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Debatte SyrienEure Angst hilft uns nicht

Kommentar von Mohammad Al Attar

Im Ausland wird viel von den angeblich brutalen Rebellen in Syrien berichtet. Doch die meisten Syrer demonstrieren weiter friedlich für ihre Menschenrechte. Wie am ersten Tag.

Ein Amateurfoto zeigt eine oppositionelle Demonstration in Syrien. Bild: dapd

B ei einer Podiumsdiskussion im Londoner Royal Court Theatre fragte mich im letzten August ein Mann aus dem Publikum: „Wie können wir das syrische Volk bei seiner Revolution unterstützen, ohne uns dabei in den Dienst irgendwelcher politischen Machtinteressen zu stellen?“ Für einen Moment schwieg ich ratlos. Dann sagte ich etwas lax: „Ich zweifele nicht daran, dass Sie imstande sind, das zutiefst menschliche Anliegen der sich Erhebenden zu erkennen, jenseits aller politischen oder medialen Verwirrung.“

Seitdem eskaliert die Situation in Syrien stetig. Trotzdem habe ich keine klarere Antwort parat. Nur eben jene etwas laxe von der Podiumsdiskussion im Royal Court: Ich bin sicher, dass Sie das zutiefst menschliche Anliegen nach Menschenwürde und Freiheit erkennen können.

Offensichtlich habe ich mich getäuscht. Nach wie vor erhalten die Protestierenden nicht die Unterstützung für ihre Revolution, die sie so dringend bräuchten. Die Hauptgründe dafür liegen wohl in den Erfahrungen mit den anderen Ländern der Arabellion. Der enorme Erfolg der islamistischen Parteien ist für die meisten Amerikaner und Europäer schwer verdaulich.

In Syrien möchte man jetzt nicht auch noch Islamisten an der Macht sehen. Gleichzeitig haben viele Libyen als Negativbeispiel für jede Art von direktem Eingriff vor Augen. Natürlich dürfen wir auch „die Situation“ im Irak nicht vergessen, auch dort ist „die Lage“ ja alles andere als „stabil“.

DER AUTOR

Mohammad al Attar ist ein syrischer Schriftsteller aus Damaskus. Er schreibt vor allem Theaterstücke. "Rückzug" und "Bitte schau in die Kamera" wurden zuletzt in Berlin und Südkorea aufgeführt. Derzeit arbeitet al Attar in einem Lager für syrische Flüchtlinge in Beirut.

Ist es überflüssig zu sagen, dass diese Vorbehalte auf falschen Verallgemeinerungen beruhen? Verallgemeinerungen, welche die politischen, sozialen und kulturellen Unterschiede zwischen den arabischen Ländern weitgehend ignorieren. Viel wichtiger und schlimmer aber ist, dass so der Kern, um derentwillen diese Revolutionen überhaupt angefangen haben, vergessen wird: Die Sehnsucht der Völker, der Herrschaft korrupter und totalitärer Regime endlich ein Ende zu setzen.

Das Kernanliegen der Syrer wird übertönt von den Ängsten „der Anderen“. Die Ängste der Europäer sind wichtiger als das Recht eines Volkes auf Würde und Mitbestimmung. Sei‘s drum. Die Syrer müssen sich mit diesen Ängsten jetzt arrangieren – auch wenn sie nicht auf ihr Konto gehen.

Unterschiede sind Unterschiede

Am 26. März veröffentlichte Der Spiegel einen viel beachteten Artikel der Journalistin Ulrike Putz. Der Text erzählt, wie brutal Mitglieder der Freien Syrischen Armee im Homser Bezirk Baba Amro gegen alle Seiten vorgehen. Die Weise, wie Putz ihren Protagonisten „Hussein“ zitierte, ließ viele an der sorgsamen Recherche der Journalistin zweifeln.

Am Ende des Artikels wird noch einmal erläutert, wie verwickelt die Lage in Syrien ist, dass die Zukunft des Landes vollkommen im Ungewissen liege, und dass ein Wandel dort einen enorm hohen Preis kosten würde. Da überlegt man es sich besser zweimal, bevor man die Revolution unterstützt! Damit wären wir wieder bei der Frage vom Anfang: Wie sollen wir einen Wandel unterstützen, der keine Stabilität garantieren scheint?

