: Demokratischer Fahrplan
Der Börsengang der Bahn führt dazu, dass private Investoren staatliche Subventionen kassieren. Wie es besser geht, zeigt ein Blick auf die erfolgreiche Schweizer Bahn
Stolz verkündete Bahnchef Hartmut Mehdorn vor kurzem die Halbjahresbilanz der Deutschen Bahn AG. Er ging dabei von einem „Überschuss“ von 1,9 Milliarden Euro für das Jahr 2006 aus – so viel wie nie zuvor. Wäre das die ganze Wahrheit, die Bahn stünde vorzüglich da. Es fließen aber jährlich mehr als 10 Milliarden Euro Subventionen in den Konzern, als Bauzuschüsse, Mittel für den Regionalverkehr und die Aufstockung der Gehälter der Bahnbeamten. Nur deshalb existiert der Konzern und kann in diesem Jahr mit einem Umsatz von rund 28 Milliarden Euro rechnen. Der von Mehdorn gefeierte „Überschuss“ bedeutet nichts weiter, als dass die Zuschüsse auch etwas geringer hätten sein können.
Es ist nicht schlimm, dass die Bahn ein Zuschussgeschäft ist, denn die Gesellschaft wünscht, dass die öffentliche Hand eine flächendeckende, kostengünstige Form der Mobilität bereitstellt. Eine erwünschte Dienstleistung muss keinen Profit abwerfen, es genügt völlig, wenn keine Gelder verschwendet werden – was noch zu prüfen ist.
Doch wieso sollte sich auch nur ein Investor für ein Unternehmen interessieren, wenn es Verluste macht? Die Antwort überrascht wenig: Öffentliche Zuschüsse sollen weiterhin fließen. Durch den geplanten Verkauf von Anteilen an private Investoren gibt der Bund weite Teile seines Besitzes an der Bahn auf, und so auch seine Mitspracherechte, zahlen soll er aber auch zukünftig. Börsentauglichkeit bedeutet also, dass in der Bilanz trotz höherer Ausgaben als Einnahmen aufgrund staatlicher Zuschüsse erkleckliche Gewinne entstehen.
Die Investoren werden natürlich versuchen, eine möglichst hohe Dividende aus ihren Aktienbeteiligungen herauszuholen. Dadurch wirken Anreize, die dem oben genannten Ziel des öffentlichen Unternehmens Bahn entgegenlaufen. Das wird auch in den Gutachten, auf deren Basis der Bundestag im Oktober über den Börsengang entscheidet, durchaus thematisiert: Weder ist eine Ausdehnung des Streckennetzes, noch ist eine Erhöhung der Verkehrsleistung im Personenverkehr zu erwarten. Setzt sich die gegenwärtige Verkehrspolitik fort, so wird sogar mit einem weiteren Rückzug der Bahn aus weniger dicht besiedelten Regionen gerechnet. Denn für das Management einer Bahn, die auf Gewinnmaximierung getrimmt wird, herrscht immer ein Anreiz, wenig profitable Strecken stillzulegen, Fahrpreise zu erhöhen, Service zu reduzieren und Arbeitsplätze abzubauen.
Dabei ist die Bahn das ökologischste Massenverkehrsmittel nach dem Fahrrad. Selbst ökologisch orientierte Parteien oder Verbände wie der Verkehrsclub Deutschland (VCD) meinen aber, ein Verkauf der Bahn an private Investoren würde vermehrten Wettbewerb zwischen verschiedenen Betreibern ermöglichen und die Attraktivität der Bahn erhöhen; als Vorbild gelten private Betreiber von Regionalstrecken.
Der Nahverkehr wird aber zu zwei Drittel mit staatlichen Zuschüssen finanziert. Und private Betreiber bedienen auch unrentable Strecken, wenn sie öffentliche Gelder zur Deckung ihres Defizits erhalten. Doch durch den Börsengang werden auch der Personenfern- und der Güterverkehr, die bisher ohne direkte Subventionen arbeiteten, privatisiert. Hier wird sich Wettbewerb auf lukrative Strecken beschränken; anderen Strecken droht die Stilllegung, da es niemanden gibt, der dafür zahlen wird.
