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DebatteEin Hoch auf den Ökostalinismus

Kommentar von Nicola Liebert

Umwelt- und Klimaschutz kommen in Deutschland zu kurz, weil alle Politikvarianten als dirigistisch oder unsozial abgelehnt werden. Um das V-Wort kommen wir nicht herum.

W ir Deutschen sonnen uns gerne in dem Gefühl, ein Volk von Umweltschützern zu sein. Den Begriff Waldsterben haben wir erfunden, beim Mülltrennen macht uns niemand was vor, und Greenpeace kriegt nirgends mehr Spenden als hierzulande. Da wäre es doch gelacht, wenn wir uns nicht, zu einer internationalen Speerspitze formiert, der drängendsten Herausforderung stellten: dem Klimawandel. Zumal ja auch längst bekannt ist, was zu geschehen hat: mehr regenerative statt fossile Energien benutzen, weniger Autofahren und noch viel weniger fliegen, Häuser besser isolieren und mit effizienteren Heizungen ausstatten, Energiesparlampen und sparsame Haushaltsgeräte kaufen und nicht zuletzt weniger Fleisch und mehr Produkte aus Ökolandbau essen. Wir müssen uns nur noch überlegen, wie wir all dieses am besten umsetzen.

Da wären erstens Appelle an die Vernunft. Lieber König Verbraucher, kaufe doch bitte Energiesparlampen. Die sparen nicht nur Energie, sondern auch massenhaft Geld. Denn obwohl sie mindestens fünfmal so viel kosten wie herkömmliche Birnen, verbrauchen sie nur ein Fünftel des Stroms und halten obendrein acht- bis zehnmal so lange. Wie, der Appell funktioniert nicht? Immer noch kommen auf eine verkaufte Sparlampe zehn herkömmliche Birnen? Ökonomen und Psychologen rätseln gemeinsam über diese sture Weigerung der Menschen, sich wie vernunftbegabte Wesen zu benehmen. Es soll etwas damit zu tun haben, dass die sofortige Einsparung beim Kauf der Billig-Birnen als befriedigender empfunden wird als die langfristige, bei jeder einzelnen Stromrechnung kaum erkennbare Ersparnis durch die Sparlampen.

Nun, dann muss man womöglich zur zweiten Methode greifen, der australischen Holzhammermethode: Der Staat verbietet ganz einfach die verschwenderischen Alt-Birnen. Vor Australien hat diesen Weg schon Kuba beschritten. Ein kommunistisches Land - da sieht man gleich, welch Geistes Kind Politiker sind, die so vorgehen: Es sind lauter kleine Stalinisten. Ökostalinisten eben. Diktaturen jedweder Couleur aber, ob rot oder grün, sind zu bekämpfen. Als ob die Menschen nicht frei wären, selbst zu entscheiden!

Um die freie Entscheidung in die richtige Richtung zu lenken, bliebe dann also, drittens, die Lenkung per Preis - mithin die marktwirtschaftliche Methode. Unlängst kam der Verkehrsminister auf die nahe liegende Idee, mit Hilfe dieser Methode für mehr Klimaschutz im Automobilsektor zu sorgen. Die Kfz-Steuer solle künftig einfach dem Treibhausgasausstoß bemessen werden. Als prompte Reaktion folgte da nicht etwa Lob oder wenigstens eine Einsicht in die Notwendigkeit, sondern ein Aufjaulen in allen politischen Lagern: So gehts nicht! Zentrales Argument: dadurch wäre der kleine Mann benachteiligt, denn der könne sich ja nicht eben schnell ein neues Auto mit besseren CO2-Werten leisten. Dass die Verteilung knapper Ressourcen in der Marktwirtschaft immer per Preis geregelt wird und dass davon immer die Armen härter betroffen sind als die Reichen, davon reden wir jetzt gerade nicht.

Welche Möglichkeiten bleiben der Klimapolitik also? Staatliche Auflagen über den Schadstoffausstoß oder den Benzinverbrauch sind ganz tabu. Da braucht es nicht mal einen Aufschrei, da reicht der knappe Hinweis auf die Arbeitsplätze in der deutschen Automobilindustrie. Die behauptet nun mal mit dicken, schnellen und leider ziemlich klimaschädlichen Schlitten ihren Platz im globalen Wettbewerb.

