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Defätismus und Reinheitswunsch in der SPD

betr.: „Freiwillig in die Opposition“, taz vom 9. 9. 99

Das Philosophieren der Genossen Lorenz und Gaebler über eine Duldung eines unionsbesetzten Senats durch die SPD nach den Wahlen ist aus drei Gründen ärgerlich:

Es stellt die Verhältnisse auf den Kopf: Die SPD hat in der so genannten Großen Koalition die wesentlichen zukunftsorientierten Strukturentscheidungen vorangetrieben, während die Union durch rückwärtsorientierte Lyrik auffiel, die verflossene Westberliner Zeiten beschwor. (Hundert Prozent Zukunft ist gleich acht Prozent Berlinzulage.)

Die Vorstellung einer Duldung eines reinen CDU-Senats als Befreiungsschlag ist kurzsichtiger Selbstbetrug. Man gibt jegliche Handlungsoption auf und darf sich darauf beschränken, das Schlimmste zu verhindern.

Letztendlich wird es jedoch immer wieder der SPD zufallen, gerade bei den symbolisch aufgeladenen Themen mit der Union zu stimmen. Auch der Minderheitssenat muss gewählt werden. Man wird sich doch nicht ernsthaft einbilden, die PDS oder Bündnisgrünen würden ihre Stimmen dazu geben und die SPD aus diesem Dilemma entlassen. Sie wären ja taktisch dämlich.

Damit ist der SPD-Befreiungsschlag gleich am Anfang beendet und viele kleinere Beispiele dürften folgen. Die Mischung aus Defätismus und Reinheitswunsch, die durch den Duldungsvorschlag zum jetzigen Zeitpunkt durchscheint, steht einer politischen Partei nicht zu Gesicht; im Wahlkampf schon gar nicht.

Allein das Interview mit Herrn Köppl zeigt, dass die Mitbewerber das Stichwort dankbar aufgreifen, um Verwirrung zu stiften. Herr Köppl könnte seine ehrliche Sorge um die Berliner Sozialdemokratie am besten dokumentieren, indem er ihr beitritt. Axel Seltz

Fraktionsvorsitzender der SPD in der BVV Schöneberg

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