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Archiv-Artikel

Den Pop pushen

KIRCHENMUSIK Der Pop hat es weiter schwer in der evangelischen Kirche. Abhilfe könnte schaffen, den Pop stärker in die Ausbildung der KirchenmusikerInnen zu integrieren

„Es wird noch dauern, bis die Popularmusik genauso behandelt wird wie alle andere Musik auch“

Landeskirchenmusikdirektor Hans-Jürgen Wulf

VON KLAUS IRLER

Es war der April des Jahres 1973, die ersten Sacro-Pop-Platten waren gerade erschienen, als es in der barocken St. Pankratius-Kirche in Hamburg-Neuenfelde zur Sache ging. Die New Live Singers waren gekommen, um Popsongs aus den USA zum Besten zu geben. Außerdem kam ein junger Schlagzeuger in die Kirche, zum Soloauftritt. In der Lokalzeitung stand später, der Schlagzeuger habe einen Eindruck davon gegeben, wie das jüngste Gericht klingen müsse. Der Reporter meinte das durchaus euphorisch, schließlich ging es darum, Grenzen zu überschreiten: Pop und Kirche, das waren seinerzeit noch zwei getrennte Welten.

Mittlerweile gibt es viele Überschneidungen, und diese führen zu unterschiedliche Szenerien: Da gibt es zum Beispiel Veranstaltungen wie den Gospelkirchentag – bei dem trafen sich im September 2008 über 100 Chöre in Hannover. Da gibt es aber auch akademisch geprägte Kongresse zur Kirchenmusik mit manchmal überraschend konservativen Befunden – im Oktober 2008 in Stuttgart beispielsweise befand Kongressleiter Jürgen Essl, die Kirche dürfe nicht „jedes musikalische Fähnchen in den Wind hängen“. Und da gibt es vor Ort hauptamtliche Kirchenmusiker, denen völlig klar ist, dass die Kirche den Pop integrieren muss. Sie fragen sich nun, wie sich die Qualität der Popmusik in der Kirche steigern lässt.

Dabei hat das, was an der Basis passiert, die Debatte der Obrigkeit mitunter längst überholt. Und das ist ein Punkt, in dem der Pop in der Kirche dem Pop im Rest der Welt sehr nahekommt. Außerdem verbreitet sich unter Kirchenmusikern der Gedanke, Popmusik lernen und bewerten zu können. Hier entwickelt sich ein Zugang, den es im weltlichen Bereich schon länger an staatlichen Musikhochschulen gibt.

Die Nordelbische Kirche etwa hat einen Fachbereich Popularmusik gegründet, der unter der Leitung von Hartmut Naumann unter anderem eine Ausbildung zum C-Kirchenmusiker für Popularmusik anbietet. Gelehrt werden dort Fächer wie „Rhythmik und Stilistik“ oder „Harmonik in Jazz/Rock/Pop“. Seit April gibt es in der Nordelbischen Kirche außerdem eine Prüfungsordnung für B-Kirchenmusiker für Popularmusik. „Wir haben die gleichen qualitativen Ansprüche an die Popularmusik, die wir auch an die klassische Kirchenmusik haben“, sagt Landeskirchenmusikdirektor Hans-Jürgen Wulf. Und er sagt auch: „Es wird noch dauern, bis die Popularmusik als eine Facette zeitgenössischer Musik ein so selbstverständlicher Teil der Praxis ist, dass sie genauso behandelt wird wie alle andere Musik auch.“

Das Äquivalent in der Hannoverschen Landeskirche ist das Programm von Kirchenmusikdirektor Wolfgang Teichmann, der sein Büro und seine Übungsräume im Evangelischen Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik in Hildesheim hat. Teichmann organisiert Weiterbildungsseminare im Bereich Bandarbeit, außerdem ist er Geschäftsführer der „Initiative Jazz, Rock, Pop in der Kirche“. Teichmann zielt weniger auf einen akademischen Zugang, ihm geht es darum, dass die Seminarteilnehmer unmittelbar erleben, worum es bei Popmusik geht: „Das glückliche Gesicht eines Musikers, der mit Klanghölzern mitten in einer Band den Groove erlebt, ist besser als ein Vortrag über die Tritonussubstitution.“

„Ein gesundes Autodidaktentum kann uns manchmal weiterbringen als eine Spezialistenausbildung“, sagt Wolfgang Teichmann. Einen Gegensatz zur Nordelbischen Kirche sieht er darin nicht, lediglich einen anderen Dialekt derselben Sprache. Und deren Hauptbotschaft ist auch bei Teichmann: „Der Popmusikbereich ist in der Kirche immer noch sehr marginal vertreten.“

Zum selben Befund kommt auch Thomas Feist, der Vorsitzende des Bundesverbands Kulturarbeit in der evangelischen Jugend. In der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sei Popmusik bei der Stelle der Kulturbeauftragten angesiedelt und nicht bei der Kirchenmusik. „Der Popbereich läuft parallel zur kirchenmusikalischen Struktur“, sagt Feist. Er wünscht sich, dass sich das ändert. Verbunden damit wäre eine andere Wertschätzung und eine bessere finanzielle Ausstattung. Für Letztere allerdings scheint die Zeit alles andere als günstig zu sein.