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Debatte Nato-Krieg in AfghanistanDie Freiheit der Afghanen

Kommentar von Rudolf Walther

Die Rede von unserer "Verantwortung" am Hindukusch ist Betrug. Nach dem Abzug der Nato muss es dort keineswegs zum Bürgerkrieg kommen.

Eine klare Mehrheit der deutschen Bevölkerung, also des Souveräns, lehnt den Nato-Krieg in Afghanistan ab. Damit steht sie im Gegensatz zur Mehrheit seiner parlamentarischen Vertreter. Doch dies spielte in der Bundestagsdebatte über die Verlängerung des Kriegsmandats nur eine marginale Rolle. Eine Grundsatzdebatte über den Krieg der Nato in Afghanistan fand und findet nicht statt. Jeder ernsthafte Anlauf dazu wird mit Totschlagparolen ausgebremst, die sich auf genau zwei Fragen konzentrieren: Welche Alternativen gibt es zum Krieg? Und was geschieht nach dem Truppenrückzug?

Der Urfehler der Intervention gerät dabei aus dem Blick. Denn mit der Lebenslüge, auch am Hindukusch werde "unsere Freiheit" verteidigt, begann bekanntlich das ganze Elend. Die Parole ist das Echo einer biederen Leutnantsweisheit, die der militärkundige Friedrich Engels schon 1859 als Verlegenheitsstrategem zerlegte. Damals hieß es, die deutsche Rheingrenze müsse gegen das bonapartistischen Frankreich auch am Po in Italien verteidigt werden, indem sich deutsche Truppen auf die Seite des österreichischen Besatzungsregimes stellten und gegen Frankreich in den Krieg zögen. Damals ging es um die nationale Einigung Italiens und Deutschlands gegen österreichische und französische Hegemonialansprüche. Das meiste an der politischen Konstellation von damals ist mit dem Nato-Krieg in Afghanistan nicht vergleichbar - bis auf ein Moment, das Engels genau erkannte: "Überlassen wir es Italien, seine eigenen Sachen selbst abzumachen, so hört der Hass der Italiener gegen uns von selbst auf."

Die Nato-Truppen am Hindukusch bewirken nur, den Hass der Afghanen auf sich zu ziehen. Die Intervention mit der Parole, von dort aus werde "unsere Freiheit" bedroht, geht von der illusionären Prämisse aus, die Leute von Bin Ladens al-Qaida und ein paar tausend Taliban seien eine Weltmacht, der man den Krieg erklären müsse, statt sie mit einer Polizeiaktion zu stoppen. Mit dem Nato-Krieg hat sich "der" Westen erst zum Feind der Afghanen gemacht - so, wie ehemals die Österreicher zum Feind der Italiener.

Die "neue" Strategie der Nato-Truppen - tagsüber Schulen bauen und nachts mit Drohnen und Kampfflugzeugen zuschlagen - ist weder neu noch aussichtsreich. Schon 1963 schlug der französische General David Calula vor, revolutionäre Bewegungen in Algerien und anderswo mit dieser Strategie zu "pazifizieren". Diese Strategie verfehlte jedes Mal ihr Ziel, weil jedes zivile Opfer militärischer Angriffe jene stärkt, die ihr Land - ob Algerien oder Afghanistan - als Opfer der Angriffe von außen sehen.

Die Lücke zwischen dem Anspruch der ehrgeizigen Strategie und der trostlosen Wirklichkeit soll jetzt mit Panzern und anderen schweren Waffen geschlossen werden. Kann man Feuer mit Benzin löschen? Oder einen Aufstand mit dem Abschreckungsmärchen, ein Blick "in das Kanonenrohr des Leopard 2" bringe die Afghanen schon zur Räson, wie der FDP-Politiker Hellmut Königshaus meint?

