Debatte Stiftungen in Deutschland: Prinzipiell undurchsichtig
Ist es wirklich ein gutes Zeichen, dass in Deutschland immer mehr private Stiftungen entstehen? Von der Schattenseite privater Förderpolitik.
S ie unterstützen Kitas, sie kümmern sich um straffällig gewordene Jugendliche und fördern Museen. Stiftungen in Deutschland setzen sich für das Gemeinwohl ein, und das in zunehmendem Maße. Mittlerweile gibt es mehr als 16.000 Stiftungen.
In Hannover hält der Bundesverband deutscher Stiftungen gerade seine Jahrestagung ab. Dort wird es wie jedes Jahr viel Lob für das Modell Stiftungen geben. Denn bürgerschaftliches Engagement steht in Zeiten, in denen sich der Staat aus vielen Aufgaben des Gemeinwesens zurückzieht, hoch im Kurs. Da passt es gut, dass immer mehr Vermögende sich zu engagieren bereit sind. Über 1.000 neue Stiftungen entstanden allein 2008 in Deutschland - auch eine Folge der steuerlichen Vergünstigungen und rechtlichen Vereinfachungen, die der Gesetzgeber in den letzten Jahren beschlossen hat. Genug Gründe also, die Sektkorken knallen zu lassen, oder? Ganz so einfach ist es nicht. Denn Fakt ist: Viele Stiftungen weisen beunruhigende Defizite in Sachen Transparenz, Mitbestimmung, Innovationskraft und nachhaltige Geldanlage auf.
Die Öffentlichkeit informieren
Stichwort Transparenz: Die meisten Stiftungen lassen sich bei ihrer Arbeit nicht in die Karten schauen. Jahresabschlüsse, Vermögensentwicklung und die Vergabe der Förderung werden zwar von der Stiftungsaufsicht und dem Finanzamt überprüft, eine Auskunftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit gibt es allerdings nicht. Dabei wären die Steuervergünstigungen und der enorme gesellschaftliche Einfluss von großen Stiftungen wie etwa der Bertelsmann-Stiftung gute Argumente, die Stiftungen zu mehr Transparenz zu verpflichten. Der Schritt wäre nicht so weitreichend, wie er scheint. Die Jahresabschlüsse müssen dem Staat gegenüber ja bereits offengelegt werden, warum also nicht auch der Gesellschaft, die von den Stiftungsentscheidungen betroffen ist?
Stichwort Mitbestimmung: Wer entscheidet bei einer Stiftung eigentlich, was gefördert wird? Die Antwort ist einfach: der Stifter. Er bestimmt den Stiftungszweck, der in der Satzung festgeschrieben wird. Dieses Grundprinzip ist per se eine undemokratische Angelegenheit. Und dieses Defizit wird in vielen Stiftungen noch durch ebenso undemokratische Strukturen verstärkt. An der Spitze sitzen häufig kleine Gremien, denen oft auch der Stifter angehört und die sich immer wieder selbst berufen.
Stichwort Innovationskraft: Stiftungen eilt der Ruf voraus, sie seien durch ihre finanzielle Unabhängigkeit besonders innovativ und könnten rasch auf gesellschaftliche Probleme reagieren. Sie sind es allerdings viel weniger, als sie sich selbst und anderen glauben machen wollen. Das zeigt schon ein Blick auf die Betätigungsfelder. Laut dem Bundesverband widmen sich 32 Prozent der Stiftungen sozialen und karitativen Zwecken, 16 Prozent setzen sich für Bildung ein, 15 Prozent fördern Kultur, 14 Prozent unterstützen die Wissenschaft, 5 Prozent sind privatnützig, und der Rest ist unter der Rubrik "Andere" zusammengefasst. Für den Umweltschutz engagieren sich immerhin noch 4 Prozent. Wichtige Themen wie Globalisierung, Nord-Süd-Gerechtigkeit und Menschenrechte fehlen in dieser Liste ganz. Dass Stiftungen neue Themen nur schwer aufgreifen können, ergibt sich schon aus ihrer konservativen Struktur. Der Stiftungszweck wird vom Gründer unwiderruflich festgeschrieben und lässt sich nicht mehr ändern.
Außerdem unterstützen viele Stifter die Strukturen ihrer Herkunft und ihres Erfolgs. Das geht aus einer Studie der Stanford University zu Stiftungen in den USA hervor. Viele Stifter unterstützen etwa die Universität, an der sie ihren Abschluss gemacht haben. Für Deutschland liegen vergleichbare Untersuchungen nicht vor, aber spektakuläre Spendenentscheidungen bestätigen diesen Trend. Die Eheleute Greve aus Hamburg spendeten 30 Millionen Euro für den Bau der Elbphilharmonie, und die Jacobs Foundation des aus Bremen stammenden Unternehmers Klaus J. Jacobs machte aus der privaten International University Bremen die Jacobs University. Spendenzusage: 200 Millionen Euro. Gegen dieses Förderprinzip der persönlichen Nähe ist nichts einzuwenden - besonders innovativ oder gesellschaftsverändernd ist es aber nicht.
Problematische Geldanlagen
Stichwort Geldanlage: Erstaunlich wenige Stiftungen machen sich Gedanken darüber, wie sie ihr Kapital anlegen, mit dessen Erträgen sie fördern. Einige investieren sogar in Geldanlageformen, die ihren Zielen widersprechen. Ein aktuelles Beispiel: die Gates-Stiftung, die Krankheiten auf der ganzen Welt bekämpfen will. Sie hat ihr Vermögen in Pharma-Unternehmen investiert, die sich seit Jahren gegen die Entwicklung billiger Generika für die Entwicklungsländer sperren, und gelobt nun Besserung. Solche Widersprüche entstehen, weil viele Stiftungen vor allem die Sicherheit und Rendite ihrer Anlage im Auge haben. Dabei ist das Vermögen einer Stiftung ihr wichtigstes Instrument, den Stiftungszweck zu erfüllen. Es wird nur von den wenigsten genutzt.
Es ist also höchste Zeit, die Rolle von Stiftungen in unserer Gesellschaft zu hinterfragen. Ein Bündnis, das eine solche Diskussion anstoßen will, ist das Netzwerk Wandelstiften, zu dem sich 16 links-progressive Stiftungen zusammengeschlossen haben. Diese Stiftungen arbeiten zu unterschiedlichen Themen - von Frauenrechten über Klima- und Umweltschutz, bis zu Pressefreiheit und Demokratie.
Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich für mehr Transparenz und demokratische Mitbestimmung im Stiftungswesen einsetzen. So besetzen viele Netzwerk-Mitglieder ihre Gremien mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Außerdem legen sie ihre Strukturen und Vermögen offen und halten sich bei der Geldanlage an ethische Richtlinien. Und sie fördern effektiver: Statt die Symptome gesellschaftlicher Probleme zu lindern, engagieren sie sich für einen grundlegenden politischen und sozialen Wandel. Noch steckt das Bündnis, das sich im Herbst 2008 gegründet hat, in den Anfängen. Und verglichen mit den Riesen der Stiftungsbranche ist sein Einfluss gering. Doch wenn seine Prinzipien Schule machen würden, gebe es beim nächsten Stiftungstag tatsächlich Grund, die Sektkorken knallen zu lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland