: Der Ärzte-Griff in die Geldbörse
Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) sind ein Riesenmarkt, bei denen es nicht immer um Heilen, sondern auch um Abzocke geht. Patienten sollten eine gute ärztliche Beratung, einen Kostenvoranschlag und eine detaillierte Rechnung fordern
VON PIA M. SOMMER
Gleich am Empfang der Augenarztpraxis alarmiert ein Plakat, dass Grüner Star eine der häufigsten Ursachen für Erblinden ist. Um die Erkrankung rechtzeitig erkennen und behandeln zu können, wird über 40-Jährigen eine Messung des Augeninnendrucks empfohlen. Der Haken: Die Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) zahlen die Untersuchung nicht, da sie über das medizinisch Notwendige hinausgeht. Patienten müssen die Kosten von 35 Euro aus eigener Tasche berappen. Eine Situation, vor der Versicherte inzwischen häufig stehen.
Immer mehr Ärzte bieten in ihrer Praxis „Individuelle Gesundheitsleistungen“ (IGeL) an, die Patienten selbst zahlen müssen. Fast jeder Vierte hat im vergangenen Jahr ein IGeL-Angebot offeriert bekommen, fanden das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) und die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen heraus. An der Spitze lagen Ultraschalluntersuchungen (21,8 Prozent), gefolgt von Messungen des Augeninnendrucks (16 Prozent) und zusätzlichen Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung bei Frauen (10,5 Prozent). Gegenüber dem Vorjahr hat sich der Anteil der Patienten, die von einem Arzt ein IGeL-Angebot erhalten, von 16 auf 23,1 Prozent erhöht. Besonders umtriebig waren Gynäkologen und Augenärzte. Sie boten zehnmal häufiger als Allgemeinmediziner private Leistungen an. An dritter Stelle folgten Urologen, nach ihnen Hautärzte und Orthopäden.
Zusätzlich zu zahlende Leistungen fördern bei manchem gesetzlich Versicherten das Gefühl, seine Krankenkasse versorge ihn nur noch schlecht. So gilt der medizinische Nutzen einer Messung des Augeninnendrucks zur Früherkennung von Grauem Star (Glaukom) als klar belegt. Experten fordern daher seit geraumer Zeit, die Untersuchung in den Leistungskatalog der GKV aufzunehmen. Augenärzte haben daran kaum Interesse. Sie würden dann weniger an der Messung verdienen. Viele der rund 250 IGeL machen jedoch keinen Sinn, können im schlimmsten Fall sogar belastend oder schädlich sein. „Bei den Angeboten individueller Gesundheitsleistungen ist der persönliche Nutzen keineswegs immer klar“, urteilt Wolfgang Schuldzinski von der Verbraucherzentrale NRW. „Es fehlt an ausreichender Transparenz in diesem Privatmarkt, eine systematische Qualitätssicherung gibt es nicht.“
Dass IGeL-Angebote oft weniger auf die Gesundheit des Patienten als auf die Geldbörse des Arztes zielen, macht ein weiteres Ergebnis der WIdO-Studie klar: Die privaten Gesundheitsleistungen werden vor allem gut Verdienenden angeboten. Versicherte mit einem monatlichen Nettoeinkommen über 4.000 Euro wurden doppelt so häufig angesprochen wie Menschen mit weniger im Portmonee.
Patienten sehen ärztliche Zusatzleistungen durchaus kritisch: Mehr als 40 Prozent der Befragten glauben, dass sie das Verhältnis eines Arztes zu seinen Patienten beeinflussen, wenn nicht gar verschlechtern. „Durch IGeL wird aus dem Patienten ein Kunde. Der Arzt gerät in den Rollenkonflikt zwischen objektiver medizinischer Betreuung einerseits und ökonomischen Interessen andererseits“, erklärt Klaus Zok vom WIdO. „Die Patienten nehmen diesen Konflikt wahr und fühlen sich verunsichert.“
Doch wie weiß ein Patient, ob eine private Zusatzbehandlung echte Hilfe oder Abzocke ist? Verbraucherverbände raten, den Arzt sehr genau zu befragen, warum die Kassen die angebotene Leistung nicht zahlen, welchen therapeutischen Sinn sie hat, ob Nebenwirkungen auftreten können und welches Risiko eine Nicht-Behandlung birgt. Der Mediziner ist verpflichtet, vollständig Auskunft zu geben – und zwar er selbst. Keinesfalls sollte man sich von einer Sprechstundenhilfe oder anderen Praxismitarbeitern abspeisen lassen. Es empfiehlt sich, auf jeden Fall nach Alternativen zu dem IGeL-Angebot zu fragen, die Kassen übernehmen. Gerade bei Untersuchungen zur Vorsorge reicht zum Beispiel ein begründeter Verdacht aus, damit die gesetzlichen Krankenversicherungen zahlen. Ansonsten gilt: nicht drängen lassen. Beratung und Behandlung sollten zu verschiedenen Terminen stattfinden. Ein Kostenvoranschlag ist sinnvoll – auch um die Preise verschiedener Ärzte zu vergleichen. So lassen sich bisweilen etliche Euro sparen, weiß Schuldzinski. Für IGeL muss ein Arzt immer eine Rechnung ausstellen, die sich an der amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) orientiert. Ohne Begründung darf er bis zum 2,3-fachen Satz verlangen, darüber hinaus muss ein Arzt genau darlegen, warum ein höherer Satz bis zum 3,5-Fachen gerechtfertigt ist. Patienten sollten IGeL-Rechnungen sammeln, um sie gegebenenfalls als außergewöhnliche Belastung bei der Steuererklärung geltend machen zu können. Für IGeL wird übrigens keine Praxisgebühr fällig.
IGeL-Wegweiser für Patienten bei der Ärztekammer Nordrhein und der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein: www.aekno.dehtmljava/a/kammerarchiv/igel_2004.pdf.