Debatte Umweltdesaster: Nach uns die Ölpest?

An der Katastrophe im Golf von Mexiko ist unsere Sucht nach fossilen Brennstoffen schuld. Klar ist: Die Welt muss jetzt rasch auf Entzug.

Wie die vielen Versuche zuvor endete auch die jüngste "Top Kill"-Zustopfaktion von BP am Wochenende im Desaster. Das klebrige Zeug sprudelt aus dem Bohrloch eineinhalb Kilometer unter der Erdoberfläche, und niemand weiß, wie man es wieder verschließen kann. Es ist halt ein Unglück, dass die Bohrinsel "Deepwater Horizon" in Brand geraten und gesunken ist. Unglück, das reimt sich auf: Was für ein Pech. Höchstens wird noch gefragt: Wer hat da gepfuscht?

Aber die Katastrophe hat systemische Ursachen. Im Grunde gibt es nur eine Lehre aus dem "Unglück", das insofern keines ist: dass wir rausmüssen aus dieser Steinzeittechnologie - dem Öl, der Kohle, dieser Energiegewinnung aus endlichen Ressourcen, deren Verbrennung das Klima ruiniert und deren Förderung die Welt verpestet.

Da die bisher erschlossenen Erdölfelder demnächst leer gepumpt sind, versucht man, in schwerer zu erschließenden Regionen zu bohren. Man setzt riskante Technologien ein, die man, wenn einmal etwas schiefläuft, ganz offenkundig nicht beherrscht. Und all das, weil man uns sagt: Wir brauchen Öl, mehr Öl, noch mehr Öl. Weil unser Lebensstandard von den fossilen Energien abhängt, weil Milliarden von Menschen einen mit uns vergleichbaren Lebensstandard anstreben und weil dieses berechtigte Streben nur mit noch mehr Verfeuerung von Öl und Kohle befriedigt werden kann.

lebt als freier Publizist und Buchautor in Wien und schreibt regelmäßig für die taz, für Falter und Profil (siehe auch www.misik.at). Zuletzt erschien von ihm: "Politik der Paranoia. Gegen die neuen Konservativen" im Berliner Aufbau-Verlag.

Ende der Energiesteinzeit

Was, wenn das gar nicht nötig ist? Es wäre wohl vernünftiger, man würde die Milliarden und Abermilliarden, die in solche nutzlosen Bohrungen (und jetzt in die Aufräumarbeiten) investiert werden, in erneuerbare Energien, die Umrüstung der Autos oder den öffentlichen Verkehr stecken. "Die Steinzeit ging auch nicht zu Ende, weil uns die Steine ausgingen", sagte vor einiger Zeit ein weitsichtiger saudischer Ölminister. Sondern weil die Menschen etwas Besseres erfunden hatten. Und dazu ist man auch heute schon in der Lage.

Es ist ja immer noch üblich, dass Menschen, die auf ihr praktisches, realistisches Denken viel geben, die Augen verdrehen, wenn das Wort "erneuerbare Energien" fällt. So nach der Art: Jetzt kommen die weltfremden Schwärmer wieder mit ihren Windrädern. Aber diese Leute haben offenbar nicht mitbekommen, dass in Deutschland heute schon alle Tage ein neuer Windpark in der Nordsee eröffnet wird - mal kann er den Strombedarf von 50.000-Einwohner-Städten decken, dann den von 200.000 Einwohnern. Jedes zweite Bauernhaus hat schon Solarzellen am Dach, Energieerzeuger experimentieren mit riesigen Solarfeldern in der Wüste, und Länder mit großen Flüssen decken einen hohen Anteil ihres Stroms durch Wasserkraft. Laut einer Studie des deutschen Umweltministeriums könnte man in zehn Jahren 80 Prozent des deutschen Stromverbrauchs durch Ökostrom decken. Dazu brauchte es Speicherkraftwerke und intelligente Stromnetze.

Wo die Märkte versagen

Die Hohepriester der freien Marktwirtschaft - oder sind es die Lobbyisten der großen Ölfirmen? Man kann das oft nur verdammt schwer unterscheiden -, halten hier natürlich dagegen. Zunächst behaupten sie, dass die Probleme gar nicht existieren: Klimawandel? Gibts doch gar nicht! Und wenn es die Probleme gäbe, fügen sie in einem zweiten Schritt hinzu, dann würde der Markt es schon richten. Der Zukunft zugewandte Investoren riechen doch in jedem Problem eine Geschäftsmöglichkeit.

Aber das ist natürlich Quatsch. "Märkte produzieren von sich aus zu wenig von manchem, was gesellschaftlich nützlich ist, etwa Forschung, und zu viel von anderem, was schädlich ist, etwa Umweltverschmutzung", schreibt Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz. Zumal es den Markt, wie ihn sich die Freunde der freien Marktwirtschaft ausmalen, mit seinem demokratischen Reziprozität der Marktteilnehmer gar nicht gibt. Die großen Ölfirmen sind mächtig im Ölgeschäft, sie wollen daher, dass das Ölgeschäft solange wie möglich seine Superrenditen abwirft. Sie investieren nicht, damit sie in vielleicht 30 Jahren die Kings im Windradgeschäft sind, sondern tun alles dafür, dass sie bis dahin noch fett in Öl verdienen.

Investitionen in die Zukunft

Für große Kehrtwenden und kulturelle Quantensprünge - vom Aufbau des Eisenbahnnetzes über die Mondlandung bis zur Entwicklung des Internets - haben nie "die Märkte" gesorgt. Auch diesmal braucht es einen Plan und staatliche Investitionsprogramme. Was die Stromversorgung betrifft, ist das kein großes Kunststück mehr. Das wirkliche Problem ist die Energie für unsere Mobilität.

Auch da könnte viel getan werden. Langfristig müsste eben der Bau ganz anderer Autos gefördert werden. Und die intelligente Produktion von Biodiesel. Gern wird angemerkt, schon ein bisschen Umrüstung auf Biodiesel habe zu einer Nahrungsmittelkrise geführt, weil wir den Mais in unsere Tanks gefüllt haben und es den Ärmsten deshalb an Essen fehle.

Man kann Biodiesel aber auch aus städtischem Abfall oder Rasenschnitt herstellen - also aus Zeug, das ohnehin anfällt und keine Anbauflächen verbraucht. Der Exstabschef von Bill Clinton und Übergangsstabschef von Barack Obama, John Podesta, schätzt, dass dadurch allein 30 Prozent des amerikanischen Ölverbrauchs ersetzt werden könnten. Die neueste Idee, die die Forscher elektrisiert, ist, Biotreibstoff aus Algen herzustellen.

All diese Lösungsvarianten zusammen würden ein Bündel ergeben, um die Erdölsteinzeit hinter uns zu lassen. Aber all das kostet natürlich Geld. Damit die fortgeschrittenen Volkswirtschaften aus der Wirtschaftskrise herauskommen, müssen die Staaten in den nächsten Jahren ohnehin noch viel Geld in die Wirtschaft pumpen. Da ist es dann doch immer noch sinnvoller, das Geld für nützliche Dinge auszugeben, als noch mehr Beton in die Landschaft zu gießen.

Die Katastrophe im Atlantik ist kein Unfall. Sie ist die perverse, aber logische Folge dessen, dass wir uns immer noch an eine überholte Technologie klammern und glauben, alle Probleme würden sich schon in Luft auflösen, wenn Unternehmen am Markt um die besten Lösungen konkurrieren.

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Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.

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