Debatte: Gabriel, mach Tempo!
Raser gefährden Menschen und Umwelt gleichermaßen. Die Zeit für Tempolimits ist gekommen, denn es schützt das Klima, ohne Kosten zu verursachen.
N ie war der Zeitpunkt für ein Tempolimit besser. Alle reden vom Klimaschutz, die Autoindustrie steht selbst in einigen konservativen Medien als großer Verhinderer da. Sogar Brüssel leistet Schützenhilfe in Gestalt des Umweltkommissars Stavros Dimas, der die Deutschen ermahnt, endlich ein Tempolimit auf ihren Autobahnen einzuführen. Schließlich haben alle anderen EU-Staaten, bis auf Lettland, Estland und Malta, längst ihre Geschwindigkeit begrenzt.
Katharina Koufen (36) seit 2006 Korrespondentin im taz-Parlamentsbüro, beobachtet Auf- und Niedergang einer fraktionsübergreifenden "Tempo 130"-Initiative.
Man könnte also meinen, die Regierung erkenne die Zeichen und ergreife die Chance, eine Geschwindkeitsbegrenzung einzuführen. Doch weit gefehlt. Kaum haben einige Abgeordnete fraktionsübergreifend eine Initiative für Tempo 130 gestartet, wurden sie schon wieder von den Fraktionsspitzen der SPD, der FDP und vor allem der Union ausgebremst. Bei den meisten Politikern scheint das Thema Tempolimit mit einem Tabu belegt zu sein. Das hat nicht nur Folgen für die Politik, sondern auch für die Forschung. Seriöse Zahlen über Motorleistung, Schadstoffausstoß und Geschwindigkeit auf deutschen Autobahnen sind so gut wie nicht erhältlich. Das zuständige Bundesamt für Straßenwesen, eine nachgeordnete Behörde des Verkehrsministeriums, veröffentlicht seit Anfang der 90er Jahre keine statistischen Daten mehr. Die Regierungen - egal, ob schwarz-gelb, rot-grün oder schwarz-rot - haben offenbar kein Interesse daran, schwarz auf weiß zur Kenntnis nehmen zu müssen, dass immer mehr, immer schnellere und immer stärker motorisierte Autos unterwegs sind.
Sie halten lieber an ihren alten Argumenten gegen ein Tempolimit fest. Die aber sind so alt wie hinfällig. Da wäre zunächst der Hinweis auf die vermeintliche Freiheit, die die Deutschen angeblich so gerne auf der Autobahn ausleben. Für den Deutschen, so glauben viele Politiker, ist die Freiheit zu rasen ähnlich bedeutend wie für den Amerikaner die Freiheit, seine Waffe zu tragen. Irrational, aber elementar. Es gehört irgendwie zum Lebensgefühl dazu. Offenbar verwechseln viele Politiker dabei ihr eigenes Lebensgefühl mit demjenigen der Bevölkerungsmehrheit. Die meisten Politiker sind männlich, verdienen gut und stehen unter Zeitdruck. Damit gehören sie zu den typischen Käufern schneller Autos.
Ihrem "Freiheitsargument" widersprechen aber folgende Zahlen: Rund zwei Drittel der Deutschen sind für ein Tempolimit auf der Autobahn; 54 Prozent der Deutschen haben beim Autofahren Angst. Besonders häufig wird folgende Situation genannt: Beim Überholen eines Lkws erscheint im Rückspiegel ein "Raser" und kommt bedrohlich näher. Im Jahr 2005 starben von 662 auf der Autobahn Verunglückten 428 auf Streckenabschnitten ohne Tempolimit - und dies, obwohl dessen Gegner gerne anführen, alle gefährlichen Stellen seien schon reglementiert. Für drei von vier Menschen bedeutet die Fahrt mit Tempo 180 oder 200 auf der Autobahn keinen Freiheitsrausch, sondern Anspannung und Anstrengung. Gerade ältere Leute erzählen, dass sie sich erst entspannen, sobald sie die Grenze nach Holland oder Frankreich passiert haben. Auch der demografische Wandel spricht also für ein Tempolimit - "Entschleunigung" zugunsten der Alten.
