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Debatte RuandaEin Land im Gleichschritt

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Alles dreht sich bei der bevorstehenden Präsidentenwahl um Amtsinhaber Kagame. Aber Ruandas Schicksal liegt nicht in seiner Hand allein.

W er in Ruanda jetzt achtzehn ist und am kommenden Montag bei der Präsidentschaftswahl zum ersten Mal mitstimmen kann, war zum Zeitpunkt des Völkermordes ein Baby. 16 Jahre ist es her, dass Armee und Hutu-Milizen in Ruanda über 800.000 Menschen abschlachteten, weil sie Tutsi waren. Jeder, der in den Wirren von 1994 und danach groß wurde, hat bleibende traumatische Erinnerungen daran. Menschen wurden vernichtet wie Ungeziefer; das Töten gehörte zum Alltag wie die Feldarbeit. Später setzte sich das halbe Land in Bewegung und war auf der Flucht oder auf der Suche nach einer neuen Heimat. Jahrelang regierte das nackte Elend, bevor allmählich wieder Normalität einkehrte.

Die Generation derer, die zum Zeitpunkt des Genozids Kleinkinder oder noch gar nicht geboren waren, stellt heute die Mehrheit der 10 Millionen Ruander. Die meisten von ihnen wollen mit dem damaligen Geschehen nichts zu tun haben und sich auch nicht in die Täter-Opfer-Kategorien von Hutu und Tutsi pressen lassen. Sie wollen ihr Leben und ihr Land nach eigenen Vorstellungen gestalten.

Im Schatten des Verbrechens ist das sehr schwer. Weil die Bewältigung des Massenmords bis in jede einzelne Familie hinunterreicht, ist das Private in Ruanda immer politisch, und alle Politik berührt massiv die Privatsphäre. Was auf höchster Ebene gedacht, gesagt und getan wird, spricht sofort das Innerste an, auch wenn es rein technokratisch konzipiert ist. Es gibt keine politikfreien Räume in Ruanda, nicht einmal in den Köpfen der Menschen.

Bild: taz

Dominic Johnson ist Afrikaredakteur der taz und bereist regelmäßig das Afrika der Großen Seen. Über Kagames Wahlsieg 2003 schrieb er: "Gegenseitige Angst zwischen Regierten und Regierenden ist nicht die beste Grundlage für Demokratie."

Alte Wunden neu aufgerissen

Ruandas Regierung versucht, im Land ein neues Denken zu verankern. Alle Maßnahmen werden mit den Herausforderungen der Zukunft begründet, ziehen aber vor allem Lehren aus der Vergangenheit. Dieser Spagat verlangt der Bevölkerung viel ab.

So standen in den letzten Jahren hunderttausende Völkermordverdächtige vor Dorfgerichten. Das war nicht nur ein Mittel zur beschleunigten Leerung der Gefängnisse. Es belastete auch jeden einzeln mit der Bürde der Vergangenheitsbewältigung. Die Botschaft: Der Staat hat die Geschichte überwunden; jetzt seid ihr dran.

Umstritten ist die Einführung kostenloser Schulbildung mit Englisch als Unterrichtssprache. Die Maßnahme ist nicht nur eine entwicklungspolitische Entscheidung in Richtung Globalisierung. Mithilfe der neuen Sprache und von neuen Bildungsansätzen soll auch ein neuer Geist in die Köpfe der Schüler einkehren.

Ruandas Bauern müssen nach zentralen Vorgaben die Subsistenzwirtschaft aufgeben und stattdessen cash crops anbauen; dazu bekommt jeder Haushalt eine Kuh. Dies dient nicht nur der Herausbildung einer kommerziellen Landwirtschaft, es ist auch ein bewusster Akt der Aufweichung der alten Identitäten von Tutsi als Viehhirten und Hutu als Subsistenzbauern, die heute als wesentlicher Grund für den Genozid gelten.

Kritische Medien und Oppositionspolitiker werden dieses Jahr verstärkt verfolgt. Dies dient nicht nur der Einhaltung der Parteiengesetze und dem Kampf gegen "Divisionismus" - die Allzweckwaffe der Staatsmacht. Es soll auch zeigen, dass Ruanda kein Land ist, in dem jeder tun und lassen kann, was er will; denn viele Ruander wollen ihre Nachbarn lieber tot sehen als lebendig, und ohne Disziplinierung könnte das Morden wieder losgehen.

Paul Kagames Politik ist doppelbödig. Sie blickt resolut in die Zukunft und legitimiert sich zugleich unausgesprochen mit Verweis auf die Vergangenheit. Kagame oder Völkermord, das ist im offiziellen Diskurs die Alternative. Damit wird die Geschichte gleichzeitig begraben und instrumentalisiert. Absoluter Gehorsam wird gefordert und auch erzwungen, und zwar nicht nur von den Bürgern, sondern auch von den Politikern. Gerade oben an der Spitze sollen strikte Disziplin und Unterordnung herrschen, damit diese weiter unten in der Gesellschaft nicht infrage gestellt werden.

Deshalb richtet sich Kagames Wut in erster Linie nicht gegen die ewiggestrigen Hutu-Extremisten, die seit 16 Jahren davon träumen, den Völkermord an Ruandas Tutsi doch noch zu vollenden. Vielmehr richtet sie sich gegen altgediente Tutsi-Mitstreiter, die - aus welchen Gründen auch immer - den Gleichschritt nicht mehr mitmachen. Wie in einer Tragödie von Shakespeare zerfleischen sich jene, die 1994 Ruanda gemeinsam befreiten, jetzt in aller Öffentlichkeit. Das Volk kann nur ohnmächtig zuschauen.

Unvollendete Metamorphose

Diese Hahnenkämpfe zeigen auch, wie weit die Propaganda sowohl der Regierung als auch der extremistischen Opposition von der Realität entfernt ist. Wenn Ruandas Führungsschicht untereinander so ruppig umgeht wie zu Zeiten des Buschkrieges, ist die Metamorphose des Landes in die Moderne offensichtlich unvollendet - was allerdings auch heißen könnte, dass auch das Denken, das zum Genozid geführt hat, noch existiert und es daher gute Gründe für repressive Maßnahmen und ständige Wachsamkeit gibt. Wenn die Regierung in Reaktion auf wiederholte Morde und Attentate auf prominente Kritiker ständig betonen muss, sie sei nicht verantwortlich, hat sie ganz offensichtlich nicht die hundertprozentige Kontrolle, die sie selbst beansprucht und die Kritiker ihr gern unterstellen.

Kagames Autoritarismus ist Symptom der ruandischen Zustände, nicht deren Urheber. Deswegen geht die anschwellende internationale Kritik daran am Problem vorbei. Wer jetzt sagt, nach sechzehn Jahren sei eine politische Öffnung überfällig, unterstellt einen Erfolg der ruandischen Modernisierung und damit der Regierungspolitik. Wer sagt, Kagame führe das Land in eine Sackgasse, in dem alte mörderische Mentalitäten in Wahrheit genauso tief verankert sind wie früher und die Masse der Bevölkerung verarmt, muss dann auch zugeben, dass es selbstmörderisch wäre, jetzt die Zügel zu lockern.

Die junge Generation wird ihr eigenes Land sowieso irgendwann selbst aufbauen. Voraussichtlich bietet weder der Völkermord noch Kagames Modernisierungsdiskurs den Rahmen, in dem sich dieses "neue Ruanda" entfalten kann. Dann erst wäre eines der düstersten Kapitel der afrikanischen Zeitgeschichte beendet.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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