Der Baumeister Berlins: Einer wie er wird heute vermisst
Die Berliner Stadtentwicklung könnte immer noch viel von ihm lernen: eine Ausstellung und eine Tagung zum Architekten und Zeichner Karl Friedrich Schinkel.
In der gegenwärtigen Verehrung Karl Friedrich Schinkels als Universalkünstler, der gleichermaßen Architekt wie Maler, Zeichner, Bühnenbildner, Raumplaner und Designer war, spiegelt sich auch eine Sehnsucht: der Wunsch, in den letzten zwanzig Jahren Berliner Stadtentwicklung einen städtischen Baudirektor vom Format eines Schinkel gehabt zu haben. Der füllte sein Amt als preußischer Oberbaudirektor und Leiter der Oberbaudeputation während der 1830er Jahre nicht nur von machtvollem Gestaltungswillen geprägt aus, sondern auch von ästhetischer Hingabe.
Eine Branche fehlt allerdings in der Liste von Schinkels Tätigkeiten, die den klassischen Universalkünstler wie Michelangelo oder Leonardo da Vinci auszeichnet, nämlich die Bildhauerei. Nachweislich hat Schinkel weder selbst in Ton modelliert noch eigenhändig Hammer und Meißel geschwungen. Dass er die Skulptur seiner Zeit gleichwohl prägte, will eine kleine Kabinettausstellung in der Alten Nationalgalerie Berlin nun nachweisen.
"Karl Friedrich Schinkel - Entwürfe für Bildhauer" versammelt eine Auswahl von Zeichnungen aus dem Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin. Plastischer Figurenschmuck gehörte für Schinkel klar zum Gestaltungsprogramm der an der Antike orientierten Architektur des Klassizismus. So gehen die Reliefs an der Neuen Wache und dem Alten Museum oder die monumentale Firstplastik auf dem Dach des Schauspielhauses am Gendarmenmarkt auf sein Entwurfskonto.
Doch für die Ausführung beschäftigte er eine Riege von Bildhauern, die sich mehr (Christian Friedrich Tieck, August Kiß) oder weniger (Christian Daniel Rauch, Johann Gottfried Schadow) eng an seine Vorgaben hielten. Mit dem renommierten, älteren Schadow verband ihn wohl auch ein schärferes Konkurrenzdenken als mit den gleichaltrigen Kollegen, mit denen er ein konstruktiv-freundschaftliches Arbeitsverhältnis pflegte.
In Schinkels Auftrag
Die Ausstellung präsentiert Schinkel sowohl als energischen, fast abstrakten Freihandzeichner als auch als peniblen Technischen Zeichner, dessen mit der damals neuartigen Metallfeder angefertigte Architekturperspektiven wie geplottet wirken.
Die gotischen Innenräume seiner Entwürfe für einen Dom als Denkmal für die Befreiungskriege oder ein Mausoleum für Königin Luise gehen eine Symbiose mit der Skulptur ein mit dem Ziel allumfassender Gesamtwirkung. Denn Bauplastik bedeutet für Schinkel immer auch die Fassbarmachung des Raums, wie sie besonders bei dem Neubau der alten Hundebrücke über den Kupfergraben deutlich wird: Erst die kolossale Figuration auf den Sockeln über den Brückenpfeilern verleihen dem Bauwerk die formale Qualität, aber auch die stadtplanerische Funktion einer "Schlossbrücke".
Der Kurator Rolf H. Johannsen bereitet mit seiner Ausstellung den Boden für die große Schinkel-Schau "Geschichte und Poesie" im Herbst 2012, die mehr sein will als eine Retrospektive: Sie will die Erkenntnisse über Karl Friedrich Schinkel auf neuesten wissenschaftlichen Stand bringen.
Dass dieser alles andere als hinreichend erforscht ist, zeigte sich auch auf einer Tagung, die Mitte Oktober aktuelle Forschungsergebnisse über das "Das Erbe Schinkels" diskutierte. Kunsttechnologische Untersuchungen, die Schinkel als allen Innovationen der Zeichenmittelindustrie offen darstellen, wurden dort ebenso vorgestellt wie der Zustand der Architektenausbildung um 1800 hinterfragt.
Restauratoren und Konservatoren scannten Gemälde Schinkels mit Hilfe der Infrarotreflektografie auf verborgene Unterzeichnungen, die Aufschluss über Kompositionsänderungen geben, aber auch neue Fragen nach der Originalität aufwarfen. So spekulierte der Direktor des Kupferstichkabinetts, Heinrich Schulze Altcappenberg, genüsslich über die Autorschaft Schinkels an der berühmten "Gotischen Kirche auf einem Felsen am Meer", wollte er doch die verdächtige Unterzeichnung eines Bleistiftrasters entdeckt haben, wie es für die Kopisten des 19. Jahrhunderts üblich war.
Lust am Risiko
Mit solcher Lust am Risiko und der kritischen, kunstwissenschaftlichen Investigation verspricht die kommende Ausstellung spannend zu werden. Vor allem, wenn es gelingt, das Konzept, Schinkels Werk in neun bildhaften "Tableaus" zu gliedern, gleichermaßen durchdacht wie publikumswirksam zu präsentieren.
Denn Karl Friedrich Schinkel nur als Universalkünstler im Glorienschein vergangenen Preußenglanzes zu heiligen, wäre entschieden zu wenig. Seine Entwicklung vom strengen Klassizisten zum moderaten Historisten machen Schinkel gerade vor dem Hintergrund einer neohistoristischen und rekonstruktiven Stadterneuerung im heutigen Berlin oder Potsdam zu einem mehr als aktuellen Forschungsgegenstand.
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