: Demonstration in Schanghai
■ 20.000 Schanghaier protestierten gegen das Massaker in Peking / Der Bürgermeister der größten Stadt Chinas will kein Militär einsetzen / Die Hälfte der Bevölkerung blieb der Arbeit fern
Schanghai/Berlin (dpa/wps) - Über 20.000 Menschen sind am Freitag in das Zentrum der ostchinesischen Stadt Schanghai gezogen, um gegen das Massaker der Armee in der Hauptstadt Peking zu protestieren. Die Demonstranten führten nach Augenzeugenberichten Kränze und Transparente mit sich und riefen Parolen gegen den brutalen Militäreinsatz. Die Polizei griff zunächst nicht ein.
Am Donnerstag hatte der Bürgermeister Schanghais, Zhu Rongji, erklärt, die Behörden hätten trotz der Behinderungen des Straßenverkehrs und des Produktionsausfalls zu keinem Zeitpunkt erwogen, die Armee herbeizurufen. An ihn seien viele Bitten herangetragen worden, die bewaffnete Polizei zu mobilisieren und nach der Armee zu rufen, sagte Zhu. Doch „das Parteikomitee der Stadt, die Stadtverwaltung und auch ich selbst haben nie den Einsatz der Armee oder die Durchsetzung irgendeiner Art militärischer Kontrolle in Erwägung gezogen“, sagte der Bürgermeister der größten Industrie- und Hafenstadt der Volksrepublik.
Seit dem Beginn der studentischen Demokratie-Bewegung Mitte April war es in Schanghai relativ ruhig geblieben. Die Berichte über das Massaker in Peking hatten seit Sonntag auch hier Studenten und unzufriedene Arbeiter auf die Straßen getrieben. Studenten berichteten am Donnerstag nachmittag, Polizisten seien mit Schlagstöcken gegen eine Gruppe von Protestierenden vor der Bezirksverwaltung von Huangpu vorgegangen. Sie hatten gefordert, die Fahne vor dem Gebäude zum Gedenken an die Toten von Peking auf Halbmast zu setzen.
Auf dem Gelände der Universität von Schanghai war die Lage ruhig. Viele Studenten waren im Zuge eines Streiks Ende letzten Monats nach Hause gefahren. In der Allgemeinen Universität von Ostchina, einem der beiden Zentren studentischer Agitation, kursierten Gerüchte, nach denen einer der führenden Aktivisten, Sen Jun, festgenommen worden und seither verschwunden sei.
Auf den Straßen im Zentrum der 12-Mio.-Stadt hatte in den letzten Tagen ein regelrechtes Katz- und Maus-Spiel geherrscht. Tagsüber blockierten Demonstranten Kreuzungen mit quergestellten Bussen und zweirädrigen Karren und ließen die Luft aus den Reifen. Nachts sorgten Arbeiter der Stadtverwaltung dafür, daß die Fahrbahnen für Lastwagen mit Lebensmitteln und anderen wichtigen Versorgungsgütern wieder freigeräumt wurden. Die Bevölkerung konnte nur noch per Rad oder zu Fuß ihre Arbeitsplätze erreichen. Beobachter schätzen, daß etwa die Hälfte der Schanghaier am Donnerstag der Arbeit fernblieb.
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