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Debatte RentenpolitikRauf mit der staatlichen Rente

Kommentar von Ursula Engelen-Kefer

Die Rentenerhöhung kann die massenhafte Altersarmut nicht verhindern, die auch die Mittelschichten betreffen wird. Die Riester-Rente verschärft die Ungleichheiten noch.

Bild: dpa

URSULA ENGELEN-KEFER ist promovierte Volkswirtin und war von 1990 bis 2006 stellvertretende Vorsitzende des DGB. Zudem ist sie Sachverständige für die Bundesagentur für Arbeit. Seit 1986 ist sie Mitglied im Parteivorstand der SPD.

Die Renten sollen ab Juli um 1,1 Prozent steigen, wie Bundesarbeitsminister Olaf Scholz jetzt verkündet hat. Dieses Plus ist zwar doppelt so hoch, wie es der Rentenformel entspricht, aber gleicht die Inflation noch nicht einmal zur Hälfte aus. Die lautstarke Empörung aus Wirtschaft, Parteien und Wissenschaft - mit "Renten-Papst" Bert Rürup voran - ist ein Stück aus dem politischen Tollhaus. Gerade diejenigen, die selbst im Alter bestens versorgt sind, werden nicht müde, den Rentnern Verzicht zu predigen. Wie wäre es, wenn in Zukunft auch Politiker, Beamte, Selbständige und hohe Einkommensbezieher ihre Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung leisten? Dann könnten die Beiträge für alle gesenkt und die Renten wieder armutsfest gemacht werden. Die jetzt vorgesehene Rentenerhöhung hingegen wird die Altersarmut von Millionen Rentnern in den nächsten Jahrzehnten nicht verhindern.

Das sieht die Bundesregierung allerdings anders: Als sich der Bundestag in einer Aktuellen Stunde im Januar den Renten widmete, gab es von der großen Koalition viel Eigenlob zu hören. Deren Rentenexperten priesen die komfortable Lage: Die Finanzreserve betrage 11,5 Milliarden Euro und werde bis zum Jahr 2011 auf beinahe 26 Milliarden steigen. Da könne man doch mit Zuversicht in die Zukunft blicken, so der Tenor.

Die Bürger können über diesen Optimismus nur staunen. Erst vor kurzem wurde in einer Untersuchung der "Rentenversicherung Bund" die Gefahr drohender Altersarmut beschworen. Zuvor hatte bereits das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gewarnt, dass künftig immer mehr ältere Menschen direkt aus dem ALG II in die Armutsrente wechseln müssen. Und zum Schrecken der "Renten-Modernisierer" wurde eindringlich darauf aufmerksam gemacht, dass demnächst für Millionen von Geringverdienern von der "Riester-Rente" wegen der Anrechnung auf die Grundsicherung wenig bis nichts übrig bleibt.

All diese Schreckensnachrichten wurden noch überboten durch eine Untersuchung des anerkannten Rentenexperten Winfried Schmähl: Auch die Mitte der Gesellschaft wird in den nächsten Jahrzehnten zunehmend von Altersarmut betroffen sein. Selbst durch die massive öffentliche Förderung der Riester-Rente lässt sich diese Entwicklung nicht aufhalten.

Die Reaktion der politisch Verantwortlichen auf diese Hiobsbotschaften sind von einer extremen Einseitigkeit geprägt. Keiner geht der nahe liegenden Frage nach, wie die umlagefinanzierte gesetzliche Rente auch künftig vor Armut schützen kann. Stattdessen wurde unisono der Ruf nach noch mehr ergänzender privater Altersvorsorge à la Riester laut - als angeblicher Königsweg, um Geringverdiener vor der ansonsten drohenden Altersarmut zu bewahren. Offensichtlich haben sich die Regierenden und ihre Experten bereits mit dem weiteren Abbau der gesetzlichen Altersrente abgefunden, was die private Versicherungsbranche als erneuten Etappensieg verzeichnen kann.

