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Debüt der Musikerin Laura CahenWie ein schwarzer Vogel

Ihr Album „Nord“ erinnert an die Vertreibung ihrer jüdischen Vorfahren aus Spanien nach Algerien und von dort nach Frankreich.

Die Augen von Laura Cahen Foto: Musszo Booking

Laura Cahen will sich nicht beschweren. Meist habe sie exzellente Kompositionsbedingungen, erzählt die französische Künstlerin. Momente, in denen sich innere Ruhe und Bewegung zeitgleich ergeben, Spaziergänge durch die Vogesen, die sich bestens zur kreativen Intro­spektion eignen. Nur gerade jetzt will es mit dem Schrei­ben von Songs nicht so recht klappen, seufzt sie. „Ich muss noch mehr Erlebnisse horten, Ideen reifen lassen“.

Wie sonst auch in ihren produktiven Phasen unterwirft sich die 27-Jährige beim Komponieren formalen Beschränkungen nach dem Prinzip der Écriture automatique. „Bisweilen entstehen dabei brauchbare Zeilen“, so Cahen. Wenn sie zehn Minuten vor sich hin schreibe, ohne den Stift wegzulegen. Auf diese Technik haben sie die Surrealisten gebracht, deren Poesie sie in der Schule entdeckte. Fortan ließ sie beim Komponieren ihrem Unterbewusstsein freien Lauf, um dem, was tief in ihr liegt, Ausdruck zu verleihen.

So sammelte sie auf ihrem Debütalbum „Nord“ von 2016 äußerst persönliche Lieder, deren unheimliche Poesie nicht zuletzt von ihrer innigen Beziehung zur Natur zeugt. „Das Album habe ich in vier Kapiteln beziehungsweise vier Jahreszeiten untergliedert“, erklärt Cahen. „Es folgt einem Zyklus – mit all dem, was das impliziert: die Knospen, das Aufbrechen, die Hitze, dann das Schwinden, die Kälte und der Tod“.

Die Arbeit an „Nord“ hat vier Jahre in Anspruch genommen. „Es lief weitgehend do it yourself“, erinnert sich Cahen. Zunächst sammelte sie per Crowdfunding das Budget, wobei die erreichte Summe die anvisierte übertraf. Dem französischen Konzertpublikum war Cahen eben keine Unbekannte mehr.

Während ihres Gesangsstudiums in der lothringischen Stadt Nancy, wo sie auch geboren ist, gründete Cahen Deux Z’elles, ein Duo, und fing parallel an, solo aufzutreten. 2012 erschien eine erste, schlicht „Laura Cahen“ betitelte EP mit vier Titeln, darunter das frivole „Mon loup“ (Mein Wolf), das prompt bei Radio France Inter lief. 2013 wurde Cahen von einem vom französischen Kultusministeriums ins Leben gerufenen Verein gefördert, und stellte sich auf der Newcomer-Bühne des Musikfestivals „Printemps de Bourges“ vor. Es folgten über 200 Konzerte.

Die Maske einer Kämpferin

Wie auf dem Cover tritt sie stets mit schwarz geschminkter Augenpartie auf. Seit sie bei den Aufnahmen des Videos zum Song „Loin“ (Fern) durch die wilde Landschaft der Insel Saint-Pierre et Miquelon an der Ostküste Kanadas streifte, bemalt sie ihre Augen. „Im Clip symbolisieren sie einen schwarzen Vogel“, erklärt Cahen. Wie die Maske einer Kämpferin gebe ihr die Schminke Kraft, auf der Bühne eine starke Frau zu verkörpern. „Es erinnert auch an die Schminke der Berberfrauen Anfang des 20. Jahrhunderts und damit an meine Ursprünge.“

In „Nord“ geht es eben auch um Migration – unter anderem ihrer jüdischen Vorfahren, die im 15. Jahrhundert aus Spanien vertrieben wurden. „Sie zogen in den Maghreb“, erzählt Cahen, „bis meine Mutter 1962 aus Algerien nach Frankreich auswandern musste.“ Mit dem Ende des Unabhängigkeitskrieges gegen die französische Kolonialmacht mussten nicht nur die Besatzer das Land verlassen, sondern auch etwa 150.000 Juden ihre Heimat.

Laura Cahen

„Nord“ (Le Phonographe). Live: 8.12.2017, Berghain-Kantine, Berlin

Ihre Familiengeschichte kennt Cahen nur in groben Zügen, aber sie trägt sie in sich, „als hätte sich der Eindruck einer erzwungenen Bewegung gen Norden in meine Zellen geprägt“, so Cahen. „Wenn ich komponiere, kommt es manchmal hoch.“

Beats mit Säcken voller Nägel

Oft beschwören die perkussiven Elemente des Albums einen Marsch, ein Vorwärtstreiben, einen Galopp. „Zusätzlich zum Schlagzeug haben wir im Studio beim Einspielen der Rhythmen mit allerlei Perkussion experimentiert, manchmal auch Beats mit bloßen Händen und mit Säcken voller Nägel erschaffen.“ Mal düster und kalt erklingt die orchestrale Klangkulisse, mal evoziert sie die täuschende Nonchalance aus Serge Gainsbourgs „Melody-Nelson-Phase“. Oft wirkt Cahens Musik wie ein vorbeiziehendes Dekor, vor dem ihre geschwungene Stimme ihren Platz fordert.

Auf ihre Performance am 8. Dezember in Berlin darf man gespannt sein. Zu ihrem Quartett – Gitarre, Bass, Schlagzeug, Klavier – gesellt sich das Junge Ensemble Berlin mit Violine, Bratsche, Klarinette, Trompete und Horn zu einer einmaligen Koproduktion.

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