Debütalbum "Dance Mother" von Telepathe: Wackel mit dem Arsch
In New York fallen die interessanten Bands derzeit wie reife Äpfel von den Bäumen. Zum Beispiel Telepathe, deren Debütalbum von rhythmischer Extravaganz geprägt ist.
"Egal in welche Richtung ich ziele, würde ich einen Stein werfen, wäre die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich mit dem Wurf einen Avantgardemusiker treffe." Busy Gangnes ist jung, selbstbewusst und wohnt mitten im New Yorker Stadtbezirk Brooklyn. Dort fallen interessante Bands zurzeit wieder wie reife Äpfel von den Bäumen.
Gangnes gehört als eine Hälfte des Duos Telepathe selbst zur Szene. Die andere Bandhälfte heißt Melissa Livaudais. Bei Telepathe singen beide Musikerinnen, bedienen Keyboards, spielen Gitarre und verstehen sich auf eine tribalistische Handhabung der Drums. Sie trommeln, programmieren aber auch rumpelnde Beats am Computer. Die rhythmischen Extravaganzen dürften dabei nur ein Grund sein, warum das Telepathe-Debütalbum "Dance Mother" momentan überall die Geschmacksnerven trifft. Eigentlich müsste der Albumtitel korrekt "Dance, Motherfucker" (Wackel mit dem Arsch) heißen.
"Dance Mother" lässt dagegen im Unklaren, ob Telepathe nur der Zensur einen Streich spielen oder einen der Imperative von elektronischer Tanzmusik mit links aushebeln. Tanzen lässt sich zu ihrer Musik allemal. Die Beats sind scharf angeschnitten und meistens synkopiert. Für Dynamik sorgen abrupte Tempowechsel. Außerdem lassen Telepathe immer wieder schneidige Wirbel über alle Trommeln rollen, unterbrechen den Fluss, markieren Brüche. Die Trommelwirbel werden gesampelt und dringen als zerstückelte Groove-Partikel durch Klangfilter.
Anders als der schlanke 4-to-the-Floor des Techno bewegt sich das Beatdesign von Telepathe seitwärts tänzelnd. Es fehlen auch die flächigen Sounds, stattdessen gibt es melodiöse Gesangsmelodien und modulierte Keyboard-Hooklines.
Produziert wurde "Dance Mother" von David Sitek, Mitglied der New Yorker Band TV on the Radio und ein gefragter Toningenieur.
Das Klangmuster von Telepathe ist allerdings weniger mit seltsamer Rockmusik verwandt. Eher stehen R&B-Charthits Pate für ihre Musik. "Ich höre nichts anderes als Hot 97", gesteht Busy Gangnes. Hot 97 ist in New York eine Institution, was Black Music angeht. Hiphop-Produzenten haben dort eigene Radiosendungen, produzieren DJ-Mixe und machen neueste Trends von der Straße salonfähig.
"Dance Mother" besitzt auch einige Merkmale dessen, was angloamerikanische Musikkritiker "Sonic Hauntology" nennen. Das fängt beim Plattencover an, das in schlichtes Schwarz getaucht ist und die Musikerinnen im Foto als somnambule Wesen zeigt. Auch die Stimmen von Gangnes und Livaudais haben eine gespenstische Präsenz. Man könnte "Gothic" zu diesen Stimmen sagen und eine Verbindungslinie zu Siouxsie and the Banshees und ihrem tribalistischem New-Wave-Ansatz von 1980 ziehen. Vielleicht klingen aus Telepathe - Sonic-Youth-Bassistin Kim Gordon führt das seit Jahren ziemlich perfekt vor - aber auch die Albträume überspannter Großstädterinnen.
In den Songtexten tauchen an verschiedenen Stellen abgedroschene Dance-Parolen auf. Sie wirken inmitten blutiger Mordfantasien surreal. Die Respekt einflößenden Texte sind sicher eine Antwort auf frauenfeindliche Hiphop-Texte und leere Männlichkeitsgesten im Rock. "Sonic Hauntology" leitet sich von einem Begriff des französischen Philosophen Jacques Derrida ab. "Haunt" (spuken) setzte er in Beziehung zur Onthologie, um mit dem Substantiv "Hauntologie" nach den Gespenstern zu forschen, die der Marxismus nach dem Ende der Geschichte hinterlassen hat.
In der Hauntologie wird das Primat des Seins von dem verdrängt, was im Sein herumspukt. Telepathe machen alles, nur keinen Retro. Sie spuken durch Stile, Klangmuster und Produktionsbedingungen und lassen eigene Anteile aus ihren Persönlichkeiten so einfließen, dass "Dance Mother" einen Sound bekommt, den es in dieser Ballung so nie gegeben hat.
Telepathe, "Dance Mother" (V 2/Cooperative Music/Universal)
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