Debütalbum von Jay Daniel: Das Wissen der Drums
„Broken Knowz“, das Debüt des 25-jährigen Detroiter Produzenten Jay Daniel, rumpelt so toll wie kaum ein Elektronik-Album 2016.
Die besten DJs sind Griots, formulierte der US-Künstler Paul D. Miller alias DJ Spooky einmal. Die kulturellen Wurzeln des Griot lassen sich auf dem afrikanischen Kontinent ausmachen. Einst war er ein nomadischer Geschichtenerzähler, der von Dorf zu Dorf zog, um sein in Liedern überliefertes Wissen weiterzugeben. Griot-Geschichten sind keine fiktiven Erzählungen, sie speisen sich aus realen historischen Ereignissen. Der Griot ist ein poetischer Historiograf, der Momente aus dem Almanach seiner historischen Situation schneidet, um sie zu vertonen.
In dieser Analogie wird auch der House-Track zur Erzählung, die jenseits des Tonträgers Aufschluss über seine kulturellen Hintergründe gibt. Gewiss, „Broken Knowz“, das Debütalbum des 25-jährigen Detroiter House-Produzenten Jay Daniel, ist kein DJ-Futter. Man könnte sich also am Begriff des DJs aufreiben. Und läge man dabei doch falsch. Denn der elektronische Sound von Daniel verweist auf Verweben und Collagieren. Vielleicht ist der DJ-Mix im Großen, was der Track im Detail ist. Allein, welche Geschichten das Gewebe der Tracks anreichern, bleibt zu erkunden.
Daniel stellt seinem Albumtitel drei Deutungsebenen zur Seite. Mit „Broken Knowz“ bezeichnet er zum einen die abgebrochene Nase der Sphinx. „Knowz“ verweist aber auch auf „knowing“ und „knowledge“, eine bestimmte Form von Wissen. Ein zertrümmertes oder fragmentiertes Wissen, das – wie Daniel auf dem Cover schreibt – dem afrikanischen Kontinent von den Kolonisatoren geraubt wurde. Geraubtes und zerbrochenes Wissen – als wäre es eine Reliquie, die bei ihrem Transport zu Bruch gegangen ist. Es gibt in John Akomfrahs Videoessay „The Last Angel Of History“ (eine Dokumentation zu den zentralen Konzepten des Afrofuturismus) eine Szene, die eben diese Idee verbildlicht:
Das Gründungstrauma
Der „Data Thief“, Protagonist des Films, ist ein Zeitreisender, der von der Zukunft aus zurück in die Vergangenheit des schwarzen Kontinents reist. Er ist mit einer Röntgenbrille ausgestattet, die ihn in seinen archäologischen Fundstücken Ausschnitte aus der Geschichte des Kontinents, die letztendlich auch seine eigene Geschichte ist, erkennen lässt. Was fehlt, ist der Code, mit dem sich diese vereinzelten Bruchstücke zur einheitlichen Erzählung verkoppeln ließen. Das zerbrochene Wissen ist zugleich die zerbrochene Geschichte einer schwarzen Identität.
Auslöser ist der Sklavenhandel. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurden Schiffsladungen von Sklaven von Afrika aus in die „neue Welt“ verfrachtet, wo sie wie Vieh behandelt werden. Bis die Sklaverei Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem 13. Zusatz zur US-Verfassung aufgelöst wird, zerfällt jegliche Form einer kollektiven Vergangenheit. Der britische Kulturkritiker Kodwo Eshun beschrieb dieses Moment treffend als „founding trauma“ der schwarzen Identität.
Jay Daniel: "Broken Knowz" (Technicolour/Ninja Tune/Rough Trade)
Womit wir bei Daniels dritter Deutungsebene angelangt wären: „Broken Knowz“ ist das durch jahrhundertelange Unterdrückung gebrochene Volk, dessen Identität sich aus fragmentarischem Wissen speist. Einer Identität, die sich aufgrund ihrer historischen Entwicklung immer nur über ihren Widerpart vernehmen kann – „double consciousness“ nannte das der schwarze Bürgerrechtler W. E. B. Du Bois zu Beginn des 20. Jahrhunderts. All das durchtränkt also den kulturellen Unterboden, auf dem sich Jay Daniels Debütalbum bewegt.
Was sich bewegt, das sind vor allem die Drums. „Broken Knowz“ ist ein äußerst karges und rohes Album, das fast wie eine Sammlung rhythmischer Skizzen wirkt. Aus eben dieser Kargheit ziehen die Beats zugleich eine irre Kraft, die sich nur mühsam in Synthesizerhooks abdämpfen lässt. Die ästhetische Referenz zur Detroiter House-Ikone Theo Parrish drängt sich auf, nicht zuletzt der Anleihen beim Jazz wegen. Parrish hat auch die ersten Tracks von Jay Daniels veröffentlicht und damit schon klargemacht, dass diesem Young Gun eine große Zukunft bevorsteht. Auch das ist natürlich ein großes Kompliment.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste