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Dekadenz und Düsternis

■ Gavin Friday mit glamourösem Zitat-Pop auf Zeitreise

„Als ich mit der Arbeit zu meinem neuen Album begann“, erzählt Gavin Friday, „war ich besessen von den 20ern und 30ern, der Zeit zwischen den Kriegen, als sich Dekadenz und Düsternis vermischten. Diese Stimmung wollte ich in die 90er übertragen. Ich wollte eine Art Science-Fiction-Sound“, führt er seine Idee weiter aus. „In Star Wars gibt es diese Bar-Szene, wo diese bizarre Vaudeville-Band spielt. Das wäre die perfekte Backingband für mich!“

Man kann es manchen Journalisten nicht recht machen. Da kommt mal einer, der nicht irgend etwas von „unbewußt“ und „weiß auch nicht so“ murmelt, sondern der eine Vision hat, und sie nörgeln doch wieder herum. Vielleicht ist es das generelle Problem von ambitionierten Konzept-Alben, daß die als großartige pyrotechnische Zauberei angekündigten Feuerwerke in der Regel nur enttäuschtes Gähnen hervorrufen. Das soll nicht heißen, daß Shag Tobacco, das aktuelle Konzept-Album Fridays, nur Schall und Rauch sei. Im Gegenteil, Gavin Fridays sanfter, samtiger Glampop, perfekt produziert von Tim Simenon (Bomb The Bass, Sinead O–Connor), läßt einen dahinschmelzen.

Doch es soll hier um Visionen gehen, und da bleibt er hinter seinem erklärten Ziel weit zurück, den dekadenten Hedonismus der Cabaret-Welt der Golden Twenties in die Zukunft zu transportieren. In Ansätzen gelingt es ihm zwar, jenes dreckige, ebenso berauschte wie benebelte „Hey, damals um 3 Uhr morgens in der Cocktailbar“ zu evozieren. Seine surrealistische Interpretation von Marc Bolans „The Slider“ läßt gar Ziggy Stardust als Halbweltdandy zur Erde zurücckehren. Insgesamt aber mangelt es Friday an einer klaren Zitierweise und einem eindeutigen Umgang mit bestimmten Codes. Portishead sind da schon zu einem weitaus stimmigeren Ergebnis gekommen, ohne hier falsche Assoziationen wecken zu wollen.

Trotzdem ist es nicht unwahrscheinlich, daß Friday die klassische Aura der Kleinen Musikhalle in einen verruchten Nachtclub verwandeln wird. Schließlich beeindruckte er bereits mit seiner legendären Avantgarde-Wave-Formation The Virgin Prunes als faszinierender Performer.

Thomas Overdick Di, 10. Oktober, Kleine Musikhalle, 20 Uhr

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