Debatte: Deutschland überfordert seine Mütter

Eine UNICEF-Studie belegt, dass deutsche Kinder keine gute Lebensumwelt haben. Nicht obwohl sondern weil Mütter hierzulande zu Hause bleiben.

In Sachen Kinderfreundlichkeit behauptet sich das reiche Deutschland nur knapp im Mittelfeld. Vier Indikatoren in der Unicef-Studie werfen Schlaglichter auf eine Kindheit, die besser verlaufen könnte. Zum Ersten sind verhältnismäßig viele Kinder hierzulande arm, obwohl Familien stark subventioniert werden. Das Geld kommt offenbar bei den Kindern kaum an. Zum Zweiten bekommen deutsche Kinder den wenigsten Zuspruch von allen. Zum Dritten, und das kann man geradezu als Folge aus Befund zwei interpretieren: deutsche Kinder neigen verstärkt zu Risikoverhalten wie Rauchen und Trinken. Und zum vierten: Mädchen fühlen sich mit zunehmendem Alter signifikant stärker unwohl als Jungen.

All diese Befunde weisen darauf hin, dass die deutsche Kinderpolitik nicht gerade optimal ist. Aber was ist das deutsche Modell? Es ist die langjährige Überzeugung, dass Kinder am besten bei der Mutter daheim aufgehoben sind und man sich in deren Erziehung nicht einmischt. Deshalb das viele Kindergeld, deshalb so wenig aushäusige Erziehung. Ein Modell, das nach dem Krieg wiederbelebt wurde, weil man nie wieder staatliche Erziehungsprogramme wie die der Nazis haben wollte. Doch wurde damit eben auf ein bürgerliches Modell aus dem 19. Jahrhundert zurückgegriffen, das im 21. Jahrhundert nicht mehr richtig funktioniert.

Die Mütter sind überfordert. Kinder von heute sind Medieneinflüssen ausgesetzt, müssen sich in komplexen sozialen Situationen behaupten und brauchen viel mehr Orientierung als früher. Das kann keine Mutter daheim leisten - und auch kein Vater. Die Kinder müssen hinaus in die Welt und all diese Orientierungen vor allem mit Gleichaltrigen lernen. Und die Mädchen? Offenbar ist es nicht leicht, sich in den Rollenanforderungen zurechtzufinden. Da ist die Mutter, die sich für die Familie aufgeopfert hat, und da sind andererseits Karriereträume, für deren Verwirklichung man vielleicht gar kein Rüstzeug mitbekommen hat. Die Verfasser der Studie haben Recht: Es wird Zeit, dass Staat und Gesellschaft die Mütter mit mehr Einrichtungen für Kinder entlasten. HEIDE OESTREICH

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Jahrgang 1968, ist seit langem Redakteurin für Geschlechterpolitik in der taz und im kulturradio vom RBB. Von ihr erschien unter anderem das Buch „Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam“. 2009 wurde sie mit dem Preis „Der lange Atem“ des Journalistenverbands Berlin Brandenburg für die Berichterstattung über Geschlechterstereotype ausgezeichnet.

Jahrgang 1968, ist seit langem Redakteurin für Geschlechterpolitik in der taz und im kulturradio vom RBB. Von ihr erschien unter anderem das Buch „Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam“. 2009 wurde sie mit dem Preis „Der lange Atem“ des Journalistenverbands Berlin Brandenburg für die Berichterstattung über Geschlechterstereotype ausgezeichnet.

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