: Der Aufstand mit Kehrblech und Besen
ARBEITSKAMPF Es war der erste bundesweite Streik der Putzkräfte in der Bundesrepublik. Er dauerte gerade zwei Wochen. Der Erfolg beflügelt auch die Gewerkschaften. Denn die Branche ließ sich bisher nur schwer organisieren
AUS BERLIN EVA VÖLPEL UND ULRICH SCHULTE
Nadire Sevim streikt, zum ersten Mal. Die stämmige Frau steht an diesem Donnerstag um sieben Uhr am Morgen im DGB-Gewerkschaftsbau in Berlin-Schöneberg, zusammen mit Kolleginnen. „Früher wollte ich mit Gewerkschaften nichts zu tun haben“, sagt Sevim, die vor 30 Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam. „Aber vor einem Monat bin ich eingetreten in die IG BAU, wegen des Streiks. Ich seh die jetzt mit schönen Augen.“ Eigentlich müsste Sevim jetzt in der Technischen Universität Berlin putzen.
Der Gebäudereinigerstreik, der am Donnerstag endete, ist nicht nur für Sevim einzigartig: Es war der erste bundesweite Arbeitskampf von Putzfrauen und Fassadenreiniger in der Geschichte der Bundesrepublik. Er dauerte gerade einmal zwei Wochen und führte in Rekordzeit zur Einigung (siehe Text rechts). Und es gingen Unterprivilegierte und Niedrigverdiener auf die Straße, die sich viel schwerer mobilisieren lassen als etwa Metaller. „Das war der erste erfolgreiche Streik des sogenannten Prekariats“, sagte Michael Knoche-Gattringer, der Sprecher der Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Auch Gewerkschaftsforscher Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel sagt: „Ich denke, dieser Streik war etwas Neues. Zum ersten Mal streikten die Gebäudereiniger, eine in der Gewerkschaft und in der Gesellschaft unterrepräsentierte Gruppe mit hoher Fluktuation in der Belegschaft.“
In der Innenreinigerbranche zählt die Gewerkschaft 57.000 Mitglieder, diese kommen aus 55 Nationen. Allein 4.000 davon sind laut Knoche-Gattringer türkische Kolleginnen und Kollegen, noch viel mehr haben einen türkischen Migrationshintergrund. Deshalb schickte die IG BAU Dolmetscher mit auf Streikaktionen – eine Studentin berichtigt etwa Nadire Sevims Satz mit den „schönen Augen“. Alle Ansagen wurden in dreizehn Sprachen übersetzt.
Bundesweit gingen in den vergangenen zwei Wochen 6.000 Mitglieder immer wieder auf die Straße – in der Branche arbeiten laut Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks (BIV) 860.000 Menschen – eine verschwindend geringe Beteiligung.
Lars Dieckmann, der Jugendbildungsreferent der IG BAU Berlin, ist müde, aber zufrieden. „Natürlich ist der Streik nach außen kein großer Knaller, mit so wenig Streikenden. Aber er ist ein wichtiger Türöffner und Lernprozess für uns alle.“ In der Tat hat der Streik Tausende politisiert. Rund 3.000 Eintritte habe es seit Beginn gegeben, sagt Knoche-Gattringer.
Die Beschäftigten sind für die Gewerkschaft in der Regel schwer zu erreichen. Sie verdienen schlecht, viele sparen sich die Beiträge. Putzfrau Nadire Sevim kommt auf 900 Euro Brutto im Monat, dafür steht sie morgens um 3 Uhr auf, putzt vier Stunden in der Früh und noch einmal vier Stunden am Abend, fünf Tage in der Woche. Viele haben nur befristete Verträge. Entsprechend niedrig ist der Organisationsgrad der Gewerkschaft: Bis zu 12, 14 Prozent heißt es bei den Arbeitnehmervertretern, um die fünf Prozent heißt es bei den Arbeitgebern.
