Debatte US-Wahlkampf: Gemischte Identität

Werden Gender und Race nicht überbewertet - und wird der Konflikt der Generationen unterschätzt? Die Frage "Frau oder Schwarzer?" jedenfalls ist nicht mehr so wichtig.

Ein paar Wochen lang wirkten die USA auf wundersame Weise verändert. Im Wahlkampf konkurrierten eine Frau und ein Schwarzer darum, Präsidentschaftskandidat zu werden - aber weder Geschlecht noch Hautfarbe war ein Thema. Was für ein Fortschritt. Nur: Seit die Entscheidung näher rückt, ist alles anders.

Erst waren es die vermeintlich so weiblichen Beinahetränen von Hillary Clinton, die Medien und Menschen bewegten, dann war es ihre Aussage, ohne Präsident Lyndon B. Johnson wäre nicht viel aus den Bürgerrechten geworden, für die Martin Luther King gekämpft hat. Die Botschaft war klar: Es reicht nicht aus, so brillant zu reden wie Barack Obama, man muss gute Ideen auch umsetzen, wie nur Hillary es beherrscht. Doch viele hörten zudem einen rassistischen Unterton, zumal weitere Aussagen aus ihrem Wahlkampfteam in dieselbe Richtung zielten.

Tja, schon stand die Identitätspolitik wieder auf der Agenda und mit ihr zwei zwischenzeitlich wenigstens in den USA vergessene Grundsatzfragen: Ist Amerika bereit für einen schwarzen Präsidenten? Und wie sieht es mit einer Frau aus? Die Genderfrage wurde bislang nicht intensiv diskutiert. Fest steht nur: In New Hampshire und Nevada haben die Frauen (vor allem die älteren) Clinton den Sieg beschert. Zum beherrschenden Thema jedoch, das Journalisten und Experten im ganzen Land diskutieren, ist in den letzten beiden Wochen die sogenannte Rassenfrage geworden.

Das wirft zumindest drei Fragen auf: 1. Führt der Wahlkampf Obamas Projekt, gesellschaftliche Spaltung und Rassenfrage zu überwinden, ad absurdum? 2. Schadet es ihm, wenn er künftig mehr über sein "Schwarzsein" definiert wird? 3. Werden Gender und Race nicht überbewertet - und wird der Konflikt der Generationen unterschätzt?

Klar ist schon jetzt: Barack Obamas Projekt, die amerikanische Gesellschaft wieder mit sich selbst zu versöhnen, wird weit über den Wahltermin hinaus wirken - egal ob er gewinnt. Die letzten beiden Präsidentschaftswahlen haben gezeigt, dass das Land gespalten ist: hier die liberalen oder moderaten Wähler der Demokraten - dort die konservativen, oft evangelikalen Wähler der Republikaner. Die Polarisierung machte sich, befeuert von republikanischen Parteistrategen wie dem langjährigen Bush-Berater Karl Rove, vor allem an der Wertedebatte fest: für oder gegen Abtreibung und Embryonenforschung, Evolutionstheorie im Schulunterricht und gleiche Rechte für homosexuelle Paare.

Diese Spaltung zu überwinden ist natürlich ein überdimensioniertes Projekt für eine Präsidentschaft. Aber auf Obamas Versöhnungsbotschaft müssen viele gewartet haben, denn sie katapultierte den weithin unbekannten "Juniorsenator" des Bundesstaats Illinois ins Zentrum des öffentlichen Interesses. Beeindruckend an ihm ist, dass er ein wesentliches Problem in personam zu überwinden scheint: die Rassenfrage. Weder privat noch als Politiker definiert er sich über seine Hautfarbe - sondern über die unterschiedlichen Erfahrungen, die er in mehreren Kulturen inner- und außerhalb der USA gemacht hat. Die Kenntnis der verschiedenen Kulturen in Hawaii und Indonesien, Kenia und Kansas, einem US-Bundesstaat im tiefsten, vornehmlich weißen Mittleren Westen, eröffnet ihm eine differenzierte Sicht auf die Welt. Und sie legt ihn nicht auf eine Identität fest. Geprägt durch dieses multikulturelle Leben, verstand sich Obama nie nur als Schwarzer.

Über die dennoch schwierige Suche nach seiner eigenen Identität wissen wir gut Bescheid, weil sie Obama 1995 in seinem ersten Buch öffentlich gemacht hat. Natürlich sollte man diese Schilderungen mit einem gewissen Maß an Skepsis lesen, da das Buch zu einem Zeitpunkt erschien, als er sich gerade entschlossen hatte, Politiker zu werden. Er wusste also, dass Journalisten wie politische Gegner irgendwann einmal jede Aussage kritisch darauf prüfen würden, ob sie gegen den Autor zu verwenden ist. Glaubwürdig belegt ist bei allen Vorbehalten jedoch, dass ihm die Überwindung einer Zuschreibungslogik, die auf die Hautfarbe als zentrales Moment zurückgreift, schon lange ein Anliegen ist. Das ist nicht nur Wahlkampfstrategie, sondern tief empfunden - und von großer gesellschaftlicher Wirksamkeit.

Schadet Obama dennoch die "Race Card" die Hill und Bill Clinton gezogen haben? Bei den Weißen und Latinos hat sie ihn bisher auf jeden Fall viele Stimmen gekostet. Bei den schwarzen Wählern - und auch bei immer mehr schwarzen Wählerinnen (vor allem den jüngeren) hat sie ihm genutzt. In Nevada stimmten 83 Prozent der afroamerikanischen Caucus-Teilnehmer für ihn. In South Carolina, wo am Samstag die nächste Vorwahl stattfindet, werden ähnliche Zahlen erwartet. Dank Clinton ist Obama nun in der afroamerikanischen Community akzeptiert, wenn auch zu einem hohen Preis.

Mit dem Projekt, altgediente Zuschreibungsverfahren zurückzuweisen, steht Obama übrigens keineswegs allein. Auch andere junge afroamerikanische Politiker sind mit dieser Strategie erfolgreich: allen voran Deval Patrick, der 2006 als erster Schwarzer zum Gouverneur von Massachusetts gewählt wurde. Harold Ford Jr. fehlten im gleichen Jahr nur wenige Stimmen, sonst hätte er es zum Senator des stockkonservativen Bundesstaats Tennessee gebracht. Adrian Fenty schließlich schaffte es 2007 zum Bürgermeister von Washington, D. C.

Gelegentlich werden sie und andere aufstrebende schwarze Politiker schon als "Obama Generation" tituliert. Denn sie gehen nicht den klassischen Weg über die Bürgerrechtsbewegung. Sie steigen im von Weißen dominierten Establishment auf und wollen gerade nicht auf traditionelle Politikansätze festgelegt werden, zumindest nicht als zentrales Identitätskriterium.

Bei aller notwendigen Differenzierung gilt: Die Auseinandersetzung ist ein Konflikt zweier Generationen - und da kommt ein rassenübergreifendes Moment ins Spiel: zwischen den "Babyboomern", sozusagen der US-Variante der 68er, deren prototypische Vertreter die Clintons sind, und der "Obama Generation", die nach der Bürgerrechtsbewegung, dem Vietnamkrieg und all den gesellschaftlichen Kämpfen groß geworden ist.

Ihr Erfolg, allen voran der kometenhafte Aufstieg von Barack Obama, ist ein großes Problem für einige schwarze Heroen der Bürgerrechtsbewegung wie Andrew Young, Al Sharpton oder John Lewis, aber auch für ihre weißen Unterstützer. Sollte sich herausstellen, dass es der Obama Generation gelingt, auf ihre Weise mehr für die Schwarzen und die Aussöhnung der Gesellschaft zu erreichen als die Altvordern, büßten die viel von ihrer Bedeutung ein.

Zentral ist: Die jüngere Generation hat genug von all den immer gleichen Streitigkeiten der immer gleichen Protagonisten, die seit den späten Sechzigerjahren Gesellschaft und Politik bestimmen. Dieses Movens ist bedeutsamer als ihre oft konventionellen Reformideen. Ob Bush, Clinton oder Sharpton - das alte Establishment soll überwunden werden, weil sich nur so gesellschaftlicher Wandel erreichen lässt. Das ist die Botschaft. Und sie überzeugt offenkundig die jungen WählerInnen, unabhängig von Hautfarbe, Herkunft oder Geschlecht, wie Umfragen und die Ergebnisse in Iowa, New Hampshire und Nevada zeigen.

Vor allem für diese unter 40-Jährigen stellen sich die Rassen- und Genderfrage nicht mehr so wie früher. Sie sind oft genug in multikulturellen Verhältnissen aufgewachsen und haben erlebt, dass Frauen es in Medien, Politik und Industrie weit bringen können, dass Farbige Außenministerin und General werden oder Latinos Unternehmen führen und hohe Richterämter bekleiden. Der Streit über Gender und Race ist für sie weitgehend überholt.

Obamas Erfolg wird weniger davon abhängen, ob er mehr Frauen für sich gewinnen kann oder ob er auch weiße Wähler überzeugt. Beides hat er in Illinois und Iowa geschafft. Entscheidend wird sein, dass er viele seiner eher jungen Anhänger zum Wählen bewegt. Doch selbst wenn ihm das nicht gelingt und die Babyboomer ihr letztes Spiel gewinnen - Obama hat schon jetzt eine neue Generation inspiriert, politisiert und für gesellschaftliches Engagement gewonnen. Eine Generation, die von den Präsidentschaften Bush Sr./Clinton/Bush Jr. frustriert gewesen ist und nun Hoffnung schöpft. Insofern stimmt die derzeit viel diskutierte Annahme: Reden kann eine Gesellschaft verändern - wenn man es so gut kann wie Obama. US-Präsident muss er dazu gar nicht werden.

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