Die Ergebnisse des Börsenganges kann man einschätzen, wenn man die anstehende Privatisierung der Bahn mit der Privatisierung der Energieversorger im vergangenen Jahrzehnt vergleicht. Im Ergebnis sind öffentliche Regionalmonopole in private verwandelt worden, die nun Strom- und Gaspreise diktieren. Daneben einige Nischenanbieter, etwa für ökologische Kundschaft – das war’s.
Leider ist im Bahnbereich dasselbe zu vermuten. Nichts deutet darauf hin, dass im Zuge des Börsenganges die Macht der Deutschen Bahn beschränkt würde und es zu faireren Wettbewerbsbedingungen bei Ausschreibungen käme. Einen solchen hätte der Bund natürlich auch unabhängig von einem Börsengang längst durchsetzen können. Warum sollte er dies im Zuge des Börsenganges nachholen, wo er genau damit seine Einflussmöglichkeiten erheblich reduziert?
Vieles deutet darauf hin, dass der Börsengang weit mehr Nachteile als Vorteile mit sich bringt. Betrachtet man das Schweizer Bahnmodell, so sieht man, dass eine öffentliche Bahn ansehnliche Erfolge verzeichnen kann.
Mehdorn nennt das öffentliche Schweizer Bahnsystem abfällig „eine Art bessere S-Bahn“, obwohl die Struktur des Bahnverkehrs in der Schweiz mit S-Bahnen, Nah-, Regional- und Fernverkehr derjenigen in Deutschland ähnelt. Aufgrund größerer Höhen- und Temperaturdifferenzen sind in der Schweiz die Betriebs- und Trassenkosten sogar höher als bei uns – trotzdem ist die Schweizer Bahn pünktlicher und sind die Zuschüsse pro Personenkilometer nur halb so hoch. Trotz vergleichbarer Autodichte legen die Schweizer mehr als zweimal so viel Kilometer pro Jahr mit der Bahn zurück als die Deutschen, unter anderem wegen des flächendeckenden Halbstundentaktes.
In der Schweiz gibt es keinen Tarifdschungel und über ein Drittel der Schweizer besitzt das „Halbtax-Ticket“; mit 99 Euro kostet es weniger als die Hälfte der BahnCard 50, die nur zwei Prozent der Deutschen ihr Eigen nennen. Auch in der Schweiz gab es in den 70er- und 80er-Jahren Bestrebungen, auf Hochgeschwindigkeit hin zu orientieren und kleine Regionen abzuhängen. Eine größere Zahl von Referenden verhinderten diese Planungen, die Bahnangebote wurden den Bedürfnissen der Bevölkerung angepasst.
Direkte Demokratie könnte das auch in Deutschland bewirken und hätte mit Sicherheit Milliardengräber wie die ICE-Strecke von München über Ingolstadt nach Nürnberg verhindert. Nur um einige Minuten schneller zu sein, wurde diese Strecke gebaut, statt die um eine Milliarde Euro billigere über Augsburg. Und: 90 Prozent aller Bahnfahrten sind kürzer als 50 km, trotzdem fließen 60 Prozent aller Investitionen der DB-AG in Hochgeschwindigkeitsstrecken.
Das Bündnis „Bahn für alle“ (BUND, Attac, Naturfreunde und andere) will den Börsengang verhindern, indem es Bevölkerung und Bundestagsabgeordnete auffordert, nicht nur über ein „Wie“ eines Börsenganges zu diskutieren, sondern die Frage nach dem „Ob“ zu stellen: Es muss ein faires Gutachten in Auftrag gegeben werden, in dem eine optimierte Entwicklung der Bahn in öffentlicher Hand ähnlich dem Schweizer Modell untersucht wird. In Zügen der Deutschen Bahn AG und auf Bahnhöfen wurden bereits über 100.000 Faltblätter verteilt, die dem dort ausliegenden DB-„Reiseplan“ ähneln und von den Fahrgästen und selbst den Bahnbediensteten gern angenommen werden. Bei Gesprächen zeigt sich: Die Bevölkerung sieht die Pläne der Regierung äußerst kritisch – der Börsengang ist längst noch nicht beschlossene Sache.
HARALD KLIMENTA