Debatte Obama und die Linke: Ein Wunder, dass die USA funktionieren
Obama ist ein reflektierter Technokrat, kein Mann großer Visionen. Er will den US-Kapitalismus effizienter machen und zeitgemäßer gestalten. Doch die Linke erwartet mehr.
D ie US-amerikanische Linke ist überzeugt, dass die Vereinigten Staaten ihre eigentliche Revolution noch vor sich haben, und setzt daher auf Reformen. Für die amerikanische Rechte hingegen ist die Revolution bereits vollendet. Insofern betrachtet sie die Gegenwart als Zeit des Verfalls, wenn nicht gar des Verrats. Diese gegenläufigen Auffassungen von der Historie führen zu einer permanenten Kollision der Moralvorstellungen wie auch der Einschätzungen, was politisch machbar ist und was nicht.
Anders als in Europa sind unsere politischen Institutionen konservativ. Die Gewaltenteilung, das extreme Gewicht der Judikative, die nichtrepräsentative Natur des Senats - das alles verlangt in der Regel schon für geringste Veränderungen (insbesondere wenn es um die Ausweitung der Staatsmacht geht) die Arbeit eines Herkules, wenn nicht die von Sisyphus.
Hinzu kommen die ethnischen und religiösen Unterschiede, gewaltige regionale Kontraste und die stete Einwanderung neuer Gruppen. Das eigentliche Wunder ist, dass die USA überhaupt funktionieren. Derzeit, zweifellos, funktionieren sie erbärmlich - wie nicht zuletzt unser junger, mittlerweile ergrauter Präsident mit verhärmtem Gesicht und seiner inzwischen recht gedämpften Art vor Augen führt. Es gibt keine organisierte Bewegung, die sich den unerbittlichen Kapitalmächten entgegenstellen würde und sich gleichzeitig durch eine kulturelle und soziale Überlegenheit legitimieren könnte.
Obama ist von Afroamerikanern, Latinos, Hochgebildeten, von jungen Leuten, Gewerkschaftsmitgliedern und Frauen gewählt worden. Er hat die Stimmen derer bekommen, die angewidert waren von der Brutalität, den Lügen und der Dummheit des Bush-Regimes und die zudem bestürzt über die Krise des Finanzkapitalismus waren. Die Mittelmäßigkeit von McCain hat ihm geholfen ebenso wie die Ablehnung der prolligen Gouverneurin Palin. Seine Mehrheiten im Weißen Haus und im Senat jedoch sind viel kleiner als die des letzten Reformpräsidenten Johnson - und sie sind in sich tief gespalten.
Die Gegenoffensive der Republikaner belebte die Sinne eines großen Teils des weißen Amerika, das sich im eigenen Land entthront sieht. Die komplizierte Gesundheitsreform des Präsidenten hat eine Opposition auf den Plan gerufen, die mit der Bildersprache der Apokalypse die ohnehin hasserfüllte Atmosphäre weiter aufheizt. Die Regulierung des Finanzmarktes wird zurechtgestutzt durch die weit subtileren Interventionen seitens der gläubigen Diener der Finanzindustrie - darunter auch der New Yorker Senior-Senator der Demokraten, Schumer. Die Linken unter den Demokraten machen gemeinsam mit dem Weißen Haus Front gegen die auflebende Rechte, in der sich Stimmen finden, die zum gewalttätigen Widerstand gegen die Regierung aufrufen -und zwar mit Worten, wie man sie zuletzt am Vorabend des Bürgerkriegs in den vierziger und fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts gehört hatte.
In ihrer Mehrheit hat sich die tief enttäuschte Linke jedoch aufs Jammern verlegt. Ihr Ärger über das Weiße Haus richtet sich häufiger gegen den Präsidentenstab als gegen den "guten König" Obama selbst. Natürlich ist die Linke keine kohärente Einheit. Sie spaltet sich in vielfältigste Gruppen auf, die alle möglichen Anliegen und Interessen repräsentieren (Bürgerrechte, Arbeitsmarkt, Umwelt, Gesundheit, Frieden). Ihre Gemeinsamkeit aber besteht darin, dass sie am stärksten, am energiegeladensten ist, wenn es darum geht, in Krisenzeiten zu mobilisieren.
Und das ist das Problem. Es gibt einfach kein längerfristig angelegtes Erziehungsprojekt, das darauf abzielen würde, die selbstgerechten Attacken der Medien abzuwehren, die den Kapitalismus, "wie er eben ist", legitimieren. Die Gewerkschaften hatten mal eines, als sie noch ein Drittel der Arbeitskräfte mobilisieren konnten (während der Präsidentschaft von Truman, Kennedy, Johnson) - heute repräsentieren sie gerade mal ein Zehntel der Angestellten.
Die meisten der Wohltätigkeitsvereine und Lobbygruppen arbeiten eher von oben nach unten als von unten nach oben: Sie organisieren keine lokalen Treffen und sie werden von Profis aus Washington geleitet. Jene Kongressabgeordnete, die den Kapitalismus tatsächlich ernsthaft reformieren wollen und sich auch gegen den Imperialismus stellen, machen etwa ein Drittel der Parteimitglieder aus. Das vergleichbare informelle Netzwerk im Senat ist nicht größer. Die Linke existiert also, aber sie ist eher nicht in der Position, dem Präsidenten eine wirklich wirksame Unterstützung gewähren zu können.
Der Präsident selbst, das hat schon seine Autobiografie klargestellt, ist ein reflektierter Technokrat, große historische Visionen sind seine Sache nicht. Er versucht, die Nation daran zu erinnern, dass die Welt sich verändert hat und dass die Hegemonie der USA verschwunden ist: Für viele reicht das schon aus, um die Rechtmäßigkeit seiner Präsidentschaft zu bestreiten. Obama wagt es, der "militärischen Überlegenheit" zu entsagen ebenso wie der Rolle als vermeintlicher Garant globaler Stabilität.
Er versucht, mithilfe der ansatzweise etwas rationaleren Elemente des amerikanischen Kapitalismus, diesen effizienter zu machen, nicht ihn abzuschaffen. Derzeit ist er unfähig, viele Demokraten zu überreden, für die staatliche Unterstützung der über zehn Millionen Erwerbslosen zu votieren - ein klarer Beweis dafür, dass die Partei moralisch und politisch am Nullpunkt angelangt ist.
Unter diesen Umständen sind die Beschwerden der Linken ebenso wie die Ungeduld und die Verärgerung des Weißen Hauses nur Symptome beständigen Aneinandervorbeiredens. Aber kein Mitleid. Ein Präsident, der nicht mal versucht, den amerikanischen Lebensstil zu ändern, und Demokraten, die unfähig sind, landesweit für ein solches Umdenken zu mobilisieren - sie sind für die nächsten Jahre zur Koexistenz verdammt.
Übersetzung aus dem Amerikanischen von Ines Kappert
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