Bleibt noch die Möglichkeit, den Kauf von Autos mit geringem CO2-Ausstoß finanziell zu fördern. Auch hier wieder die Reaktion: laute Protestschreie, diesmal vor allem aus dem Lager der Umweltschützer selbst. Erstens gäbe es dann gar keinen Anreiz, die alten Stinker aus dem Verkehr zu ziehen, und zweitens würde der Kauf von Autos - die bestenfalls weniger umweltschädigend sein können, aber niemals umweltfreundlich - auch noch aus knappen Steuermitteln belohnt. Dabei komme es beim CO2-Ausstoß weniger aufs Automodell an als vielmehr darauf, wie viel gefahren wird. Deshalb solle man doch besser die Mineralölsteuer hochsetzen. Aufschrei des ADAC, der Verteidiger des kleinen Mannes und der Anwohner grenznaher Regionen, die schon jetzt unter dem massenhaften Tanktourismus leiden. Und so weiter. Was also tut das Volk von Umweltschützern in dieser Zwickmühle? Nichts.

Denn es gilt hierzulande eine strenge Regel in der Umweltpolitik: Sie darf niemandem wehtun. Hauptsache kein Verzicht auf gar nichts, weder auf Konsum noch auf Arbeitsplätze, selbst in der letzten Uraltindustrie. Wer dagegen verstößt, muss an den Pranger, bekommt ein Schild mit der Aufschrift "Ökostalinist" um den Hals und braucht sich als Politiker um Wiederwahl gar nicht mehr zu bemühen beziehungsweise als Umweltverbandsmensch nicht mehr um seine Spender. Deshalb überschlagen sich Umweltschützer und Umweltpolitiker in ihrem Bemühen, uns vorzurechnen, wie viele neue Arbeitsplätze in der Umweltbranche entstehen und dass Energiesparen und Klimaschutz ohne jeden Verzicht auf Bequemlichkeit problemlos möglich seien.

Das mag bei den Energiesparlampen sogar noch funktionieren oder auch beim Ökostrom, der dank (übrigens staatlich-dirigistischer) Vergütung für die Einspeisung ins Netz inzwischen kaum noch teurer als herkömmlicher ist. Es funktioniert aber schon nur noch eingeschränkt, wenn man beispielsweise für die energiesparende Waschmaschine eben mal schnell ein paar Hunderter mehr hinlegen muss. Oder wenn der von Arbeitslosigkeit bedrohte Braunkohlekumpel mit neu entstehenden High-Tech-Jobs bei Solarzellenherstellern vertröstet werden soll. Und es funktioniert ganz schlecht, wenn man jemanden - gar sich selbst - davon überzeugen will, dass der Strandurlaub an der Nordsee auch bei Regen genauso gut wie unter Palmen auf den Kanaren sei beziehungsweise Einkaufen auf der Düsseldorfer Kö genauso schön wie auf der New Yorker Fifth Avenue. Oder dass man vom Häuschen im kindgerechten Grünen zum Gewerbegebiet auf der anderen Stadtseite ebenso gut mit dem öffentlichen Verkehr pendeln könne wie mit dem Auto. Oder dass ein Gemüseauflauf ein vollwertiger Ersatz für einen saftigen Sonntagsbraten sei.

Das alles erinnert an die gut gemeinten Bemühungen von Eltern, die ihre Kinder vom tonnenweisen Verzehr von Schokolade abzuhalten versuchen, indem sie darauf verweisen, dass Äpfel doch auch süß seien - und zusätzlich gesund. Das funktioniert nicht, es hilft nur, den Kurzen ganz dirigistisch weniger Schokolade zu kaufen. Oder die marktwirtschaftliche Variante: weniger Taschengeld zum Kauf von Süßkram.

So oder so, es läuft auf das V-Wort hinaus. V wie Verzicht. Wir können uns nicht einerseits mit Schokolade voll stopfen und andererseits nicht dick werden. Wir können nicht einerseits das Klima retten wollen und andererseits ganz genauso weitermachen wie bisher. NICOLA LIEBERT

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