Viele Antworten darauf sind denkbar, zum Beispiel: Das zögerliche Unterstützung ist eine Ursache dafür, dass die Lage im Land immer komplizierter wird, dass die Zukunft Syriens immer ungewisser wird. Syrien, dessen gesellschaftliches Gewebe aufgrund eines Regimes, das nur an die Sprache der Gewalt glaubt, so geschwächt ist wie nie zuvor.

Oder: Das Regime selbst hat anstatt den legitimen Forderungen der Protestbewegungen nachzugeben und so ein Blutbad zu verhindern, mit seiner erbarmungslosen Gewalt jeden, wirklich jeden Dahergelaufenen eingeladen, sich in Syriens Angelegenheiten einzumischen.

Dessen ungeachtet kämpft der Großteil der Syrer nach vor wie um ihrer Grundrechte willen: Freiheit, Menschenwürde, Gleichberechtigung. Und nach wie vor greift das Regime jene freiheitshungrigen Studierenden mit derselben Grausamkeit an, indem es konfessionellen Hass säht und sie zur Gegengewalt drängt. Genauso wie es am allerersten Tag der Revolution der Fall war.

Einer gegen Zweihundert

Im vergangenen Juli, während einer unserer Kundgebungen, der Intellektuellen-Demo im Midan-Viertel in Damaskus, während wir in Sichtweite der Sicherheitskräfte liefen, die uns etwa drei Minuten lang scheinbar ignorierten, bevor sie uns dann angriffen, näherte sich uns ein Regime-Anhänger. Ein junger Typ in der Blüte seiner Zwanziger drängte sich ganz allein in unsere Reihen, um uns zu beschimpfen und anzuspucken.

Wir waren etwa zweihundert Leute, und er war ganz allein. Er konnte uns einfach so anspucken und beleidigen, er wußte ja genau, dass die Geheimdienste und die Schabiha-Milizen nur einige Meter entfernt standen, bereit auf uns mit Elektroschockern und Schlagstöcken loszugehen, was sie dann auch taten. Dabei brüllten sie “Freiheit wollt ihr, ihr Hurensöhne?”!

Natürlich sind an jenem Tag viele der bekannten Gesichter der syrischen Kulturlandschaft festgenommen worden: Schriftsteller, Regisseure, Journalisten und Fotografen. Ich denke, es ist überflüssig zu sagen, dass keiner von ihnen bewaffnet war. Zu jenem Zeitpunkt war eine Militarisierung der Revolution noch gar nicht absehbar.

Auch die Aktivisten, die sich mehr als acht Monate später, am 12. April 2012, vor dem Gebäude des Syrischen Parlaments versammelt hatten, waren ausschließlich mit Transparenten bewaffnet, auf denen stand: ”Stoppt das Töten!” Denn an diesem Tag sollte jenes brüchige Versprechen, mit dem sich das Regime auf eine Waffenruhe verpflichtet hatte, in Kraft treten. Und wie reagierten die Sicherheitskräfte mitsamt ihrer Schabiha-Milizen auf die Aktivisten? Mit Schlägen, Beschimpfungen, Festnahmen. Alles wie gehabt.

Seit den ersten Aufständen in Deraa bis zu diesem Moment ist der Kampf gegen das Regime in erster Linie ein ethischer, ein humanistischer Kampf. Das ist weder eine naive Darstellung der Lage noch eine utopische Vorstellung von Revolution. Es ist die Realität, mit der wir nach wie vor tagtäglich leben. Die ganzen politischen Verwicklungen mitsamt den besorgniserregenden Zukunftsaussichten sind allein die Folgen der exzessiven Gewalt des Regimes.