Als zweites Argument folgt für gewöhnlich die Automobilindustrie, Jobmotor der deutschen Wirtschaft. Für sie bedeute ein Tempolimit herbe Wettbewerbsnachteile, heißt es. Auch dieses Argument lässt sich nicht halten. Im Gegenteil: Man muss die Autoindustrie zu ihrem Glück zwingen. Hätte die Politik in den 80er Jahren den Katalysator nicht gegen den massiven Widerstand der Autohersteller durchgesetzt - BMW, Daimler und Co. wären heute längst abgehängt von der technologischen Entwicklung. Genauso werden sich die deutschen Firmen selbst ins Aus befördern, wenn sie nicht bald auf sparsamere Autos setzen. Mit dem Tempolimit würde der letzte Grund fallen, warum bei deutschen Autos Stärke und Schnelligkeit im Vordergrund stehen müssen. Sogar in den USA, die bisher als resistent gegen hohe Spritpreise und Umweltschutz galten, bricht derzeit die Nachfrage nach starken Autos ein.
Und dann die Mär vom "Exportmotor" Autoindustrie. Stimmt, BMW und Porsche verkaufen rund drei Viertel ihrer Fahrzeuge im Ausland. Angeblich werden diese Autos auch in anderen Ländern deshalb gekauft, weil sie so schnell sind. Umgekehrt: Wären sie nicht mehr so schnell, würden sie nicht mehr gekauft. Doch gilt - mit wenigen Ausnahmen - in allen Ländern dieser Welt bereits heute ein Tempolimit. Bisher hat das Franzosen oder Amerikaner nicht davon abgehalten, schnelle deutsche Autos zu kaufen.
Oft argumentieren die Gegner des Tempolimits auch einfach damit, dass "die Einschränkung der Freiheit in keinem Verhältnis zum Nutzen steht". Und zwar nicht nur hinsichtlich des Öko-Faktors, sondern auch im Hinblick auf Verkehrssicherheit. Dieses Thema schafft es seltsamerweise seit Jahren nicht, zum Mainstream zu werden. Wird ein Kind von einem Hund totgebissen, erfolgt ein landesweiter Aufschrei nach Maulkorbzwang und Kampfhundeverbot. Aber mehr als 5.000 Verkehrstote pro Jahr lassen die Nation kalt. Mit einem Tempolimit von 130 könnten jährlich rund 120 Menschen mehr das Autobahnfahren überleben - immerhin vier bis sechs Schulklassen.
Schließlich versuchen die Gegner des Tempolimits, diese Maßnahme als Aktionismus abzutun. Eine Begrenzung auf 130 Stundenkilometer erbrächte beim CO2-Ausstoß eine Ersparnis von 0,9 Prozent , bügeln die Gegner den Vorschlag ab - Peanuts. Aber halt: Kennen Sie dieses Poster mit dem Haus, das eine rote Mütze aufhat? Die Bundesregierung wirbt damit für ihr Gebäudesanierungsprogramm. Fragt man Politiker derzeit nach konkreten Maßnahmen zum Klimaschutz - die Dämmung von Altbauten wird garantiert in der Antwort vorkommen. Diese Maßnahme hat in einem Jahr laut Bundesregierung rund 900.000 Tonnen CO2 eingespart. Ein Tempolimit von 130 km/h brächte es Berechnungen des Verkehrsclubs Deutschland zufolge auf mindestens zwei Millionen Tonnen, also doppelt so viel, und das ganz ohne Kosten.
Darüber hinaus würde sich auch weltweit der CO2 Ausstoß verringern. Bisher werden, Deutschland sei dank, serienmäßig alle Autos dieser Welt für Höchstgeschwindigkeiten weit über 200 Stundenkilometer gebaut. Würden Autos von vornherein für ein geringeres Tempo konzipiert, könnte dadurch je nach Modell der Spritverbrauch bis zu einem Drittel reduziert werden.
Im Übrigen ist klar, dass jede dieser Maßnahmen zum Klimaschutz für sich nicht ausreichen wird, um die 270 Millionen Tonnen zu erreichen, die Deutschland laut Umweltminister Sigmar Gabriel bis 2020 einsparen will. Aber Kleinvieh macht Mist - und nicht zu wenig: 27 Millionen Tonnen CO2 ließen sich mit einem Tempolimit bis 2020 einsparen. Das wären immerhin zehn Prozent. Herr Gabriel täte gut daran, sich für die fraktionsübergreifende Initiative stark zu machen.
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