Diese Haltung zeigt sich auch beim jüngsten Vorschlag von Bert Rürup: Eine steuerfinanzierte Mindestrente sei notwendig, meint der Wirtschaftsweise, um die drohende Altersarmut für langjährig versicherte Geringverdiener zu verhindern. Sein Vorstoß dürfte all jene erfreuen, die - wie die Versicherungskonzerne - in der privaten Altersvorsorge das Geschäft der Zukunft sehen: Es bliebe nur eine niedrige, steuerfinanzierte Sockelrente - und noch mehr Zwang für die Bürger, mit "Riester"- oder "Rürup-Rente" für das Alter selbst privat vorzusorgen. Was dabei verschwiegen wird: Jede Zusatzvorsorge müsste allein vom Arbeitnehmer aufgebracht werden. Den Arbeitgeberanteil, der in der gesetzlichen Rentenversicherung geleistet werden muss, kann sich die Wirtschaft dann sparen. Dafür muss der Steuerzahler kräftig Geld zuschießen.

Doch was ist zu tun? Es wäre schon ein wesentlicher Schritt, wenn überhaupt ernsthaft über die Verbesserung der gesetzlichen Rentenversicherung geredet würde. Ist es denn ein Naturgesetz, dass das Rentenniveau derartig stark abgesenkt bleiben muss, wie es seit 1990 von wechselnden Koalitionen gesetzlich herbeigeführt wurde? Soll tatsächlich für alle ab 2012 das gesetzliche Rentenalter auf 67 Jahre erhöht werden - unabhängig davon, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen und die Arbeitsplätze vorhanden sind? Müssen Riester-Rente und sonstige Altersvorsorge auf Grundsicherungsleistungen angerechnet werden? Warum kann es hierbei keine ausreichenden Freibeträge geben?

Das Argument, dies sei nicht finanzierbar und koste Arbeitsplätze, ist nicht stichhaltig. Denn der Staat hat massiv daran mitgewirkt, die Beitragsquellen der gesetzlichen Rentenversicherung auszutrocknen: So vermehren sich die Mini-Jobs explosionsartig und verdrängen die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Auch die Entgeltumwandlung für die betriebliche Altersversorgung entzieht den Rentenkassen Mittel, weil die Arbeitnehmer damit ihren sozialversicherungspflichtigen Bruttolohn um bis zu 4 Prozent senken können.

Nach Angaben der Deutschen Bundesbank würde ab dem Jahre 2009 die Förderung der privaten Altersvorsorge zu Steuerausfällen von 12,5 Milliarden Euro führen - von den Kosten für den riesigen Werbeaufwand ganz zu schweigen. Dies würde etwa 2 Prozent der Beiträge ausmachen. Mithin wäre genügend finanzieller Spielraum vorhanden, um die gesetzliche Rentenversicherung gezielt zu verbessern, ohne dass deshalb die Beiträge erhöht werden müssten.

Etliche Studien lassen es als äußerst fragwürdig erscheinen, ob im Rahmen der milliardenschweren Riester-Förderung nicht erhebliche Mitnahme-Effekte finanziert werden. So können Besserverdienende auch ohne eine derartig großzügige öffentliche Förderung ihre zusätzliche Altersvorsorge ansparen. Zudem ist von Altersarmut vor allem die Gruppe der über 45- bis 50-Jährigen betroffen. Viele davon sind ALG-II-Bezieher oder finden sich in schlecht bezahlter Beschäftigung wieder.

Wäre es nicht sinnvoller, gezielt für diese Menschen die Rentenleistungen aus der gesetzlichen Altersrente zu verbessern, als sie in das ungewisse Riester-Abenteuer zu drängen? Es ginge schlicht darum, die steuerlichen Mittel sozial- und wirtschaftspolitisch zweckmäßiger zu verteilen, um die Bürger im Alter abzusichern. Dabei könnten die Löcher geschlossen werden, die der Gesetzgeber selbst bei der gesetzlichen Altersrente gerissen hat. Für ALG II-Bezieher und Geringverdiener könnten dann höhere Rentenleistungen gezahlt werden.

Wenn es darüber hinaus gelänge, den ersten Schritt in die Erwerbstätigenversicherung zu tun und die Selbständigen ohne eigene ausreichende Altersvorsorge einzubeziehen, wäre dies alle Mühe wert. Es wird Zeit, bei der Sicherung der Altersvorsorge nicht nur auf das Riester-System zu bauen. Nur dann lässt sich Armut im Alter verhindern.

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