 5 Jahre brauchen Ölpalmen, bis sie Früchte tragen. Das Fruchtfleisch wird in Bidcos Ölmühle in Jinja gepresst und anschließend raffiniert. Bislang stellt Bidco vor allem Speiseöle und Seife her, 500 Tonnen am Tag. Doch für weitere fast 25 Millionen Euro wird jetzt eine Biodieselfabrik gebaut.
Palmöl braucht viel Niederschlag, der in Uganda vor allem am Viktoriasee oder im Westen des Landes gemessen wird, wo der Kongo-Regenwald beginnt. „Das war immer unsere größte Angst: dass die Abholzungen auf den Ssese-Inseln und im Mabira-Wald als Präzedenzfälle genommen werden, um die Regenwälder im Westen anzugehen“, erklärt Umweltschützer Mugisha. Dass beide Projekte nun vorläufig auf Eis liegen, beruhigt ihn nicht – zu groß, glaubt er, ist Ugandas Wunsch, im Millionenspiel um Biodiesel dabei zu sein.
„Das würde die Bedrohung von Gorillas und anderen Primaten im Kongo-Regenwald massiv verstärken“, warnt Matthew Woods vom UN-Umweltprogramm Unep. So wie in Indonesien, wo nach den Abholzungen der Orang-Utan auszusterben drohe. Skrupellose Unternehmer könnten gleich doppelt profitieren: durch den Verkauf des Edelholzes und den Anbau von Ölpalmen. Schon befürchten Umweltschützer im Kongo eine Signalwirkung, sollte Uganda seine Wälder antasten.
Benzin süßsauer
Kaum besser ist die Lage in Lateinamerika. Der viertgrößte Palmölproduzent der Welt heißt Kolumbien. Für riesige Plantagen vertreiben rechtsextreme Paramilitärs seit Jahren die afrokolumbianischen Gemeinschaften des Pazifiktieflands von ihrem Land. Die nachrückenden Firmen, meist einheimische Unternehmer aus Antioquia, zerstören mit ihren Monokulturen eine der artenreichsten Regionen Südamerikas. 80 Prozent von Kolumbiens Palmölexporten gehen in die EU, 25 Prozent nach Deutschland.
Auf den Zuckerrohrplantagen im brasilianischen Bundesstaat São Paulo schuften hunderttausende Wanderarbeiter aus dem armen Nordosten für die Ethanolproduktion. „Das ist eine harte Arbeit wie in der Kolonialzeit“, räumt der frühere Agrarminister und Ethanol-Lobbyist Roberto Rodrigues ein. Beim Export von Ethanol ist Brasilien Weltmeister. Im April 2007 führte es 283,9 Millionen Liter aus, fast doppelt so viel wie im Jahr zuvor.
Bedroht von Zucker- und Sojamonokulturen werden der Amazonas-Regenwald, die Savanne in Nordost- und Zentralbrasilien und das Feuchtgebiet Pantanal an der Grenze zu Bolivien. Ethanol als Alternative zum Benzin sieht Brasiliens Regierung als Beitrag zum Klimaschutz. „Das ist nur vorgeschoben“, ist der Geograf Klemens Laschefski aus Minas Gerais überzeugt. In dem brasilianischen Bundesstaat pflanzt der deutsch-französische Multi Vallourec-Mannesmann Eukalyptus, um Stahlwerke zu befeuern. Die schnellwachsenden Hölzer verbrauchen aber extrem viel Wasser. „Dadurch wird benachbarten Kleinbauern die Existenzgrundlage entzogen, sodass sie das Land zu Schleuderpreisen verkaufen“, sagt Laschefski. „Für die Produktion von Biomasse auf diesem Land soll es dann Gelder aus dem Emissionshandel geben.“
Aus all diesen Gründen plädiert der brasilianische Kleinbauern-Dachverband Vía Campesina dafür, die irreführende Vorsilbe „Bio“ für nachwachsende Energiequellen nicht mehr zu verwenden. Er spricht lieber von „Agrotreibstoffen“. Durch diese werde die Ernährungssicherheit von Millionen Bauern weltweit bedroht, fürchtet João Pedro Stedile von der Landlosenbewegung MST. Mit dem Agrotreibstoffboom werde sich die „Logik der kolonialen Landnahme und der Unterwerfung von Ökosystemen und Menschen durch das transnationale Kapital“ fortsetzen.