Das ist ein typisches Gewerkschaftsproblem in Niedriglohn-Branchen. „Die deutschen Gewerkschaften organisieren weder die Hochqualifizierten und Besserverdienenden noch die Arbeitnehmer des Niedriglohnbereichs“, sagt Gewerkschaftsforscher Schroeder. „Das rührt aus der Tradition der gewerkschaftlichen Organisierung als industrielle Arbeitergewerkschaft mit einer Fixierung auf den männlichen Facharbeiter.“
Im Arbeitgeberlager schätzt man die Schlagkraft des Putzfrauenaufstandes als eher gering ein. „Ein massive Erzwingungsstreik war das nicht gerade“, sagt ein Beteiligter. „Es hat nur für Nadelstiche gereicht.“ Die Gewerkschaft bestreikte öffentliche Gebäude, etwa das Paul-Löbe-Haus am Bundestag. An der Uni Essen solidarisierten sich Studierende, in Dortmund veranstalteten die Gebäudereiniger ein öffentliches Klobürstenweitwerfen.
„Billig, billig, billig, das ist alles, was man von uns will. Der Rest ist scheißegal.“ Elke Geiselhart, eine der Berliner Streikenden, arbeitet seit zehn Jahren in der Innenreinigung. Morgens putzt sie drei bis vier Stunden in der Technischen Universität, abends im Schöneberger Rathaus. „Die Zeit dazwischen ist futsch, man kriegt vom Tag gar nichts mehr mit.“ 800 Euro brutto plus 200 Euro Aufstockergeld vom Arbeitsamt bleiben ihr am Ende eines Monats.
Seit Juli 2007 gilt im Gewerbe ein Mindestlohn. „Als er damals eingeführt wurde, musste man eben mehr in weniger Zeit schaffen.“ Geiselhart musste plötzlich die gleiche Fläche schneller reinigen. „Der pure Stress“, sagt sie. Wenn man es nicht schafft, mache man eben Überstunden – unbezahlt.
Tatsächlich wird der Mindestlohn in vielen Firmen trickreich umgangen. Hans-Peter Kurz* ist Inhaber eines mittelständischen Unternehmens in Berlin, seine Angestellten putzen vor allem in Firmenräumen. „In der Branche herrscht ein gnadenloser Unterbietungswettlauf“, erzählt er. „Wenn wir sagen würden, es gibt jetzt höhere Löhne, das heißt, wir werden teurer, würde sich der Kunde totlachen.“ Er macht Firmen Pauschalangebote für die jeweiligen Objekte, auch seine Angestellten werden nach Objekten bezahlt. „Wenn eine Angestellte früher zwei Stunden für bestimmte Räume hatte, so berechnet man dann eben weniger Zeit für das gleiche Objekt – so kommt dann unterm Strich ein höherer Stundenlohn heraus.“
Auch die Arbeitgeber wollen möglichst schnell eine Neuauflage des Mindestlohn-Tarifvertrags, der im September auslief. „Die Gebäudereinigerbranche ist die Branche mit dem höchsten Lohnkostenanteil in Deutschland. Er liegt bei 80 Prozent, weil sie sehr personalintensiv ist“, sagt BIV-Justitiar Axel Knipp. Wenn ein Unternehmen auch nur zehn Cent pro Stunde weniger zahle als ein anderes, steche es dieses bei Auftragsvergaben aus. „Ohne Mindestlohn haben wir ganz schnell einen Dumpingwettbewerb.“ Die Unternehmen fürchten zudem die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit ab Mai 2011. Wenn es dann keinen Mindestlohn in Deutschland gibt, könnten etwa polnische Firmen den Markt aufrollen – in Polen liegt der Tariflohn für Putzfrauen bei 1,83 Euro die Stunde.
Was nimmt Sevim aus dem Streik mit, wenn sie nächste Woche die schwere Bohnermaschine wieder anwirft? „Ich habe verstanden, dass man Rechte hat“, sagt sie. Sie denkt kurz nach: „Wissen Sie, Deutschland geht verkehrt. Man arbeitet den Körper kaputt und bekommt so wenig.“ Die Kolleginnen nicken. Hier kann jede von verhärteten Muskeln, Rheuma oder Rückenschmerzen erzählen.
*Name geändert