: Demokratie ist Sand im Getriebe
betr.: „Eine Überraschung aus Hilflosigkeit“ (EU-Regierungschefs in Göteborg), taz vom 18. 6. 01
Irland hat es gezeigt: Die Zukunft der EU wird so gestaltet, wie Ministerialbürokraten es wollen; an Wählerentscheidungen vorbei, wer nicht richtig wählt, muss halt noch einmal abstimmen. Damit ist das irische Referendum ein Musterbeispiel, wie auch in der EU die Demokratie der Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen geopfert wird.
Es mag verwundern, dass es unter Politikern keinen Aufschrei darüber gegeben hat, dass der Vertrag von Nizza und wohl auch die gesamte EU-Politik am Willen der Bürger vorbeigeht. Den Aufschrei hat es nur darüber gegeben, dass wieder einmal eine demokratische Abstimmung Sand ins Getriebe gebracht hat. Weltweit, und auch in der EU, zeigt sich, dass einschneidende Prozesse und Verträge wie ein Welthandelsabkommen (WTO) zunehmend unter Umgehung aller demokratischen Strukturen beschlossen werden und unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.
Damit ist fast programmiert, dass das öffentliche Interesse nachlässt, und das ist von wirtschaftlichen Interessengruppen und Politikern, die sich gerne im vorauseilenden Gehorsam als deren Marionetten gebärden, durchaus erwünscht. Insofern kann es nicht überraschen, dass es bis heute keine wirkliche europäische Verfassung, geschweige denn basisdemokratische Elemente in der europäischen Politik gibt und auch nie geben wird.
Nicht umsonst wurde der Gedanke einer europäischen Wirtschaftgemeinschaft zuerst von Seiten der Wirtschaft propagiert. Die wahren Absichten der herrschenden Koalition aus Hinterzimmerbürokraten und Lobbygruppen der Wirtschaft werden öffentlich nicht diskutiert, weil dieser Koalition klar ist, dass sich für ihre Ziele wohl kaum eine Mehrheit fände. Wichtige Absichten der EU wie die Bildung einer Eingreiftruppe, die nicht nur zur Verteidigung dient, sondern vor allem als militärisches Instrument der EU-Länder unter anderem zur Sicherung der Energieversorgung dient, werden unter Verschluss gehalten. Humanitäre Aspekte wie die Verteidigung der Menschenrechte sind nur das Deckmäntelchen, unter dem die Interessen der europäischen Wirtschaftsmächte verborgen werden. In den Leitgremien zur EU-Eingreiftruppe finden sich Beamte, Militärs, Diplomaten, aber keine gewählten Politiker.
In Kürze startet deshalb eine Kampagne, um der „Willensbildung“ innerhalb der EU wieder demokratische Züge zu verleihen. Gefordert wird ein Referendum nach irischem Muster in allen EU-Staaten. Ein solches Referendum würde nicht nur die tatsächlichen Interessen der EU-Bürger zeigen, sondern könnte auch ein Anstoß sein, um die EU der Konzerne zu einer EU der Bürger zu reformieren. RENATUS MARIA SCHUIJLENBURG, Schwelm
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