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Debatte Steinmeier und MünteferingDie Meister der Phrase

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Steinmeier und Müntefering sind nicht die Retter der SPD - sondern das Krisensymptom ihrer Partei. In Zeiten des Abschwungs verkünden sie eine vage Aufschwungsrhetorik

Bild: taz

Ulrike Herrmann ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz.

Frank-Walter Steinmeier ist ein Meister der Phrase. Den "Blick nach vorn" will er richten, wenn er gefragt wird, wie er die SPD zu führen gedenkt. Oder er kündigt für die Zukunft an, "Antworten für die Zukunft" zu suchen. Fehlt nur, dass er dem Wahlvolk erklärt, dass die Zukunft die Zukunft sei. Das wäre die knappste Form dieses Dadaismus.

Steinmeier ist durchaus kreativ, wenn es gilt, den eigenen Unsinn zu variieren. Wird er nach Plänen gefragt, verspricht er "Konzepte und Ideen". Soll er seine Politik erläutern, will er "Entscheidungen treffen". Und Kanzler möchte er übrigens werden, weil er sich das "zutraut". So werden Synonyme zum Inhalt und Tautologien zum Prinzip.

Damit ist Steinmeier der perfekte Kanzlerkandidat für die SPD. Der Außenminister ist nicht der Retter der Sozialdemokraten, sondern das passende Symptom für ihre Krise. Er verkörpert eine maximale Unbestimmtheit, die auch den Rest der Partei befallen hat.

Diese programmatische Programmlosigkeit zeigt sich besonders deutlich bei Franz Müntefering, der als Inkarnation des Sozi-Kumpels gilt und kürzlich eine erstaunlich schlichte Rede gehalten hat. Es geschah am 3. September, im Hofbräuhaus zu München, und Müntefering war dort angetreten, um sich als oberster Wahlkämpfer der SPD zurückzumelden. Damals wusste noch niemand, dass er nur fünf Tage später zum neuen Parteivorsitzenden nominiert würde - aber schon damals war unüberhörbar, dass Müntefering mit dieser Rede die Deutungshoheit in der SPD beanspruchen wollte.

Die bayerischen Sozialdemokraten haben gejubelt. Aber es zeugt von der inhaltlichen Dürftigkeit dieser Rede, dass die Nachrichtenagenturen vor allem den Satz transportierten, Politik brauche "heißes Herz und klare Kante". Das war immerhin noch origineller als die Aussage, man müsse den Menschen deutlich machen, "wohin denn die Reise eigentlich gehen soll". Was bei Steinmeier die Tautologie ist, das ist bei Müntefering die Metapher.

Doch die eigentliche Frage blieb unbeantwortet: Wer beim Reiseunternehmen Müntefering bucht, der tourt mit "Destination unbekannt". Befremdlich wurde es zum Beispiel, als Müntefering in München ernsthaft damit warb, dass es im Jahre 1949 eine Sozialdemokratin war, die durchsetzte, dass im Grundgesetz festgeschrieben wird, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Eine historische Tat, gewiss, aber eben historisch.

Müntefering sandte damit ungewollt - und doch sehr passend - die Botschaft aus, dass die SPD nur in der Vergangenheit ein eigenständiges Programm zu bieten hatte. In der Gegenwart hingegen fehlen die Projekte, die die Wähler von der Unentbehrlichkeit der Sozialdemokraten überzeugen könnten. Es ist geradezu undenkbar, dass die SPD 2009 noch einmal jene knapp 35 Prozent einfährt, die sie bei der Wahl 2005 verbuchen konnte.

Denn das Original sind inzwischen die anderen Parteien, während die SPD meist nur noch die Copy-&-Paste-Tasten drückt. So fällt etwa bei Müntefering auf, wie dringend er die Grünen beerben will. In München warb er für Solarenergie, verwarf die Kernkraft und forderte Toleranz gegenüber Homosexuellen. Das ist alles ehrenwert. Nur weiß jeder, der jetzt älter als 22 ist, dass die Sozialdemokraten wenig getan haben, um diese Projekte während der rot-grünen Regierungszeit aktiv zu fördern. Wer umweltbewegt ist, dürfte also den Grünen treu bleiben.

