: Demokratische Reformen im Irak?
■ Bagdad angeblich mit freien Wahlen „noch vor November“ einverstanden/ US-Stoßtrupps dringen tiefer nach Nordirak ein: Schutzzone für Kurden wird erweitert/ Irakische Soldaten zogen sich zurück
London/Ahmadija/Zakho (afp/ wps/ap) — Die irakische Regierung hat nach Angaben des Vorsitzenden der Patriotischen Union Kurdistans, Talabani, zugesagt, in sechs Monaten freie Wahlen abzuhalten. Dies wurde vom Bagdader Informationsminister Hamad Yussuf Hamadi bestätigt, der von Parlamentswahlen „noch vor November“ sprach. Wie Talabani in der Nacht zum Donnerstag in einem Telefoninterview mit der britischen Fernsehanstalt BBC berichtete, habe Bagdad außerdem zugesagt, ein Mehrparteiensystem zuzulassen und den Obersten Revolutionären Kommandorat, das höchste Regierungsorgan, aufzulösen. Das Parlament solle alle anderen legislativen Organe ersetzen. Die Führung in Bagdad habe außerdem „prinzipiell“ einer allgemeinen Amnestie für die inhaftierten kurdischen und schiitischen Aufständischen zugestimmt. Der irakische Informationsminister Hamad Yussuf Hamadi teilte mit, daß auch die Machtbefugnisse des irakischen Präsidenten im Rahmen der geplanten Reformen beschnitten werden sollten; seine Amtszeit werde zudem auf sieben Jahre begrenzt.
Die Kompetenzen des Revolutionären Kommandorats würden auf ein Beratergremium, die sogenannte Shura, übertragen, das zugleich die Funktion eines Oberhauses in der Nationalversammlung übernehmen solle. Die 50 Mitglieder der Shura sollten zur Hälfte vom Präsidenten ernannt werden, die übrigen und die 250 Mitglieder des Unterhauses direkt gewählt werden.
Allerdings scheinen nur wenige Iraker diesen Demokratisierungsversprechen Glauben zu schenken. Einer der wenigen ausländischen Diplomaten, die sich noch in Bagdad aufhalten, zeigte sich ebenfalls skeptisch: „Wer soll Saddam Hussein ersetzen?“ fragte er. „Er hat totale Kontrolle über Parteiapparat und Geheimdienst. Die irakische Armee ist zu desorganisiert, um einen Coup zu wagen. Und der Widerstand von Kurden und Schiiten ist zerschlagen.“
Die USA und ihre Alliierten haben unterdessen damit begonnen, ihre Schutzzone für kurdische Flüchtlinge in Nordirak um 40 Kilometer in Richtung Osten zu erweitern, um weitere Flüchtlingslager zu errichten. Britische Marineinfanteristen drangen bis zur Stadt Sirsenk vor und sicherten das Gelände. Damit ist die Schutzzone, die sich ursprünglich nur bis 30 Kilometer östlich von Zakho erstrecken sollte, um mehr als das Doppelte erweitert worden. US-Stoßtrupps drangen sogar noch weiter vor, um geeignete Plätze zu suchen. Ein US-Militärsprecher teilte mit, die irakischen Truppen in dem Gebiet seien in der Nacht zum Donnerstag abgerückt.
Das Gelände, das für den Bau des zweiten Flüchtlingslagers nach dem bestehenden in Zakho vorgesehen ist, liegt in der Nähe von Saddam Husseins Sommerpalast. Den Irakern solle erlaubt werden, in dem Gebäude, das nicht besetzt werden soll, Wachpersonal zu unterhalten, erklärte der Militärsprecher. Nach Angaben der Alliierten hatten bis zum Mittwoch etwa 10.000 Kurden die Flüchtlingslager an der türkischen Grenze verlassen und waren in das Camp bei Zakho oder in ihre Heimatdörfer zurückgekehrt.
Der Kommandeur der UNIKOM- Friedenstruppe, Greindl, teilte gestern mit, daß seine Truppen ab 6.Mai die Kontrolle der kuwaitisch- irakischen Grenze übernehmen.
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