Den "Krieg gegen die Taliban", den die Nato führt, nehmen viele Afghanen als einen Krieg gegen Afghanistan wahr. Dass sich die Nato-Truppen auf Frieden, Menschenrechte und Demokratie berufen, kann nicht verhindern, dass der Krieg als das erscheint, was er ist: als ein Gesinnungskrieg "des Westens" gegen den politisch motivierten "Islamismus" der Taliban, die ihre Existenz saudi-arabischem Geld und logistischer Hilfe der US-Geheimdienste verdanken.

Möglich, dass nach dem Abzug der Nato-Truppen ein Bürgerkrieg ausbricht. Das ist aber kein Argument für die Fortsetzung des Krieges. In Afghanistan haben es die Völkerschaften, Stämme und familialen Clans aus eigener Kraft und quer durch die Ethnien geschafft, Strukturen und Netzwerke aufzubauen, die ein fragiles inneres Gleichgewicht garantierten. Bürgerkriege gab es nicht aufgrund ethnischer Spaltungen, sondern immer dann, wenn sich starke Netzwerke wie etwa die "Nordallianz" von Warlords unterschiedlicher Ethnien auf Bündnisse mit auswärtigen Staaten einließen, durch den sich andere Netzwerke geschwächt oder bedroht fühlten. Weder die Monarchie noch die afghanische Republik nach 1973 waren Staaten im Sinne westlicher Lehrbücher. Viele vor- und parastaatliche Institutionen (Loja Dschirga, Stammes- und Ältestenräte) überformten und begrenzten die staatlichen Institutionen (Regierung, Parlament, Verwaltung, Justiz). Letztere waren immer schwächer.

Wenn es nach dem Abzug der Nato-Truppen zu einem Bürgerkrieg kommt, kann man den abziehenden Truppen dafür nicht die Verantwortung geben. Die Verpflichtung von Staaten, Bürgerkriege in anderen Staaten zu verhindern, ist zwar politisch-moralisch postulierbar. Die Erfahrung mit so begründeten "Verantwortungs"-, also reinen Gesinnungs- und Interessenkriegen in Somalia, im Kosovo und anderswo zeigt zwiespältige Resultate. In keinem Fall wurden Frieden oder Demokratie dauerhaft installiert und Menschenrechte gesichert.

"Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Demokraten in Afghanistan", meint der grüne Abgeordnete Tom Koenigs. Doch die Rechtfertigung solcher Kriege mit dem Begriff "Verantwortung" taugt nicht. Der Begriff ist ein Kobold der politischen Theorie: Je nach Perspektive und Interessenlage kann mit ihm eine Intervention oder das Gegenteil begründet werden. "Unsere" Verantwortung für den Krieg gegen Afghanistan hat ihre Grundlage angeblich in den universell gültigen Menschenrechten. Nimmt man diese jedoch ernst nimmt, darf man sie nicht für restlos partikulare Interessenpolitik wie den "Krieg gegen den Terror" instrumentalisieren, denn das führt zu Widersprüchen.

Unsere "Verantwortung" verstummt immer wieder gegenüber Chinas Tibet-Politik, Putins Regime im Kaukasus und Israels Unterdrückung der Palästinenser. Wer "Verantwortung" predigt, will betrügen. Und wer interveniert, um "Verantwortung in Verantwortung" an Afghanistan "zu übergeben", wie es Ruprecht Polenz (CDU) postuliert, der betrügt doppelt - sich selbst und die Afghanen.

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7 Kommentare

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  • S
    Slowfood

    Was bei Walther und den Kommentatoren fehlt, wird bis heute auch öffentlich verleugnet. Der Krieg in Afghanistan wird zur Sicherung der Ölreserven im Nahen Osten geführt also um wirtschaftliche Macht in dieser Region. Die Amerikaner haben die Taliban gegen die Russen unterstützt, dann Sadam gegen Iran, jetzt Pakistan gegen Afghanistan, alles nach dem gleichen Muster: Die Macht muss gesichert werden, unter allen Umständen.

