Debatte Zuschussrente: Kfz-Meister gegen Pflegerin
Die Vorschläge für die Aufstockung von Kleinrenten berühren heikle Gerechtigkeitsfragen. Das „Verhetzungspotenzial“ ist groß.
D er „Rentenschock“ ist da – und er verbindet sich mit dem schwelenden Unmut über ungerechte Löhne. Eine Pflegehelferin, die eine gesellschaftlich hochwichtige Arbeit verrichtet, bekommt vielerorts 9 Euro brutto die Stunde. Die daraus zu erwartende Rente ist in Zukunft so niedrig, dass sie noch nicht mal in der Schocktabelle von Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) verzeichnet war.
Die Rentendebatte zielt daher mitten ins Herz der Arbeitsgesellschaft mit ihrer zentralen Frage nach dem Wert der Lebensleistung. Diese Gerechtigkeitsfrage spielt sich nicht nur in der Vertikalen, sondern auch in der Horizontalen ab, zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen in den Mittelschichten. Das zeigt sich jetzt in der Schlacht um das moralisch bessere Zusatzrentenkonzept, die zwischen Sozialpolitikern in der Union und der SPD, mit Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) und dem SPD-Parteichef Sigmar Gabriel entbrannt ist.
Von der Leyen will mit ihrer Zuschussrente vor allem die Kleinrenten alleinstehender Mütter aufstocken, die Teilzeit gearbeitet haben. Das Konzept von SPD-Chef Gabriel möchte die Kleinrenten gleichfalls auf eine „Solidarrente“ ergänzen, auch auf maximal 850 Euro brutto.
ist Redakteurin für Gesellschaftspolitik im Inlandsressort der taz. Zu Altersfragen erschien von ihr vor kurzem das Buch „Älter werden ist viel schöner, als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten“ (Mosaik 2012).
Im Gabriel-Konzept heißt es aber, der „Nachweis der Vollzeittätigkeit“ sei eine „wichtige Voraussetzung“ für die Aufstockung. Die alleinerziehende Teilzeit-Verkäuferin bekäme laut dem Gabriel-Vorschlag am Ende nicht die gleiche „Solidarrente“ wie der vollzeitackernde Leiharbeiter in der Industrie, trotz der geleisteten Erziehungsarbeit.
Feinheiten mit Gefahren
Dann wird auch die Frage der Anrechnung von Besitz und weiteren Einkommen in beiden Konzepten unterschiedlich gehandhabt. Im Von-der-Leyen-Konzept der Zuschussrente soll das Einkommen eines Partners im Alter bei der Aufstockung mit berücksichtigt werden, im Gabriel-Konzept hingegen nicht.
Die Zusatzrenten sollen in beiden Konzepten ohne Prüfung des Vermögens gewährt werden, nur laufende Einkünfte aus der zusätzlichen Altersvorsorge werden teilweise mit berücksichtigt.
Man ahnt schon das „Verhetzungspotenzial“, das in diesen Feinheiten steckt. Denn gerade in den Milieus der Mittelschichten vergleicht sich jeder gerne mit dem andern und das wird bei der Gewährung von öffentlich finanzierten Zusatzrenten nicht anders sein. Da stehen dann nicht nur Besserverdiener gegen Schlechterverdiener, sondern auch Männer gegen Frauen, Kinderlose gegen Mütter, Alleinstehende gegen Verheiratete, Nichtvermögende gegen Erben.
Eine solche Gemengelage in der Wählerschaft ist ein Albtraum für jeden Sozialpolitiker. Das ist auch der Grund, warum die Frontlinien in dieser Debatte so verwirrend geworden sind, dass jetzt sogar CDU-Sozialministerin Ursula von der Leyen das Gabriel-Konzept lobt und junge SPD-Linke den Erhalt des bisherigen Rentenniveaus fordern, obwohl dieses Niveau sinken soll, um gerade jüngere Beitragszahler zu entlasten.
80 Euro mehr – das ist alles
Im Streit über die Zuschussrenten gerät dabei gerne aus dem Blickfeld, worüber genau man eigentlich redet: Sowohl bei von der Leyen als auch bei Gabriel geht es um eine Aufstockung auf 850 Euro Bruttorente im Monat, das sind etwas über 760 Euro netto, also nur rund 80 Euro mehr, als an Grundsicherung im Alter heute schon gewährt wird. Eine große Rentenrevolution ist das nicht.
Dennoch lässt sich aus dem Rentenstreit herausfiltern, was man beachten müsste, um die drängendsten Gerechtigkeitsfragen zu lösen. Arbeit und Erziehungszeit sollten als Lebensleistung mit berücksichtigt werden.
Rentenansprüche sollten daher gleitend mit einer Zusatzrente verrechnet werden, ähnlich wie bei der Anrechnung von Erwerbseinkommen auf Hartz-IV-Leistungen. In Schweden beispielsweise, das von den Grünen gerne zitiert wird, schafft die „Garantierente“ eine solch gleitende Aufstockung von beitragsfinanzierten Ansprüchen.
Wahrscheinlich geht so was in Deutschland nicht ohne Bedarfsprüfung der Beziehungssituation, auch wenn das nach Sozialamt riecht. Eine Partnerschaft, die auch in den Niederlanden die Höhe der Grundrente mitbestimmt, muss berücksichtigt werden.
Parteien wittern die Gefahr
Auch für die Finanzierungsfragen lohnt sich ein Blick ins Ausland: In Schweden, den Niederlanden und der Schweiz zahlen alle Erwerbstätigen, auch die Selbständigen, in eine Rentenversicherung ein. In der Schweiz zahlen Hochverdiener dabei überproportional mehr ein, als sie an Rente bekommen. In Deutschland lehnt man eine solche Umverteilung ab.
Vielleicht aber lassen sich Reformen gar nicht ohne den Umbau des Beitragssystems in eine Art Bürgerversicherung finanzieren. Sozialexpertin Ursula Engelen-Kefer bezeichnete unlängst die Einführung einer Erwerbstätigenversicherung auch mit Beamten und Selbständigen als „überfällig“ (taz. 6.9.2012).
Sowohl von der Leyen also auch Gabriel schlagen eine „steuerliche Finanzierung“ der Zuschussrenten vor. Von der Leyen will das Geld vor allem aus den sinkenden Aufwendungen für Bergbaurenten holen, Gabriel erläutert die Finanzierung nicht näher. Doch ohne Umverteilungselemente lässt sich das Problem der Kleinrenten nicht lösen. Höhere Steuern auf Vermögen und Erbschaften sollten mit einbezogen werden.
Die Verteilungsdebatte scheuen die großen Parteien, zu stark ist die Angst vor den Ressentiments in der Wählerschaft. Wahrscheinlich wollen Rechtsanwälte oder Firmenchefs die Aufstockungen der Renten von Verkäuferinnen oder Leiharbeitern nicht mitfinanzieren, und der Kfz-Meister im Angestelltenverhältnis findet es doch ganz in Ordnung, dass ein deutlicher Abstand bleibt zwischen seinem gesetzlichen Ruhegeld und dem einer Altenpflegerin.
Deshalb rudern die großen Parteien mit ihren Konzepten hin und her, um nur ja die Stimmungslagen in den Mittelschichten möglichst breit einzufangen. Das wird noch lustig werden im Wahlkampf 2013 – denn dann müssen glaubwürdige und praktikable Konzepte auf den Tisch.
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