Den Haag nimmt Kenia ins Visier: Ein unerwünschter Ermittler
Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs hat sich in Kenia angemeldet. Die mächtige Elite aber will seine Untersuchungen zu den blutigen Unruhen verhindern.
NAIROBI taz | Bevor Luis Moreno-Ocampo am Donnerstag mit Kenias Präsident Mwai Kibaki und Premierminister Raila Odinga zusammentrifft, steht bereits fest: willkommen ist Ocampo bei der Doppelspitze der großen Koalition, die das Land seit Ende der blutigen Unruhen im vergangenen Jahr regiert, nicht.
Als der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs vor gut drei Wochen ankündigte, er werde auf Untersuchungsreise nach Kenia kommen, wimmelte ihn die Regierung brüsk ab: Er solle die Reise verschieben, teilte man Ocampo mit. Schließlich plane der Premier eine China-Reise - die könne man wohl nicht absagen, nur um über die Aufklärung der schlimmsten Gewaltwelle seit der Unabhängigkeit zu diskutieren.
Die Hintermänner dieser Unruhen mit mehr als 1.300 Toten sind bis heute nicht belangt worden. Und das, obwohl ihre Namen in Kenia offene Geheimnisse sind: Spitzenpolitiker beider Lager, Abgeordnete, Minister und potente Geschäftsleute. Hinter ihnen steht eine Übermacht der Abgeordneten in Kenias Parlament, die seit Monaten verhindern, dass ein Sondertribunal zur Aufklärung der Gewalt eingerichtet wird.
Den jüngsten Antrag des parteilosen Bürgerrechtlers Gitobu Imanyara vertagten die Parlamentarier auf unbestimmte Zeit, weil sie pünktlich in die Parlamentsferien aufbrechen mussten. "Seit der Einführung des Mehrparteiensystems 1992 sterben Bürger im Namen der Politik", so Imanyara. "Die Straflosigkeit hat dazu geführt, dass die Gewalttäter über die Jahre immer mehr Einfluss gewonnen haben."
Bei den letzten Wahlen, sagt er, seien nun selbst Mörder ungestraft davongekommen. "Wenn wir diese Tradition fortsetzen, wird es 2012 gar keine Wahlen mehr geben, weil die Morde in einer ganz anderen Größenordnung stattfinden werden - es wird ein Völkermord sein." Nur eine radikale Aufklärung, glaubt Imanyara, kann das verhindern.
Die Regierung ist nervös. Seit Montag beraten Runden in wechselnder Besetzung darüber, wie mit Ocampo verfahren werden soll. Fest steht: Justizminister Mutula Kilonzo steht mit seiner Ankündigung, voll mit Ocampo zu kooperieren, auf verlorenem Posten.
Sein Vorschlag, ein internationales Straftribunal mit Sitz in Kenia einzurichten (ähnlich dem Tribunal in Sierra Leone), findet schon mehr Unterstützung. Ocampo selber soll schon signalisiert haben, dass Verurteilte ihre Strafe sehr wohl in kenianischen Gefängnissen absitzen könnten.
Inwiefern er tatsächlich zur Aufklärung beitragen kann, ist unterdessen unklar. Zwar besitzt er eine Liste der mutmaßlichen Haupttäter, die eine von Kenias Regierung beauftragte Untersuchungskommission erstellt hat. Doch wie viele gerichtsverwertbare Beweise tatsächlich vorliegen, weiß niemand.
In einem Brief an Präsident Kibaki versuchte Ocampo jüngst, Druck auf den Präsidenten auszuüben, damit er Ocampo mit der Ermittlung beauftragt. "Es handelt sich um eine Entscheidung der Exekutive, das Parlament muss nicht zustimmen", heißt es darin.
Am wahrscheinlichsten ist, dass Kibaki und Odinga ihre Kooperation zusagen, darüber hinaus aber nichts unternehmen werden. Es wäre Ocampo, der dann ein Vorverfahren eröffnen müsste - die beiden politischen Führer könnten ihre Hände in Unschuld waschen. "Kibaki und Odinga sollen in der Öffentlichkeit einen guten Eindruck machen, ohne dass jemand sagen kann, sie haben Ocampo geholfen", sagt ein Insider bei den Vorgesprächen. Beide haben nicht zuletzt Angst vor neuen Unruhen.
Aktivisten und ein örtlicher Abgeordneter warnen, dass im besonders explosiven Rift Valley bereits aufgerüstet wird - diesmal mit Maschinengewehren statt mit Macheten, Pfeil und Bogen. "Die Regierung muss etwas tun", fleht Kipkorir Ngetich, ein Menschenrechtler aus Eldoret. "Die Waffenlieferungen sind eine Zeitbombe, die schon bald explodieren wird."
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