Demo gegen Wulf: Sohlen-Attacke auf Bellevue
Mehrere hundert Menschen zeigen dem Bundespräsidenten ihre alten Schuhe. Mit der Geste wollen sie ihn zum Rücktritt bewegen.
Auf dem Schloss Bellevue flattert die Standarte des Bundespräsidenten. Soll heißen: Christian Wulff ist zu Hause. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite hat sich derweil eine Menschenmenge versammelt. Sie blasen in Trillerpfeifen und halten Schuhe in den Nieselregen: Stiefel, Turnschuhe, Stöckelschuhe. Auf Transparenten stehen Parolen wie "Bundespräsidenten haben kurze Beine" oder "Schäm dich, und zwar woanders!"
Unter dem Motto "Wulff den Schuh zeigen - Shoe for you, Mr. President" sind am Samstagnachmittag rund 400 Teilnehmer zum Schloss Bellevue im Tiergarten gekommen, um den Präsidenten wegen der Kredit- und Medienaffäre zum Rücktritt aufzufordern. Holger Werner, Vorstandsvorsitzender von CLOF (Creative Lobby of the Future) und Anmelder der Demonstration, fordert Wulff unter Jubelrufen der Menge auf, sein Amt noch vor der Schleswig-Holstein-Wahl im Mai niederzulegen, um Schaden von der CDU abzuwenden.
Den Schuh zu zeigen ist laut Mitorganisator Martin Heidingsfelder ein Ausdruck der Verachtung, der aus dem arabischen Kulturraum stammt. Weltweite Berühmtheit erlangte er im Jahr 2008, als ein irakischer Journalist bei einer Pressekonferenz seinen Schuh auf den damaligen US-Präsidenten George W. Bush warf. Bereits im März letzten Jahres fand diese Geste in Deutschland Nachahmer - damals hatten Demonstranten Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ihre Schuhe gezeigt. Bemerkenswert ist die Verwendung dieser Anleihe aus der muslimischen Kultur gegen Christian Wulff, da dieser gerade unter vielen muslimischen Deutschen auf Rückhalt zählen kann. Bei ihnen hatte er sich mit seiner Aussage, der Islam gehöre zu Deutschland, Sympathien erworben.
Die Beweggründe der Demonstranten, die am Samstag ihr Schuhwerk in die Luft halten, sind vielfältig. Aus Empörung sind sie gekommen, manche wussten schon immer, dass Wulff ein schlechter Präsident sein würde. Eine 72-Jährige demonstriert zum ersten Mal in ihrem Leben. "Für mich ist der Mann unglaubwürdig geworden. Er hat seine Souveränität verloren", erklärt sie. Ein anderer kritisiert, dass Wulff als niedersächsischer Ministerpräsident Studiengebühren durchgesetzt habe.
Als "dämlich" bezeichnet es ein Juso-Mitglied, dass Wulff der Bild-Zeitung gedroht hat: "So was kann einem kleinen Politiker passieren, aber nicht dem Bundespräsidenten!" Eine Frau wiederum hat das Fernsehinterview des Bundespräsidenten auf die Straße getrieben: Sie findet Wulffs Ausrede kränkend, er sei noch nicht lange im Amt.
Auch die Presse ist präsent: Auf zwei Demonstranten kommt schätzungsweise ein Journalist. Unruhe kommt in die anfänglich friedlich verlaufende Aktion, als sich eine Gruppe der Partei "Die Freiheit" in die Kundgebung mogeln will. Die Rechtspopulisten werden abgedrängt, die Organisatoren beenden die gesamte Aktion schließlich früher als geplant. Als ein 61-jähriger Demonstrant, der länger bleiben möchte, bei einem Gerangel einem Polizisten mit der Faust ins Gesicht schlägt, wird er bei seiner Festnahme zu Boden geworfen und verletzt. Er muss mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden.
Schuhe werden während der gesamten Aktion nicht geworfen. Dafür fordert Anmelder Holger Werner die Empörten abschließend auf, ihre ausrangierten Treter dem Staatsoberhaupt zuzuschicken - mit der Post.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“