Debatte Preisstabilität: Legende von der Inflation
Die Politik warnt vor drohender Geldentwertung - und heizt sie mit Steuersenkungen selbst an. Die wahre Gefahr heißt aber Deflation.
K aufen Sie Immobilien! Kaufen Sie Gold! Schützen Sie sich vor Inflation! Dies sind die neuesten Sprüche aus den Werbetexten der Finanzwirtschaft, mittels derer sie von der Angst vor der Geldentwertung profitieren will.
Auf den ersten Blick erscheinen die Befürchtungen fundiert. Die Zentralbanken stellen den Banken Liquidität fast zum Nulltarif zur Verfügung. Zugleich kaufen sie Wertpapiere auf und erhöhen damit den Geldumlauf weiter. Hinzu kommt, dass die Staaten sich massiv für die Rettung der Banken und für Konjunkturprogramme verschulden. Diese Schulden, so die Erwartung, können nur mittels einer Entwertung durch Inflation abgetragen werden.
Alle diese Ängste sind insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte mit mehreren Phasen von extremer Inflation verständlich. Gleichwohl sind sie weitgehend unberechtigt. Die globale Krise besteht gerade darin, dass Unternehmen wegen fehlender Absatzerwartungen immer weniger investieren und Haushalte wegen sinkender Einkommen immer weniger konsumieren. Niemand will sich in einer so prekären Lage verschulden, alle möchten auf Nummer sicher gehen und sparen. Im Ergebnis fällt die wirtschaftliche Aktivität und mit ihr fallen Löhne und Preise: Es droht eine Deflation, das Gegenteil einer Inflation.
ist Wirtschaftswissenschaftler und Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung. Zuletzt erschienen: "Die deutsche Krankheit - Sparwut und Sozialabbau. Thesen gegen eine verfehlte Wirtschaftspolitik".
Wie kann eine solche Krise überwunden werden? Nur dadurch, dass irgendjemand bereit ist, sich anders als alle anderen zu verschulden, um selbst oder durch andere zu investieren oder konsumieren. Dieser Irgendjemand wird kaum ein privates Unternehmen sein, das ohnehin von der benötigten Menge an Geld überfordert wäre. Auch ein reicher Fonds aus dem Ausland vermag eine solche Last nicht zu schultern. Es bleibt nur eine Lösung: Dieser Jemand muss der Staat, oder im Fall einer globalen Krise, müssen die Staaten sein. Sie übernehmen die Rolle des wirtschaftlichen Antreibers, indem sie investieren und konsumieren oder über die Zentralbank Geld verbilligen. Auch die EZB muss für diese Liquiditätsbedürfnisse Mittel zur Verfügung stellen. Regierung und Zentralbank füllen also lediglich eine Lücke, die der Rückgang der privaten Wirtschaftsaktivität hinterlässt. Diese Politik erzeugt jedoch keine Inflation, sie verhindert allein die Deflation. Ob es zur Inflation kommt, entscheidet sich erst dann, wenn die Wirtschaft an Fahrt gewinnt, wenn also ein selbsttragender Aufschwung eingesetzt hat und die Privaten ihre Aktivitätslücke zu schließen beginnen.
Würde die Politik auch dann ihren stimulierenden Kurs beibehalten, drohte in der Tat eine Inflation. Denn wenn Konjunkturprogramme und hohe private Investitions- oder Konsumwünsche zusammentreffen, reichen die vorhandenen Produktionskapazitäten und auch die globalen Ressourcen an Rohstoffen bald nicht mehr aus, um alle Nachfragewünsche zu befriedigen. Es kommt zu massiven Preiserhöhungen, die in einer Inflationsspirale enden können. Allerdings nur wenn gravierende wirtschaftspolitische Fehler gemacht werden, ist eine solche Entwicklung zwangsläufig.
Manches ergibt sich fast von selbst. Voraussetzung für eine Erholung ist, dass der Finanzmarkt wieder funktioniert, die Banken Vertrauen aufgebaut haben und sich wechselseitig Geld zu den vor der Krise üblichen Konditionen leihen. In gleichem Maße wird dann gleichsam automatisch die Liquidität der EZB nicht mehr in Anspruch genommen und kann somit auch keine Inflation auslösen. Ferner wird die EZB die Wertpapiere verkaufen, die sie in der Krise gekauft hat. Auf diese Weise würde die zuvor in die Märkte gepumpte Liquidität diesen rasch wieder entzogen - ohne Inflationsgefahr. Und schließlich wird die EZB in einem Aufschwung die Zinsen nicht auf ihrem derzeitigen niedrigen Niveau belassen, sondern sie anheben und damit Geld verteuern.
Es bleibt also die vermeintliche Gefahr durch die Staatsschulden. Ein hoher Staatsschuldenstand kann nur dann zu Inflation führen, wenn die EZB durch Offenhalten der Geldschleusen eine gezielte inflationsbedingte Entwertung dieser Schulden herbeiführt. Nach allen rechtlichen und institutionellen Regelungen in der EU ist dies verboten. Eine solche Strategie würde also einen gezielten Rechtsbruch voraussetzen, was nicht sehr realistisch ist. Selbst wenn dies geschähe, wäre der Preis sehr hoch. Denn jede neue Kreditaufnahme des Staates würde dann wegen der hohen Inflation nur zu sehr hohen Zinssätzen möglich sein, so dass mehr als fraglich ist, ob es sich überhaupt lohnte.
Schließt man dieses Vorgehen aus, bleibt das Risiko zu hoher laufender Defizite, die die Nachfrage im Aufschwung inflationsträchtig stimulieren. Aber auch hier ergibt sich vieles von allein. So gehen die Defizite im Aufschwung zu einem großen Teil automatisch zurück, weil nun die Steuereinnahmen steigen und die Sozialausgaben sinken. Da zudem ein großer Teil der Konjunkturprogramme temporär angelegt ist, sollte auch dies kein Problem darstellen, weil sie im Laufe der Zeit auslaufen.
Schwieriger ist es, jenen Teil zu reduzieren, der nicht befristet ist, wie zum Beispiel Steuersenkungen im Konjunkturpaket II. Die wirtschaftspolitische Aufgabe für die Regierungen ist hier, die Konjunkturprogramme rechtzeitig und vollständig zurückzuführen. Nur so ist sichergestellt, dass die staatliche Nachfrage in Zeiten des Aufschwungs abnimmt und somit von der Fiskalpolitik keine Gefahr für die Preisstabilität ausgeht. Das verträgt sich allerdings nicht mit der Fortdauer bestehender oder gar der Ankündigung zusätzlicher Steuersenkungen: Wer weder Inflation noch eine hohe Staatsverschuldung will, muss bereit sein, diesen politischen Preis zu zahlen.
Erstaunlich an der ganzen Debatte ist, warum sie von Politikern überhaupt geführt wird, wenn die wirkliche Gefahr auf absehbare Zeit Deflation heißt. Der Grund kann nur sein, dass sie ein Alibi dafür suchen, nichts mehr gegen die Krise zu unternehmen, um ihren überholten ordnungspolitischen Vorstellungen zu huldigen. In dem Fall sollte dann der Ruf erschallen: "Schützen Sie sich vor Deflation! Wechseln Sie Ihre Regierung aus!"
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe