Debatte um Radio Multikulti: Dagmar Reim rechnet ab
Die Intendantin des RBB beklagt "Abgründe von Heuchelei" bei Berliner Politikern: Diese würden öffentlich gegen die Schließung von Radio Multikulti protestieren, obwohl sie eigentlich dafür sind.
Dagmar Reim keilt zurück. Die Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) war in den vergangenen Monaten wegen der geplanten Schließung des Radiosenders Multikulti in die Kritik geraten. Auf einer internen Versammlung vor Mitarbeitern ging sie nach taz-Informationen in die Offensive und sagte über den Protest aus den Berliner Parteien nach Ohrenzeugenberichten: "Mit diesen Parteien habe ich meine Erfahrungen gemacht. Und Erfahrungen seit Mai, die ich mir so nie hätte albträumen lassen. Ich deute es in aller Dezenz an: Ich habe in Abgründe von Heuchelei geblickt."
Reim behauptet: Viele Politiker hätten ihr in vertraulichen Gesprächen gesagt, die Schließung des Radiosenders sei richtig und der einzige Schritt, den sie machen könne. Gleichzeitig hätten die nicht namentlich genannten Politiker jedoch angekündigt, sie würden Reim in der Öffentlichkeit "politisch hart angreifen, denn es ist politisch korrekt, Sie hart anzugreifen". Sie habe dies "von Menschen gehört, von denen ich mir nie, aber auch wirklich nie das hätte vorstellen können". Und es seien "nicht wenige" gewesen, sagte Reim. Inzwischen kursiert sogar ein heimlich aufgezeichneter Mitschnitt von Reims Rede, die sie bereits Anfang November hielt.
Im Mai hatte Reim erstmals angekündigt, die Radiowelle Multikulti und das Fernsehmagazin "Polylux" zum Ende des Jahres einzustellen. Hintergrund ist, dass dem Rundfunk Berlin-Brandenburg durch besonders viele Schwarzseher und von der Rundfunkgebühr befreite Hartz-IV-Empfänger in den nächsten vier Jahren 54 Millionen Euro in der Kasse fehlen.
Nicht nur Politiker hatten sich allerdings für Radio Multikulti ausgesprochen - auch Prominente protestierten. Doch auch deren Stimme hat für Reim kein Gewicht: "Was mir aber auch zu Herzen geht, ist die absolut gedankenlose, sogenannte Solidarität" von Leuten, die von sich sagen: "ich bin ein Mega-Promi, ich bin ein Halb-Promi, ich bin ein Drittel-Promi und unterschreibe mal da eben".
Die Namen der von Reim kritisierten Prominenz sind bekannt - unterschrieben hatten unter anderem der DGB-Vorsitzende Michael Sommer, der Kabarettist Dieter Hildebrandt, der Schriftsteller Wladimir Kaminer, der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet (CDU), der Comiczeichner Gerhard Seyfried und die ehemalige Verfassungsgerichtspräsidentin Jutta Limbach. Aber welches sind die Politiker, denen Reim in ihrer Rede "Heuchelei" vorwarf? "Das war eine interne Veranstaltung und die kommentieren wir nicht", sagt Reims Sprecher Ralph Kotsch.
Alice Ströver, die medienpolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, hat dagegen eine Vermutung, wen Reim gemeint haben könnte. Sie glaubt: Es hat Absprachen zwischen dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und dem RBB gegeben. Reim habe sich vorab das Einverständnis von Wowereit geholt. "Ich würde ihr zustimmen, dass da irre viel Heuchelei im Spiel war." In der Öffentlichkeit hatte Wowereit wiederholt gesagt, er "bedauere es außerordentlich", dass Radio Multikulti eingestellt wird.
War er intern doch damit einverstanden? Wowereits Sprecher Richard Meng weist das zurück: "Ich sehe nicht, dass Wowereit irgendwo in irgendeiner Form heucheln würde. Er sagt, was er tut, und tut, was er sagt."
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