Wenig originell ist auch Münteferings Versuch, die SPD mit Bildungs- und Familienthemen zu profilieren - hat doch die CDU diese Klientel längst umworben. Mit Entlastungen der "Mitte" ist ebenfalls niemand mehr zu locken, denn ein erhöhter Kinderfreibetrag oder die steuerliche Absetzbarkeit der Krankenkassenbeiträge sind bereits tief verankert im Unionsprogramm.

Bleibt als zentrales Wahlkampfthema der Mindestlohn, den inzwischen selbst Steinmeier adoptiert hat und pflichtschuldigst in seinen Interviews nennt. Nur ist eben auch bekannt, dass er zu den Erfindern von Hartz IV gehört. Das ist mehr als eine Personalie und steht für eine unfreiwillige Pointe. Mit der Agenda 2010 wurde erst gezielt der Niedriglohnsektor ausgeweitet - und nun sollen Lohnuntergrenzen als nachgeschalteter Reparaturbetrieb dienen. Am Mindestlohn ist nur originär sozialdemokratisch, dass die SPD ihn nötig gemacht hat.

Die sozial Empörten dürften sich daher weiterhin an die Linkspartei halten - zumal die Agenda 2010 bei Müntefering geradezu sakrale Weihen erhält. Sie darf nur "fortentwickelt", aber keinesfalls korrigiert werden. Dieser Kurs ist für die SPD gefährlich, denn die Agenda 2010 lässt sich nur überhöhen, wenn man den Aufschwung als Dauerereignis bemüht. Die Legende von Müntefering geht so: Erst kam die Agenda 2010 und, siehe, rund zwei Millionen Arbeitsplätze entstanden. Das hat mit der Realität natürlich nur sehr wenig zu tun. Das Statistische Bundesamt gab gerade erst am Dienstag bekannt, dass sich vor allem die prekären Jobs vermehrt haben.

Noch schlimmer dürfte es Steinmeier und Müntefering jedoch treffen, dass sie ihre Aufschwungsrhetorik ausgerechnet zum Beginn eines Abschwungs starten. Es ist zu erwarten, dass die Arbeitslosenzahlen bald wieder steigen - und dann wird es niemanden interessieren, ob Hartz IV angeblich irgendwann einmal für Stellen gesorgt hat. Stattdessen werden die Zukunftsängste zunehmen. Sie plagen längst nicht nur die Geringqualifizierten, die von der SPD sowieso ignoriert werden. Es trifft auch jene Aufsteiger, die Steinmeier und Müntefering als ihre Idealwähler ansteuern. Ihnen haben die Sozialdemokraten jedoch nichts zu offerieren, was nicht auch die Union im Angebot hätte.

Und so bleibt als Eindruck zurück, dass es den Sozialdemokraten durchaus reicht, auch nach 2009 als Juniorpartner in einer großen Koalition zu verweilen. Zumindest Steinmeier könnte bestens damit leben, statt als Kanzler wieder als Außenminister zu amtieren. Das dürfte sowieso die Rolle sein, die ihm am meisten entspricht.

Eine Hürde ist allerdings noch zu nehmen: Die SPD muss sich für die CDU unentbehrlich machen - und also verhindern, dass sich Angela Merkel mit der FDP zusammentun kann. Das ist ein bescheidenes Ziel. Und trotzdem ehrgeizig für die einfallslose Agenda-SPD, die Steinmeier und Müntefering repräsentieren.

Bisher versuchen die beiden SPD-Granden ihre Ratlosigkeit durch eine Rhetorik des Militärischen oder der Macht zu überspielen. So deutet Steinmeier nur zu gern an, dass er als ehemaliger Koordinator für Schröder "das Kanzleramt von innen" kenne. In der Öffentlichkeit ist aus dieser Zeit nur bekannt, dass er den gebürtigen Bremer Murat Kurnaz der US-Folter überlassen hat. Müntefering wiederum warf sich in München in die Pose eines Generals. Es dürfe nur führen, wer auch bereit sei, "die Fahne zu tragen". Das hat auch schon Napoleon vor Waterloo gedacht.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

