Defekter Castorbehälter in Gorleben: Systemfehler gesucht
Am Atommüllbehälter funktionieren die Dichtungen nicht richtig. Der Betreiber des Zwischenlagers Gorleben schließt eine Rückrufaktion für alle Castoren nicht mehr aus.
Nach dem Defekt an einem Castor-Behälter mit Atommüll in Gorleben suchen Experten der Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) nun nach einem möglichen Systemfehler in der Dichtigkeitsüberwachung. Der ausgebaute Druckschalter soll in einem Labor untersucht werden. "Die Überprüfung wird zeigen, ob auch bei anderen Behältern Schalter ausgetauscht werden müssen", teilte das niedersächsische Umweltministerium mit.
Der Hannoveraner Physiker Wolfgang Neumann warnte davor, den Vorfall herunterzuspielen. "Der Schalter ist die einzige Anzeige, ob der Behälter dicht ist", betonte er. Die installierten Strahlenmessgeräte seien nicht geeignet, Lecks anzuzeigen. Radioaktive Stoffe könnten so unbemerkt ins Freie entweichen.
Das Überwachungssystem hatte am Samstag einen Druckabfall zwischen dem äußeren und inneren Deckel des Castors gemeldet. Dies ist normalerweise ein Hinweis auf eine Undichtigkeit. Nach einer ersten Reparatur trat derselbe Fehler am Sonntag nochmals auf. Fehlalarm, meint die GNS. Eine Leckage des Behälters schloss sie aus.
Tatsächlich war der Druck zwischen den Deckeln aber von 6.000 auf 5.800 Hektopascal abgefallen. Das Umweltministerium erklärte dies auf Nachfrage mit dem "Defekt des Schalters", GNS-Sprecher Jürgen Auer hingegen sprach von "unterschiedlichen Wärmebedingungen". Neumann äußerte Zweifel an dieser Darstellung. Ein Druckabfall durch Wetteränderung sei schlichtweg "unplausibel". Und davon, dass der Druck aufgrund der Wärmestrahlung des Atommülls schwanke, sei nie die Rede gewesen. Nach Informationen der taz gibt es auch keinen Passus in den Genehmigungsunterlagen, der einen derartigen Effekt beschreiben würde.
Bereits im März hatte ein Druckschalter eines anderen Castors in Gorleben versagt. Das Ministerium räumte vor dem Umweltausschuss des Landtags ein, dass in Fachkreisen schon lange intensiv diskutiert werde, ob das Versagen der Dichtigkeitsüberwachung ein "systembedingter Fehler" sei. Auer bestätigte, dass die Experten prüften, ob "es einen systembedingten Grund gibt". Dies sei vergleichbar mit Verfahren in der Automobilindustrie. Auch dort werde streng geprüft, bevor ein Fahrzeug zugelassen werde. "Trotzdem stellt sich in der Praxis heraus, dass es Eventualitäten geben könnte." Dann könne es "Rückrufaktionen" geben. Das heiße nicht, "dass jedes Auto brennt".
Neumann wies darauf hin, dass es allein in Deutschland mehrere hundert befüllte Castor-Behälter gebe. Während anderswo der Druck zwischen den Deckeln kontinuierlich gemessen werde, verlasse man sich hierzulande ausschließlich auf die Druckschalter, die wiederum nur dann ein Warnsignal auslösen, wenn ein Schwellenwert unterschritten wird. Sollte sich der Verdacht auf einen Systemfehler bewahrheiten, müsste das Druckmesssystem voraussichtlich an allen Castoren in den 14 Zwischenlagern in Deutschland ausgetauscht oder nachgebessert werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe