piwik no script img

Debatte US-KriegsstrategieVon Bagdad nach Kabul

Kommentar von Inga Rogg

US-Präsident Obama setzt in Afghanistan auf die Strategie, die sein Vorgänger im Irak anwendete. Dass das gut geht, ist eher unwahrscheinlich.

B arack Obama kann nicht nur schön reden. Er lässt seinen Worten auch Taten folgen. In diesem Fall hat er das Plansoll sogar übererfüllt. Noch vor dem Stichtag am 31. August haben am Donnerstagmorgen die letzten Kampftruppen den Irak verlassen. Obama hat sein Wahlversprechen gehalten. Das werden künftig auch seine schärfsten Kritiker einräumen müssen.

Aktion "Surge"

Dass Obama dies konnte, ist freilich nicht sein Verdienst, sondern das seines ungeliebten Vorgängers George W. Bush und vor allem der beiden Generäle David Petraeus und Ray Odierno. Als der Krieg 2006 schon fast verloren schien, haben sie in einem Kraftakt sondergleichen gesagt: Yes we can. Petraeus verlangte von Bush eine massive Truppenaufstockung und bekam sie - gegen den Widerstand vieler Demokraten und obwohl der Irakkrieg immer unpopulärer wurde.

Nun will Obama das gleiche Konzept namens "Surge" (Woge) in Afghanistan anwenden. Und wieder ist Petraeus der Mann, der es richten soll. Von Bush lernen heißt Siegen lernen, könnte man meinen. So einfach ist die Lage natürlich nicht. Aber kann in Afghanistan funktionieren, was im Irak gelang? Wie seinerzeit im Irak soll mit dem "Surge" die eskalierende Gewalt in Afghanistan eingedämmt werden. Auch die Zahlen sind ähnlich - Bush erhöhte die Truppenstärke um 28.000 Männer und Frauen, Obama will 30.000 nach Afghanistan verlegen. Doch damit hat es sich auch fast schon mit den Ähnlichkeiten.

Die Gründe für den Erfolg des "Surge" sind komplexer als weithin wahrgenommen. Als die Amerikaner und ihre Alliierten 2003 dem Saddam-Regime den Todesstoß versetzten, beseitigten sie damit nicht nur eine brutale Diktatur, sie stellten auch die damaligen Machtverhältnisse auf den Kopf. Die Minderheit der arabischen Sunniten, die über Jahrhunderte den Staat dominiert hatten, verloren ihre Macht; die Schiiten, jahrzehntelang unterdrückt, holten sie sich. Schiitische Milizionäre beglichen alte Rechnungen, machten Jagd auf echte und vermeintliche Stützen des Regimes. Die Sunniten spekulierten auf eine Rückkehr zu den alten Verhältnissen und bekämpften die Neuordnung mit allen Mitteln und ebneten den Weg für das Terrornetzwerk al-Qaida in den Irak.

Spätestens 2006 tobte zwischen den beiden Konfessionen ein Religionskrieg, in dem es um weit mehr ging als den Irak, nämlich um das Machtverhältnis zwischen Schiiten und Sunniten in der arabischen Welt. Als Bush im Januar 2007 den Befehl für den "Surge" gab, hatte der Krieg seinen Höhepunkt erreicht. Täglich mussten US-Soldaten in Bagdad rund 50 Opfer des schiitisch-sunnitischen Kriegs registrieren. Gleichzeitig gab es unter den Sunniten aber erste Anzeichen für eine Kehrtwende. Die al-Qaida konnte nur erstarken, weil sie ein Teil von dutzenden sunnitischen Untergrundgruppen war. Als ihr Terror jedoch anfing, die eigenen Kinder aufzufressen, setzten sich viele Untergrundkämpfer ab. Zuerst in der Untergrundhochburg Anbar. Es waren die Geburtsstunden einer Bewegung, die die Sunniten "Sahwa" (Erwachen) nannten.

Der "Surge" kam gewissermaßen zur richtigen Zeit. Von den Amerikanern forderte der Einsatz freilich erst einmal einen hohen Preis. In dem Maße, wie sie den Kampf gegen die Extremisten verstärkten, stieg auch die Zahl der getöteten Soldaten. Die gleiche Entwicklung lässt sich derzeit in Afghanistan beobachten.

Im Sold der Amerikaner

Im Unterschied zum Irak damals wird in Afghanistan bereits über eine Exit-Strategie diskutiert. Die Taliban müssen also bloß zuwarten. Wem sein Leben lieb ist, wird sich gut überlegen, ob er sich auf die Zusammenarbeit mit den westlichen Truppen einlässt. Ein wesentlicher Aspekt im Irak war, dass die Iraker sicher sein konnten: Die Amerikaner bleiben erst einmal. In dem Maß, wie sie verlorenen Boden zurückgewonnen hatten, verstärkte sich auch der Seitenwechsel der sunnitischen Untergrundkämpfer. Zehntausende von ihnen stellten sich in den Sold der Amerikaner und dienten fortan als Bürgerwehr. Das führte am Ende dazu, dass auch die schiitischen Milizionäre die Waffen streckten. Mit hunderten von kleinen Projekten versuchten sie, Kleinbetriebe zu stärken und Arbeitsplätze zu schaffen, Scheichs zu besänftigen und gleichzeitig die Aussöhnung der Sunniten mit dem Staat voranzutreiben.Für die Amerikaner hieß es jetzt: Kämpfen und Tee trinken.

Kämpfen und Tee trinken

Dass dieser Wechsel inmitten eines Kriegs gelang, spricht zweifelsohne für die Stärke der US-Armee. Dabei kam den US-Strategen zugute, dass der Irak im Gegensatz zu Afghanistan kein ländlicher Staat ist - die Mehrheit der Menschen lebt in Städten.

Darin liegt freilich auch die Krux im Irak. Bagdad ist heute eine weitgehend schiitische und eine geteilte Stadt. Der "Surge" hat nur zementiert, was die schiitischen Milizen mit der Vertreibung und Ermordung von Sunniten begonnen haben. Darüber hinaus ist keine der Kernfragen gelöst. Die Kurden halten sich im Norden weiterhin die Option einer Abspaltung offen. Der Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten ist nicht gelöst.

Seitdem die Amerikaner die Kontrolle an die schiitisch dominierte Regierung übergaben, gärt es unter den Milizionären. Entgegen den Zusagen der Regierung erhielten nur wenige eine feste Anstellung. Wer ein Job hat, bekommt oft monatelang sein Gehalt nicht. Darüber hinaus fielen in den letzten Monaten zahlreiche Milizenchefs Mordanschlägen zum Opfer oder wanderten ins Gefängnis. Dass sich Regierungschef Nuri al-Maliki mehr als fünf Monate nach der Wahl eisern an seinen Posten klammert, schürt unter Sunniten das ohnehin tief verwurzelte Misstrauen gegenüber den Schiiten. Das spielt der al-Qaida in die Hände, die nach wie vor nicht geschlagen ist. Die Strukturen der schiitischen Milizen sind ebenfalls weiterhin intakt. Angesichts von mehr als 2.400 Toten seit Jahresbeginn ist der Krieg im Irak noch nicht vorbei. Obama hat den Irakkrieg immer abgelehnt; wie vor der Wahl versprochen konzentriert er sich jetzt auf Afghanistan. Wenn er nicht aufpasst, könnte er am Ende freilich beide Kriege verlieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Auslandskorrespondentin Irak
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!