14 Kommentare

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  • A
    Avalord

    Normalerweise würde ich nicht einfach einen Kommentar abgeben, der den allgemeinen Tenor bereits abgegebener Kommentare lediglich widerspiegelt. Ich mache es dennoch, aus purer Erleichterung mal was Vernünftiges in der Presse über Steinmeier & Müntefering zu lesen. Ansonsten wirken die Medien nicht nur bei diesem Thema seit geraumer Zeit, als würde ein einziger den Text schreiben, und alle anderen lediglich Synonyme bemühen. Immer hübsch im Sinne einer konservativen Interpretation!

     

    Es gibt also noch ausser mir noch mindestens eine weitere Person, die sich im Zusammenhang mit Steinmeier an Kurnaz erinnert... Sagenhaft

    Ansonsten wimmelt es plötzlich in der Presse an seligen Erinnerungen aus der dörflichen Jugendzeit Steinmeiers! Irgendwer (sprich eine recht geschickte PR-Agentur)will "Volkstümlichkeit" vorgaukeln, wo auch ein Mikroskop nur menschenfeindliches Kalkül und Kälte aufzeigen könnte!

  • L
    L.A.WOMAN

    Frau Herrmann ist das Beste, was die taz zur Zeit an politischem Journalismus zur Zeit zu bieten hat, wie dieser Artikel aufs Neue beweist.

    Auch ich habe - leider nur- die letzen 20 Minuten des Presseclubs verfolgt und war - nicht zum ersten Mal - entsetzt über die einseitige Bevorzugung gewisser Medienvertreter.

    Daher habe ich mich vor ein paar Wochen beim Intendanten der ARD zu einer anderen Sendung beschwert. Leider wurde nicht darauf eingegangen.

    Herr Tichy ist beileibe kein Unbekannter, und gerade deswegen hätte Herres besonders Tichys ausufernde Polemik steuern müssen. Stattdessen hat er ihm freien Lauf gelassen und Frau Herrmann mehrfach unterbrochen. Leider war es dadurch nicht möglich, die Meinung von Frau Herrmann vollständig zu erhalten, da Tichy ihr ungestraft ins Wort fallen konnte und Herres es lächelnd geschehen ließ.

    Ich werde wieder gegen dieses 'Nicht-Moderieren' protestieren, und es wäre gut, wenn die Mitdiskutanten auf dieser Seite sich anschließen würden.

    Diese einseitige Propaganda in den letzten Merkel Jahren der ""öffentlich-rechtlichen"" Medien ist nicht mehr zu ertragen. Ein schäbiges Beispiel ist die Vorstellung einer Studie der 'Initiative soziale Marktwirtschaft' der Arbeitgeber in Tagesschau und Tagesthemen. Das ist wie DDR der schwarze Kanal. Zum Kotzen.

  • MA
    Martin Armbruster

    Glückwunsch, taz! Das Beste, was ich in den vergangenen Wochen zu dem Thema gelesen habe. Hochpeinlich dagegen der Einheitsbrei, den die Boulevardpresse (Spiegel, Bild, FAZ, SZ, teilweise leider auch die Zeit) seit Merkels Kanzlerschaft anrührt. Steuert die irgendjemand?

  • W
    Winfried

    Liebe Frau Hermann,

     

    toller Artikel, kann mich den kommentaren nur anschließen. Übrigend habe ich den gestrigen Presseclub verfolgt. Unglaublich wie Ihr Kollegte von der Wirtschaftswoche Ihnen ins Wort gefallen ist und der moderator dies auch zugelassen, wenn nicht sogar unterstützt hat. kann die Sprechblasen Ihrer Kollegen nicht mehr hören. Weiter so und lassen Sie sich nicht von den Mainstream-Quatsch beeinflussen.

    Danke W.N.

  • T
    Therese

    Zwei kleine Anmerkungen zu dem erfreulichen Artikel:

    1.

    Müntefering sprach nicht im Hofbräuhaus, sondern im Hofbräukeller. Für Münchner ein Riesenunterschied:-)

     

    2.