Dass diese Tatsache die Syrer von ihrer Verantwortung losspricht, sich mit den Herausforderungen der Zukunft zu konfrontieren, ist mir bewusst. Aber wer wirklich den Wunsch hat, die Menschen zu unterstützen, die für ihre Grundrechte kämpfen, der sollte sich nicht beirren lassen. Die Revolution ist inzwischen ein politischer Kampf zwischen einem Regime, oppositionellen Eliten und regionalen beziehungsweise internationalen rivalisierenden Gruppen geworden, Ja. Aber vor allem ist sie ein Kampf für Menschenrechte, Gerechtigkeit und Bürgerrechte.

Verhaftet: das bunte Syrien

Während ich hier an diesem Artikel schreibe, denke ich an all diejenigen unter meinen Bekannten, die im Zuge der Proteste verhaftet wurden. Da sehe ich ein schönes Regenbogenspektrum, prächtig bunt wie Syrien selbst: Männer und Frauen, Muslime und Christen, Alawiten und Kurden, Musiker, Ärzte, Journalisten und Arbeitslose. Sie, und all die Märtyrer, machen die Seele der Revolution aus, einer Revolution, die sich nicht um diejenigen zu sorgen braucht, die sie zwar gerne unterstützen würden, aber verwirrt stehenbleiben, angesichts all der politischen Verwicklungen, Konferenzen und Statements von dieser oder jener Seite.

Die Gründe, warum die Aufstände überhaupt begonnen haben, sie gelten noch immer, genau wie am Anfang. Und noch immer ist der Sieg der Revolution gleichzusetzen mit einem Sieg der Freiheit, ihrem wichtigsten Ziel, und schließlich dem Sieg der Menschenrechte, für ein Volk, das sich gegen eine tyrannische Macht erhoben hat. Vorbehalte gegenüber den Verstößen und den Ausschreitungen einiger Rebellen zu haben, ist jedermanns gutes Recht, und sie zu verurteilen ist eine Pflicht.

Was die Sorge um die Zukunft betrifft, teilen wir sie alle gemeinsam: Keiner kann irgendwelche Garantien bieten. Alles was wir haben, ist das Streben nach Freiheit und nach einem Rechtsstaat.

Die rebellierenden Syrer dabei zu unterstützen, die Würde und Freiheit, die man ihnen genommen hat, zurückzugewinnen, ist in erster Linie eine menschliche und ethische Verantwortung. Ganz wie bei jedem anderen Volk, das für Freiheit kämpft. Das ist, was ich damals vor einigen Monaten gemeint habe. Und das antworte ich auch jetzt. Und auch in Zukunft.

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7 Kommentare

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  • N
    nahab001

    Tatsaechlich? Sie sind verdutzt ueber die wahrscheinlich intelligenteste Frage, seid der medialen Ausschoepfung des Syrien Konflikts? Wer Zweifel uebt an der Frage ueber vermeintliche oekonomische und politische Machtinteressen, ganz speziell im Raum des Nahen Osten, sollte sich nicht in den medialen ZIrkus ueber den arbischen Fruehling einreihen. Abgesehen von den hier angesprochenen Unterschieden zwischen den einzelnen arabischen Staaten, wurden die letzten 2 dutzend Kriege (UN, NATO, oder USA gefuehrt) im angeblichen Interesse der Freiheit und Menschenrechte gefuehrt. Wer immer noch Zweifel an den tatsaechlichen Interessen Einfluss-uebener Parteien hegt, sollte bei der Sueddeutschen schreiben..

  • UM
    Ulli Müller

    Keine Unzerstützung?

    Eher die falsche Unterstützung, an andere Stelle konnte man nämlich lesen, dass sich die selben Söldner, die schon das Anliegen der Lybischen Opposition zu ihrer Angelegenheit gemacht hatten, schon in Syrien gesehen wurden.

    Bekanntlich geht es solchen Leuten nicht um Menschenleben, ob Opposition oder Staatsgewalt. Es zählt nur das Ergebnis, und dafür gibts richtig Geld.

  • TS
    Tamim Swaid

    Danke für diesen Artikel und Kommentar. Ich hoffe und bete jeden Tag und tue das was mir in meiner Macht steht um dem Syrischen Volk zu seiner Freiheit zu verhelfen, die ihm schon seit 40 Jahren verwehrt wird.

