Debütalbum von Lana Del Rey: Elfe und Schlampe
"Born to Die" heißt das erste Album der 25-jährigen US-Sängerin Lana Del Rey. Darauf fantasiert sie sich zurück in ein längst versunkenes Ambiente von Hollywood.
Lana Del Rey ist mal wieder eines dieser Naturtalente, die sich das Popvolk via Klickrate zum Star gewählt hat. So jedenfalls geht die Universallegende.
Dass sie, die eigentlich Elizabeth Grant heißt und in New York groß wurde, nun schon seit über anderthalb Jahren bei einem Majorlabel unter Vertrag steht und dass die PR-Strategen in der Zwischenzeit das ganze Waffenarsenal zeitgenössischer Reklame aufgeboten haben, von der gezielten Infiltration sozialer Netzwerke (virales Marketing) bis zum Schmieren von Radiosendern ("payola") – all das wird man schlicht in Rechnung stellen müssen bei solchen vermeintlich basisdemokratischen Sensationserfolgen.
Trotzdem kann man sich beeindrucken lassen von der artifiziellen Stimmigkeit des Produkts Lana Del Rey. Ihre Single-Auskopplung "Video Games" ist ein makelloses Beispiel dafür. Die Instrumentierung erinnert an den Soundtrack einer alten Hollywoodschmonzette.
Es ist dieser gezügelte Bombast, der hier aufgerufen wird, mit schwebenden Harfen-Arpeggios, perkussiv gezupften Geigen und schüchternen, der Stille abgerungenen Klavierakkorden.
Diese und andere Geschichten lesen Sie in der sonntaz vom 14./15. Januar 2012 – ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk oder am eKiosk auf taz.de. Die sonntaz kommt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.
Glamour vergangener Epochen
Die 25-jährige Sängerin schwelgt hier im Glamour einer vergangenen Epoche, schlüpft in die Rolle der Sixties-Diven, die noch mit einem Bein in den Fünfzigern stehen, haucht, raunt und gibt sich hin: "I say ,You da bestest' / Lean in for a big kiss / Put his favorite perfume on …" Die scheinbar backfischhafte Koketterie mit dem libidinösen Geheimnis, das da unter der Oberfläche brodelt, darf natürlich auch nicht fehlen. "Tell me all the things you wanna do / I heard that you like the bad girls / Honey, is that true?"
In fast allen Songs findet sich diese gebrochen naive Anschmachterei an den fiktiven Liebling. Auch im Titelsong ihres wie ein Debüt verpackten neuen Albums "Born To Die", der musikalisch noch ein Pfund Kitsch obendrauf legt mit seinem Breitwand-Streicher-Arrangement wie aus einem Douglas-Sirk-Streifen, das dann aber auch mit einem verschleppten TripHop-Beat ganz im Hier und Jetzt verortet wird.
Natürlich spielt sie nur mit diesem ganz und gar anachronistischen, voremanzipatorischen Frauenbild, das sanfte Unschuld-vom-Lande-Stimmchen kippt denn auch bisweilen gefährlich in Richtung Gosse, ihr dreckiges Timbre erinnert dann ein wenig an Stevie Nicks, die sich ebenfalls in dieser Ambivalenz aus Elfe und Schlampe ganz wohlgefühlt hat.
Lana Del Reys Image ist eklektisch, das zeigen noch besser die Bilder in den unbedingt dazugehörigen Videos. In einem ihrer älteren Songs "Yayo" heißt es demonstrativ: "You have to take me right now / from this dark trailer park life now". Sie gibt die morbide White-Trash-Schönheit, die sich in die goldenen Zeiten zurücksehnt, als alles noch irgendwie mehr Spaß gemacht hat. Aber der Traum ist längst ausgeträumt, dass alte Hollywood ästhetisch, aber auch ökonomisch längst perdu, das zeigt der jeweilige Subtext unmissverständlich.
Dass auch ihr zweites Gesicht nichts weiter als eine strategisch geschickte Konstruktion ist, um sie zu erden und als Trailer-Park-Queen noch identifikationstauglicher zu machen, davon will sie in Interviews natürlich nichts wissen. Hier muss sie gewissermaßen ex officio die Authentizitätskarte ausspielen.
Auf einem Thron mit Blumenkrone
Ihre Videos sind da viel klüger, auch ihr neues zum Titelsong "Born To Die", das einmal mehr den Kontrast heraufbeschwört zwischen Wunschfantasie und harter Unterschichtenwirklichkeit. Die eine Fiktionsebene zeigt sie auf einem Thron mit Blumenkrone, von zwei Tigern bewacht, die andere als nicht ganz freiwillige Geliebte eines stark tätowierten Macho-Galans, der sie am Ende blutüberströmt auf Händen trägt.
In der Collage manifestiert sich aber nicht nur die Differenz zwischen Sehnsuchtstraum und angekratzter Gegenwartstristesse in aller Härte – die Form weist beides auch als bloße Zitate aus. Sie agiert hier gewissermaßen mit offenem Visier, offenbart sich in ihrer ganzen konstruierten Künstlichkeit.
Und das hört man auch. All die vermeintlich anachronistischen Lovesongs – "Pick me up and take me like a real man / And my bodys sweet like sugar in the morning", singt sie in "Radio" – klingen bei aller Retrofizierung keineswegs altbacken.
Man hört diesen Liedern intuitiv an, vor allem am zeitgemäß tanzbaren Rhythmusdesign, den unaufdringlichen Samples, aber auch an ihrer überspielten, ganz leicht aufgesetzten Intonation, dass man es hier nicht mit abgestaubten Archivaufnahmen zu tun bekommt. Insofern spiegelt sich in der ästhetischen Struktur des Songs noch einmal das, was die Sängerin hier darzustellen versucht.
Wie sie träumen sich die Songs nur zurück in die gute alte Zeit - und stellen damit den Akt der Wiederholung und Anverwandlung geradezu aus, um zu demonstrieren, wie heutig sie letztlich doch sind. Eine solche, geradezu aufgeklärte Selbstreflexivität diagnostiziert der britische Popautor Simon Reynolds in seinem Buch "Retromania" bei vielen aktuellen Retrostilen, etwa dem Hypnagogic Pop.
Als Popideologe muss man hier wohl das utopische Potenzial anmahnen, als bloßer Aficionado darf man sich ganz dem betörenden Stilmix hingeben – und mit vollem Wissen der Kreativindustrie auf den Leim gehen.
Lana Del Rey: "Born To Die" (Universal), ab 27. Januar im Handel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen