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Debatte NaziterrorNie wieder "Döner-Morde"!

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Bei der Neonazi-Mordserie haben auch die Medien versagt: Sie ordneten die Taten unter rassistischen Gesichtspunkten ein. Konsequenzen gab es keine.

Rassismus beginnt eben nicht erst da, wo Nazibanden durch die Straßen ziehen. Bild: dapd

D ie Politik hat reagiert: "Beschämend" nannte es Angela Merkel, dass die Mordserie der Neonazis aus Zwickau so lange unentdeckt blieb; der Bundestag hat sich unisono bei den Opfern der rechten Terrorzelle entschuldigt. Und gleich mehrere Untersuchungsgremien sollen nun klären, wie es dazu kommen konnte, dass die Behörden angesichts dieser europaweit einmaligen Verbrechensserie so versagt haben. Die Politik hat aus dem Skandal also schon erste Konsequenzen gezogen.

Versagt haben aber auch die Medien. Nicht dass irgendwer erwartet hätte, dass sie den Tätern hätten auf die Spur kommen sollen - für die Aufklärung von Straftaten sind noch immer die Sicherheitsbehörden zuständig. Aber nach dem Schock von "Zwickau" wäre es doch immerhin denkbar gewesen, dass sich ein paar Journalisten nun stärker den eigenen Vorurteilen stellen, die ihren Blick auf die Welt und ihre Berichterstattung bisher getrübt haben. Doch von einer vergleichbaren Bestürzung, Selbstbefragung, ja gar Selbstkritik wie bei Politikern und Sicherheitsbehörden fehlt bei den meisten Medien bislang fast jede Spur.

Dabei waren es Journalisten, die das Wort von den "Döner-Morden" erfunden haben. Der SPD-Politiker Sebastian Edathy, der jetzt den Untersuchungsausschuss zur Zwickauer Zelle leitet, hat den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags beauftragt, herauszufinden, wie das Wort einst in die Welt kam. Das Ergebnis: Schon Ende 1992, als der Ägypter Gamal Hegab in seinem Imbiss mitten in Berlin von unbekannten Tätern erschossen wurde, titelte der Berliner Kurier: "Döner-Mord am Alex". Die Zeit griff den Vorfall später in einer Geschichte über "alltägliche Gewalt" auf und wählte dafür die Überschrift: "Ali Baba und die Mörder".

Bild: taz
DANIEL BAX

ist Redakteur für Integration und Migration bei der taz.

Das Wahrnehmungsraster, nach dem solche Taten eingeordnet werden, ist also weit älter als die Blutspur aus Zwickau. Bevor der Begriff "Döner-Morde" kürzlich zum "Unwort des Jahres" gewählt wurde, weil er die rassistischen Morde folkloristisch verharmloste, hatten sich daher weder Spiegel, FAZ noch "Aktenzeichen XY" an ihm gestört. Erst ein paar Tage nachdem die wahren Hintergründe dieser Mordserie aufgeflogen waren und der Zentralrat der Juden monierte, wie geschmacklos diese Bezeichnung sei, ließ man sie plötzlich sein.

Trotz dieser peinlichen Blamage ist Rassismus in den deutschen Medien aber noch immer kein Thema - und auf Rassismusvorwürfe reagiert man weiterhin eher unwirsch.

Didi Hallervordens Vorurteile

Das mussten zuletzt jene afrodeutschen Aktivisten erfahren, die sich im Internet über das Berliner Schlosspark-Theater empörten, weil dort ein schwarz geschminkter Schauspieler einen Afroamerikaner spielt. Kaum eine Zeitung konnte ihren Ärger nachvollziehen. Dabei hatte sich Theaterchef Didi Hallervorden eher unbeholfen damit verteidigt, es gebe an deutschen Theatern eben "zu wenige Rollen" für schwarze Schauspieler, die ein "Festengagement rechtfertigen" würden. Mit anderen Worten: Weiße können zwar Schwarze spielen, wenn sie sich entsprechend schminken - aber Schwarze offenbar noch lange nicht "Charlie's Tante" oder einen Hamlet.

Rassismus beginnt eben nicht erst da, wo Nazibanden durch die Straßen ziehen. Sondern schon in den Köpfen - zum Beispiel von Journalisten und Theatermachern, die das Thema einfach wegwischen, weil sie sich selbst nicht davon betroffen fühlen.

Auffällig ist in diesem Zusammenhang, wie sehr sich die mediale Empörung über die einmalige Blutspur der Neonazis aus Zwickau in Grenzen hält: Dem Leitmedium Spiegel etwa war der Terror von rechts gerade mal eine Titelgeschichte wert - danach widmete sich das Blatt lieber den Affären des Bundespräsidenten Wulff, die seither zweimal auf dem Spiegel-Cover landeten. Und auch bei Talkkönig Günther Jauch war "Zwickau" nur einmal Thema (zum Vergleich: Wulff viermal), und seine Talkshow-Kollegen reden inzwischen über Alzheimer. Auch beim Thema Rassismus, so scheint es, leiden einige Medien an Alzheimer.

An diesem Phänomen ist möglicherweise auch eine personelle Unausgewogenheit in den Redaktionen schuld. Gerade mal ein Prozent aller Journalisten in Deutschland weist einen Migrationshintergrund auf - und das in einem Land, in dem jeder fünfte Einwohner einen besitzt. Hier bestehe "weiterhin Handlungsbedarf", damit Medien mehr Sensibilität für Minderheiten entwickeln und dem Wandel in der Gesellschaft nicht hinterherhinken, heißt es dazu nüchtern im "Nationalen Aktionsplan Integration" der Bundesregierung vom Januar 2012. Das ist wohl etwas dran.

Wandel erst an der Oberfläche

Zwar haben einige Medien inzwischen das Defizit erkannt: Öffentlich-rechtliche TV-Sender haben in den letzten Jahren bewusst Moderatoren mit Migrationshintergrund in den Vordergrund geschoben, manche Zeitungen haben gezielt türkischstämmige Kolumnistinnen eingestellt. Aber das ist kaum mehr als Kosmetik, wenn in vielen Redaktionsstuben und Chefetagen noch ein alter Geist weht.

Seltsam ist jedenfalls, wie häufig es den Kollegen mit Migrationshintergrund überlassen bleibt, über Integrationsthemen zu schreiben - als wäre dies das einzige Feld, auf dem man ihnen echte Kompetenz zutraut. Mag sein, dass die Auseinandersetzung mit alltäglichem Rassismus auch einfach keine guten Quoten und keine Auflagensteigerung verspricht. Aber zumindest der öffentlich-rechtliche Rundfunk hätte einen anderen Auftrag als den, sich mit der Marktlogik gemein zu machen.

Doch es besteht Grund zur Hoffnung. Denn die deutschen Medien haben schon einmal bewiesen, dass sie mehr Sensibilität für vermeintlich vernachlässigbare Minderheiten zeigen können, wenn sie erkennen, dass dies in ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse ist. So haben Sujets, die früher als "Frauenthemen" galten, in den meisten Medien heute längst einen selbstverständlichen Platz. Auch der Anteil von Frauen im Journalismus hat über die Jahre immer mehr zugenommen - nur in den Chefetagen sieht es da noch mau aus. Aber Frauen können über alles schreiben, sie werden nicht mehr automatisch auf bestimmte Themen festgelegt. Und Sexismus gehört in den meisten Medien nicht mehr zum guten Ton.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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16 Kommentare

 / 
  • MM
    mazedonische Migrantin

    Der guter Artikel.

     

    Als Migrantin bin ich sehr feinfühlig was Rassismus in Gesellschaft und Medien angeht.

     

    Ich habe aber eine andere Perspektive als zB Migranten aus der Türkei weil ich persönlich noch nicht merkbar diskriminiert wurde, da mein Phenotyp dem Mitteleuropäischen entspricht und man als "ehemaliger Jugoslave" weniger Vorurteile entgegen gebracht bekommt.

     

    Aber das führt dazu, dass ich völlig rein von eigenem Schicksal erkennen kann, welchen Rassismus wir wirklich haben. Das fängt bei mir schon da an, wo Gauck zum "Bürgerpräsidenten" erklärt wird, alle mit dem Begriff "Bürger" um sich werfen und dabei ca. 7 Millionen migrantische Nicht-Bürger unter den Tisch fallen. Rassismus fängt für mich also schon da an, wo verschweigen und ignoriert wird. Wo in Deutschland lebende Ausländer, wie ich einer bin, nicht anerkannt und als Teil der Staates Deutschland begriffen werden, für die auch ein deutscher Bundespräsident eine Bedeutung haben soll.

