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„Dein ist mein Herz“

■ Ein Spielfilm aus Alsterdorf zum Tabuthema „Behinderte und Sexualität“

Sexuelle Bedürfnisse stehen nur dem zu, der schön, jung, erfolgreich und vor allem gesund ist. Solche Vorstellungen, die in vielen Köpfen spuken, bieten gerade für geistig behinderte Menschen keinerlei Orientierung in Liebesdingen. Um ihnen angemessenes Anschauungsmaterial zu liefern, haben Mitarbeiter der Evangelischen Stiftung Alsterdorf deshalb jetzt einen Videofilm mit dem Titel „Dein ist mein ganzes Herz“ gedreht.

„Geistig Behinderten fehlt die geschlechtliche Sozialisation, wie sie im allgemeinen durch den gleichaltrigen Freundeskreis vermittelt wird. Der Mangel an Erfahrungen macht ihnen eine realistische Einschätzung im zwischenmenschlichen Beziehungen schwer“, sagt Bernd Zemella vom Psychologischen Dienst in Alsterdorf. Er selbst ist im Rahmen der sexualpädagogischen Beratung deshalb häufig mit dem Thema konfrontiert, aber auch Mitarbeiter und Angehörige wissen oft nicht, wie sie mit den sexuellen Bedürfnissen der Behinderten umgehen sollen: Vorhandenes Anschauungsmaterial ist zu kompliziert oder für Kinder gemacht.

Aus dieser Situation wurde die Idee geboren, einen Spielfilm mit Alsterdorfer Bewohnern als Darstellern zu drehen. „Dein ist mein ganzes Herz“ erzählt von der unerwiderten Liebe des Behinderten Klaus zu seiner Betreuerin Corinna. Bernd Zemella, der das Drehbuch schrieb: „Verliebtheit in Mitarbeiter kommt relativ häufig vor, verbunden mit dem Wunsch, die eigene Situation zu ändern und „normal“ zu sein. Vielleicht kann der Film Behinderten dabei helfen, illusionäre Einschätzungen abzubauen und sich realistischeren Beziehungschancen zuzuwenden.“

Die fände Klaus bei der ebenfalls behinderten Rita, die er auf einer Party kennenlernt. Ein Happy-End wird absichtlich nicht geliefert, um Diskussionsmöglichkeiten für die ZuschauerInnen zu schaffen.

Die Alsterdorfer gehen mit ihrem 11minütigen Video ein Thema an, das in der breiten Öffentlichkeit oft tabuisiert wird. Noch bis 1979 herrschte in der Evangelischen Stiftung strenge Geschlechtertrennung, die erst in den achtziger Jahren ganz aufgehoben wurde. Heute gibt es sehr viele Paare unter den Alsterdorfer Bewohnern, darunter ein Ehepaar mit Kind.

Der Film ist erhältlich bei der Stiftung Alsterdorf, Tel. 5077-3344 o. -3571 (Frau Heise).

Ute Schmölz

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