    Noch schlimmer als die völlig nichtssagenden Phrasen wie "Blick nach vorn" finde ich gebetsmühlenartig wiederholte Begriffe, die zwar einen Inhalt vorgeben, aber überhaupt nicht hinterfragt werden. "Populismus" ist so ein Beispiel, oder "Lafontaine lügt" oder "Die Linke kann ihre Versprechungen nicht bezahlen". Begriffe und Sätze, die zu Phrasen werden, weil sie hingenommen werden wie Axiome, die man nicht mehr beweisen müsste. Presseclub am Sonntag war dafür ein Paradebeispiel. Es war das Grauen.

  • M
    Muzzle

    Zutreffender Kommentar !

    Und was die Zukunft dieser SPD angeht so dürfen wir frei nach Franz Münte ausrufen: "Kaltes Herz und Hose voll!"

  • OB
    Oliver B.

    Wunderbarer Artikel... endlich mal wieder laut lachen, obwohl die politische Lage keinen Anlass dazu bietet! :)

     

     

    2008/2009 ist übrigens 90-jähriges Verrats-Jubiläum der SPD. Gut dass ich diese Lumpen noch nie gewählt habe. :)

  • P
    Pjotr56

    Großes Kompliment, Frau Herrmann! Eine so gut begründete und zutreffende Analyse der aktuellen Situation der SPD findet man selten, eher gar nicht in der aus meiner Sicht ziemlich gleichgeschalteten Medienlandschaft Deutschlands.

    Der gestrige Presseclub dokumentiert meine Sicht auf eine schon bedenklich stimmende Art und Weise.

    Auch hier waren Ihre Beiträge die überzeugenden und gut begründeten - deshalb ist die Art und Weise, wie der von unseren Gebühren finanzierte Herres Ihnen das Wort entzogen hat, nicht zu akzeptieren. Der Mann muss weg!

  • MS
    Matthias Schulz

    Danke Frau Herrmann für diesen Artikel. Kollegen von ihnen sollte man in diesem Zusammenhang wohl einen alten Werbspruch zu rufen: Schaut, sie hat gebohrt und es hat auch garnicht weh getan. Aber es erfrischt das Herz von Bürgern in diesem Land, die sich echt Sorgen machen um unsere Demokratie, die momentan von den "Machern" in diesem Land systematisch zerrieben wird. Selbstzerstörung als Fortschritt verkaufen - SPD -

    Danke!

  • K
    KLind

    Der Beitrag wirft die Frage auf: Wie ist es möglich, daß eine kleine Clique von Phrasendreschern eine derartigen Einfluß ausüben kann? Steht evtl. ein großer Medienkonzern versteckt dahinter, der Gleichschaltung zu betreiben versucht? Das gab es bekanntlich schon mal. Frau Herrmann war im Presseclub vom 14.09. die einzige "klare Kante" gegen die seltsame "Endstation Münte".

  • RO
    Roland Oeser

    Ich danke für diesen Artikel.

    Sie sprechen mir aus der Seele, dabei war ich einmal SPD Wähler.

     

    Danke

  • WG
    Wolfgang Gerster

    Ich habe schon lange keinen annähernd guten Kommentar gelesen, in Sprache und Inhalt. Kompliment, Frau Herrmann!

  • JR
    Jutta Redmann

    Inhaltlich und sprachlich ist Ihr Kommentar sehr treffend. Mit Müntefering und Steinmeier hat man wirklich die Böcke zu Gärtnern gemacht - sie haben den Geringqualifizierten weiterhin rein gar nichts und der Mittelschicht auch nichts anderes als die Union anzubieten. Auch sonst ein Lob für die kundige und reflektierte taz-Berichterstattung und Kommentierung über die aktuellen SPD-Entwicklungen! Wenn ich das mit der leider zunehmend unkritischen Mainstream-Berichterstattung in der FR seit ihrem neuen Chefredakteur Uwe Vorkötter vergleiche, bin ich als Journalistin froh, die taz zu haben!

    Jutta Redmann, Bonn

  • A
    Anton

    Ein guter Kommentar. So klare Worte sind in der veröffentlichten Meinung leider sehr selten!