     

    Enden tut der Rassismus bei Leuten wie der NSU und ihren Morden. Dazwischen aber ist viel Raum für die sogenannte "Mitte" uns Migranten auszuschließen, zu gängeln und uns unsere Kultur und Herkunft schlecht zu reden.

     

    Leitkultur am Arsch. Jeder Jeck is anders.

  • A
    Alien59

    Danke. Ein notwendiges Mahnschreiben.

  • C
    Christoph

    Die Medien sind die Passgeber der Rechtspopulisten. Was wäre Thilo Sarrazin ohne die BILD und den SPIEGEL? Seit dem 9/11 lautete das Hauptthema Terror, Terror und nochmals Terror. Zwischendurch gab es kurze Unterbrechungen wegen den ach so furchtbaren Zuständen in Kreuzberg und Neukölln. Der Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky wurde der Liebling der Medien, da er trotz SPD-Mitgliedsausweis immer so schöne Horrorgeschichten über die Migranten und Muslime berichten konnte. „Fachkundige“ Islamkritiker wie Henryk M. Broder sind mit ihren Hasspamphleten reich geworden. Aber auch die Kronzeugen der islamischen "Bedrohung" wie Necla Kelek und Ayaan Hirsi Ali haben viel Aufmerksamkeit bekommen und sich dadurch eine eigene Existenz aufgebaut.

     

    Wen wundert es da, dass Begriffe wie Dönermorde die Runde machen und selbst der Verfassungsschutz die Rechten aus den Augen verliert?

  • F
    Franzi

    Guter Artikel Herr Bax!

     

    Es ist vollkommen richtig, dass Hart aber Fair, Anne Will & Co. lieber über Wulff und Bobbycars debattieren, als über den latenten Fremdenhass im Industrieland Deutschland.

     

    Die Medien in Deutschland (Magazine, Zeitungen und Sender) verdienen mit Angst, Vorurteilen und Panikmache viel, viel Geld. Darum wurde uns auch 10 Jahre eingeredet, dass fast alle Muslime latente Terroristen sind und Deutschland bald Opfer vieler Anschläge sein wird. Dass gleichzeitig jedes Jahr über 40.000 Deutsche an Alkohol und über 100.000 Deutsche in verkeimten Krankenhäusern sterben, interessiert bei dieser angeblichen "Großgefahr" überhaupt nicht.

     

     

    Kein Verein, kein Unternehmen und keine Gruppe hätte diese jahrelange Diffamierung der Medien ausgehalten, ohne in ihrem Ansehen und Prestige massiv zu leiden. Hoffentlich ist dieses Theater bald vorbei.

  • ZM
    Zweierlei Maß

    Dieses System hat lieber einen Nazi im Schrank, als einen Sozi bei der Bank!

  • SW
    S. Weinert

    Schön, ausnahmsweise einmal Selbstkritik von einem Mitglied der journalistischen Zunft zu lesen - kommt ja selten genug vor.

     

    Das Problem liegt aber doch allgemein viel tiefer.

     

    Auf der einen Seite genießt der Journalismus als "Vierte Gewalt" Grundrechtsschutz, der sogar weit über die Grenzen der Meinungsfreiheit herausragt. Wer einmal einen Blick in bestimmte Blättchen (die vorzugsweise über Königshäuser, Volksmusiker(innen) etc. "berichten") geworfen hat, kann erahnen, was für einen Journalisten möglich ist. Aber auch der "seriöse" Journalismus wagt oftmals den Tanz auf der Rasierklinge - was zu Punkt Zwei, quasi der Kehrseite der Medaille führt.

     

    Denn auf der anderen Seite ist jedes Presseorgan auch ein Wirtschaftsbetrieb, der Kosten decken und Gewinne einfahren muss - und das in einem immer härter werdenden Wettbewerb. Da wird die "Story" gerne mal zunächst danach beurteilt, ob eine gute Schlagzeile abfällt und man möglichst der erste im Blätterwald ist und erst in zweiter Linie wird ernsthaft recherchiert. Und wenn sich die Schlagzeile als Ente entpuppt, sieht man schweigend darüber hinweg. Schließlich lebt man von seiner Reputation, welcher Zeitungsleser würde einer Zeitung vertrauen, die sich (fair aber im Kamikaze-Stil) für ihre Fehler dauernd entschuldigen muss?

