: Den Bastard erkennt man am Budget
■ Als Produktion Subventionstheater light, künstlerisch jedoch unbequem: Thomas Heise vom BE zeigt ab heute Heiner Müllers „Zement“ in einem Kabelwerk
Der Pförtner am Eingangstor schüttelt den Kopf. Daß sich ausgerechnet hier in der Oberschöneweider Ödnis das berühmte Berliner Ensemble zwecks Aufführung eines Theaterstückes niedergelassen hat, versteht er nicht so recht. Kabelwerk Oberspree, Tor 7. In dem weitläufigen Gelände dahinter herrscht Grabesruhe. Die von ehemals 5.000 Beschäftigten noch übriggebliebenen 1.600 arbeiten in einem anderen Werksteil. Ein paar kleinere Transportunternehmen haben sich hier vorübergehend eingemietet, der Rest der Werkshallen und Baracken steht leer, zum Abriß bereit. Ein Industriepark der Superlative soll hier entstehen.
In der Halle 4, dem ehemaligen Preß- und Stanzwerk, steht noch ein Teil der Maschinen am alten Platz. Sie sehen aus, als hätte man Radachsen von Eisenbahnwaggons auf Stahltürme gehievt. Vor den Maschinen verläuft ein kreuzförmiger, metallener Steg. Der wurde für die Kunst eingebaut. Hier kämpft der revolutionäre Kriegsheimkehrer Tschumalow für die Wiederinbetriebnahme eines verrottenden Zementwerks. Hier kämpft seine Frau Dascha um ihre Emanzipation. Hier findet die Auseinandersetzung zwischen Terror und Utopie statt. Heiner Müllers Postrevolutionsstück „Zement“ wird inszeniert.
Doch nicht das BE probt hier seit Mitte Juli, sondern sein Bastard. So nennt Regisseur und Produzent Thomas Heise sein Mammutprojekt: 20 Schauspieler – davon einige aus dem BE-Ensemble – dazu ein technischer und künstlerischer Stab gleicher Größe. Von der Kostümhospitantin bis zur Souffleuse – ganz wie im Staatstheater. Bloß bekommt keiner der über 40 Mitarbeiter auch nur einen Pfennig Lohn. Den Bastard erkennt man am Budget. Ganze 40.000 Mark stellt das BE aus seinem Etat zur Verfügung. Nochmals den gleichen Betrag zweigte Heiner Müller hausintern von seiner Arturo-Ui-Produktion ab. Eine Zementfirma spendierte 6.000 Mark für die Werbung. Der Rest wird von der Berliner Wirtschaft mittels Naturalspenden aufgebracht. Insgesamt 24 Sponsoren unterstützen ein Stück, das sich mit den Bedingungen von Revolution auseinandersetzt.
„Zement“ gehört zu Müllers Zyklus „Geschichten aus der Produktion“. 1973 wurde es im BE unter der Regie von Ruth Berghaus uraufgeführt, eine Sensation damals. Es ist ein nachdenklicher Diskurs darüber, ob und wie Sozialismus überhaupt möglich ist, angesiedelt in der Sowjetunion der Jahre 1921/22. Nicht unbedingt ein modischer Stoff also. Genau das reizt Heise: „Hier werden Möglichkeiten beschrieben, oder zumindest Momente von Möglichkeiten.“ Vielleicht sind die in 50 oder 200 Jahren wieder denkbar. Deshalb müsse man sich gerade in einer Zeit damit auseinandersetzen, in der die Sieger der Geschichte auf ihrem Sieg bestehen. Den Kern will er herausschälen, indem er das Stück „wie einen 2.000 Jahre alten Text“ behandelt.
Antikes Menschheitsdrama und Science-fiction zugleich. Mit dem Strom ist Thomas Heise, der Filmemacher und Regiemitarbeiter bei Heiner Müller und Fritz Marquardt, noch nie geschwommen. In der DDR landeten seine Filme allesamt im Giftschrank oder wurden schon im Projektstadium abgewürgt. Nach der Wende erntete er mit „Stau“ sowohl diverse Preise als auch harsche Kritik. Und auch nach seinem Theaterregie-Debüt mit Brechts „Brotladen“ im letzten Herbst gingen die Meinungen im Leitungs-Quartett des BE weit auseinander, ob man ihn wieder auf die große Bühne lassen solle.
Heises Reaktion war typisch. Er stellte ein Ensemble aus unterbeschäftigten und arbeitslosen Schauspielern zusammen. Damit setzte er der Leitung die Pistole auf die Brust. Die jetzige Low-budget- Variante ist das Ergebnis seiner Auf-jeden-Fall-Strategie. Heise ist fest am BE angestellt und könnte eigentlich Däumchen drehen, wenn man ihm keine Arbeit gibt. Aber: „Nichtstun ist langweilig und asozial.“ Da unterwandert er mit seinen Leuten lieber den Apparat und übt ein Stück praktische Subversivität. Das unbequeme Ergebnis ist ab heute abend zu sehen. Gerd Hartmann
Premiere heute, 20 Uhr, dann bis zum 28.9. und 1./2. sowie 6./7.10., 20 Uhr, KWO-Gelände, Halle 4, Tor 7, Wilhelminenhofstraße 76/77, Schöneweide, Bus-Shuttle ab S-Bahnhof Schöneweide, Besprechung am Donnerstag.
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