  • TH
    Thomas H

    Von den hiesigen Linken haben die syrischen Oppositionellen und Freiheitskämpfer jedenfalls kaum wirksame Solidarität zu erwarten.

     

    So lange innerhalb der überideologisierten bundesdeutschen Linken "antiimperialistischer", "antizionistischer" und plump antiwestlicher Dogmatismus tonangebend GRASSieren, so lange werden die antidespotischen Freiheitskämpfer in Syrien ohne die Solidarität der meisten Linken in Deutschland auskommen müssen.

     

    Ein nicht gerade unbedeutender Teil der linken Strömungen hierzulande solidarisiert sich sogar ganz offen und direkt mit dem faschistoiden syrischen Assad-Regime und mit dessen Verbündeten, weil man sich auf der Basis von paraniod-antiwestlichem "Antiimperialismus" und "Antizionismus" nunmal stets zuverlässig an der Seite all jener Despoten und Massenmörder wiederfindet, die sich propagandistisch als Opfer der bösen westlichen "Imperialisten" und verschwörerischen "Zionisten" darstellen, wie dies auch das Assad-Regime in seiner täglichen antiimperialistisch-antizionistischen Kampfrhetorik routiniert abspult.

     

    Auch auf den Ostermärschen diesen Jahres gab es wieder reichlich offene Solidarisierung und Beifall für Al Assad, Ahmadinedschad, Hisbollah und einschlägige Konsorten.

     

    Von linker Seite in Deutschland kann die syrische Opposition also bestenfalls auf gleichgültiges und ignorantes Schweigen hoffen.

  • HS
    Hari Seldon

    Der Herr Al Attar lügt wie gedruckt. Falls die Opposition so "friedlich" demonstriert, warum sind ca. die Hälfte der Todesopfer Mitglieder der Sicherheitskräfte? Sogar hier, in der TAZ kann sehr gut sehen, dass die "friedlichen Demonstranten" sogar mit 14,5 mm schweren Maschinengewehren, 30 mm Maschinenkanonen, Granatwerfern (sogar mit 155 mm Geräten!), MILAN-Raketen, usw. ausgestattet sind. Oder gehören solche Waffen zur Grundausstattung von einem "friedlichen Demonstranten"? Und vergessen wir auch die 8 Millionen abgegebenen Stimmen für den Plan von Assad auch nicht (ca. 60%). Es ist kein Zufall, dass die Rebellen keine Wahlen sehen wollen: Die sind sogar in Homs nur eine Minderheit.

     

    Eine typische neokolonialistische, imperialistische, und faschistische Agression ist im Gange gegen Syrien. Und die TAZ macht mit...

  • EP
    el presidente

    humanistischer Kampf? Das klingt so als ob das Ziel der Humanismus ist. Ist er aber nicht. In Ägypten haben 70% Islamisten gewählt. Wenn wir noch berücksichtigen das es dort 10%Christen gibt (die anders wählen müssen) dann reden wir hier über 80% bis 90% Islamisten. In den anderen Staaten des arabischen Frühlings sieht es kaum anders aus.

     

    Europas Haltung ist also richtig und nachvollziehbar. Diese Freiheitskämpfer sind noch zig mal schlimmer als der Diktator der jetzt am Ruder ist. Besonders für Christen. Deshalb werden die sog. Freiheitskämpfer auch von den reaktionärsten Regimes der Welt (Saudi Arab und Co) unterstützt.

     

    Deshalb findet der Autor auch kein echtes PRO Argument außer ein nebulöses "wieso stellt ihr euch eigentlich so an".

  • HK
    Henner Kröper

    Der enorme Erfolg der islamistischen Parteien ist für die meisten Amerikaner und Europäer schwer verdaulich. Dieser Kommentar ist unglablich, wer hat den von wem, für wieviel gepasted.

    Aus diesem Grund wird das Lizischtische Syrien nach allen Regeln der Kunst bekämpft. Wo bleibt da die Logik?