    Und nicht zuletzt führt der Kostendruck immer mehr dazu, dass eine Recherche nicht mehr vor Ort, sondern per google billig im Internet durchgeführt wird, was natürlich zu Fehlern und weiterem Verschweigen führt.

     

    Würde man (wie es der Stellung der Presse als "Vierte Gewalt" durchaus angemessen wäre) einen Untersuchungsausschuss über die journalistischen Verfehlungen im NSU-Fall einrichten - ich denke, die Presse würde insgesamt kaum besser wegkommen, als die Sicherheitsbehörden...

  • S
    Stefan

    1% der Journalisten mit Migrationshintergrund? Woher stammt diese Zahl? In den von mir bevorzugten Medien kann ich das nicht feststellen. Bei meinem Lieblingsblog hat sogar der Mitbegründer einen MiHiGru. Aber die Frage habe ich nie gestellt, weil die von mir gelesenen Autoren so weit von Rassismus weg sind, dass es einfach kein Thema ist.

    Reell existierenden Rassismus finden wir jedoch viel in Medien, die sich gerade explizit gegen Rassismus aussprechen. Rassismus ist z.B., wenn Menschen entmündigt werden indem ihre Menschen verachtende Meinungen und Handlungen mit ihrer Herkunft entschuldigt und verteidigt werden. Spezialität der Anti-Rassisten.

    Nur nebenbei: Ohne erkennbares Motiv oder Bekennerschreiben kann ein Mord schlecht eingeordnet werden.

  • A
    antiantiantianti

    Dürfen sich Rihanna und Beyonce eigentlich dann ihre Haare blondieren Herr Bax?

  • O
    olga

    das thema mal kurz in den medien,ups da wars auch schon wieder weg!...die journalistische pflicht wurde damit erfüllt

  • R
    roland

    danke,das die taz bei diesem thema zumindest unbequem bleibt.es ist ungeheuerlich wie mit diesen morden umgegangen wird (bzw. wurde)

    man hatte geradezu das gefühl, das die meisten journalisten einfach keine lust darauf hatten darüber zu berichten.

    warum etwas kritisch hinterfragen, wenn man auch mit flachen wulff berichten seine brötchen verdienen kann?

    massenverblödung pur!

  • ZN
    zwerg nase

    Ein guter Artikel - nur fehlt mir hier ein Hinweis darauf, wie denn die Situation bei der taz aussieht. Damit möchte ich keine Vorwürfe erheben, sondern eher äußern, dass es schön gewesen wäre, bei dem (berechtigten) Vorwurf, dass es anderen Medien an Selbsreflektion fehlt, selbst anders damit umzugehen - und das vor allem in diesen Artikel mit einfließen zu lassen.

  • T
    Toni

    Es benötigt seine Zeit, dass Bürger mit Migrationshintergrund häufiger in allen Bereichen vertreten sind.

     

    "Charlie's Tante" oder einen Hamlet."

     

    Man verbindet Theatertitel auch immer mit alten Filmen bzw. mit Wissen über bereits gesehene oder gelesene Stücke. Unterbewusst denkt man dann auch an die Zeit und den Ort wo dieses Stück geschrieben wurde und vor allem spielt. Dadurch ist es verständlich, dass die meisten Menschen eher einen Weißen mit der Figur Hamlets verbinden.

     

    Gruß

  • W
    willy

    Mensch Baxxxi, oller Obergutti, du bist die Besti, mach uns den Wulffi!

  • T
    tommy

    "Denn die deutschen Medien haben schon einmal bewiesen, dass sie mehr Sensibilität für vermeintlich vernachlässigbare Minderheiten zeigen können, wenn sie erkennen, dass dies in ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse ist. So haben Sujets, die früher als "Frauenthemen" galten..."

     

    Frauen sind keine Minderheit, sondern die Hälfte der Bevölkerung.

    Im Übrigen sollte Daniel Bax vielleicht seine Stelle an einen Journalisten mit Migrationshintergrund abgeben, wenn er sich so große Sorgen um die Unterrepräsentation von Migranten macht.

  • Z
    zuza

    vielen dank für diesen beitrag!

  • I
    indifferent

    Beschämend ist an der ganzen Sache dies: "Lieber einen Nazi im Schrank, als ein Sozi bei der Bank"!