  • M
    Martin

    Was wäre Afghanistan ohne die 'von uns' gebrachte 'Demokratie' mit der von uns als 'Marionette(n) des Westens' bezeichneten korrupten Regierung Karsais, die nun von den 'von uns' - vom Westen - seinerzeit finanzierten 'Taliban' bekämpft wird? Es sind die Drogenbosse, Warlords, kriminell durch und durch. Wäre Afghanistan ohne 'uns' dann eine 'islamische' Diktatur so wie in Saudi-Arabien, dem Land, aus dem die Attentäter von New York stammten? Berichte über dortige Steinigungen, Auspeitschungen von Frauen usw. gibt es ja zur Genüge. Meine Anfrage bei der Deutschen Botschaft in Riad, anläßlich einer Steinigung, ob man dort nun für die Verteidigung der Menschen- und Frauenrechte die Bundeswehr wie in Afghanistan benötigt, vielleicht für den Sturz der dortigen Diktatur Bombenangriffe, für den Aufbau einer Demokratie eine Besatzungsarmee, die blieb aber unbeantwortet. Warum? Weil das nur ein Gequatsche für Hirngeschädigte ist, das Gebrabbel vom Kampf für 'Menschenrechten', 'Demokratie', 'Frauenrechten'. Das ist eine einzige Lüge, um die Massenmorde zu vertuschen, die von der US-Armee und ihren Allierten seit Jahren im Irak und Afghanistan durchgeführt werden. Es sind Menschenschlachtungen, unlängst in dem Video bei 'Wikileaks' bezüglich der Ermordung der Reuters Journalisten im Irak genau dokumentiert. Nato-Truppen sind - das lehrt uns dieses Video - ganz einfach Mördertruppen. Es geht um die Macht in strategisch wichtigen Regionen. Dafür wurden und werden die dort lebenden Menschen umgebracht und lebendig verbrannt. Es wider mich an, das blöde Gequatsche von 'Aufbauarbeit' und 'Schulen für Mädchen' usw. zu hören. Dann tötet die Mädchen nicht, liebe Massenmörder, werft keine Bomben auf Zivilisten, liebe Bundeswehr, verbrennt keine Menschen wie in Auschwitz. Das wäre so lieb.

  • L
    lui

    Gut geschrieben!

    Was ist die Alternative? Zum Krieg? Natürlich Frieden!

    Was passiert nach dem Abzug der Truppen? Sie werden glücklich sein wieder im eigenen Land zu sein, wo man nicht dauernd auf Minen und Heckenschützen aufpassen muß.

    Sie werden froh sein Freunde und Verwandte wieder zu sehen und noch alle Gliedmassen am Körper zu haben.

  • V
    vic

    Was wenn "wir" Afghanistan Frieden, Freiheit und Demokratie beigebracht haben, und es ist niemand mehr da der all das genießen kann?

    Man weiß nicht, was geschieht wenn "wir uns" jetzt zurückziehen? Mag sein.

    Aber wenn nicht, dann weiß man was geschieht.

  • M
    Makeze

    Der Author vergleicht den AFG-Einsatz der Nato mit den Tibet und Kaukasus Konflikten. Äpfel und Birnen... Man will den Afghanen es ermöglichen sich selber zu Regieren, nicht ihnen ihre Souverenität nehmen.

    Richtigerweise schreibt er, dass es nicht zum erneuten aufflammen eines Bürgerkriegs kommen muss, sobald sich die Nato-Truppen verziehen, fälschlicherweise suggeriert er einen sofortigen Abzug als einzig moralisch richtige Schlussfolgerung.

    Aber was nach einem vollständigen Abzug zu diesem Zeitpunkt passieren kann, weiß keiner. Genau zu diesem Punkt verliert der Author kein Wort, im gegensatz zum bescheuerten "...am Hindukusch verteidigt." Blödsinn, den schon 24 std. nach seiner Veröffentlichung niemand mehr geglaubt hat.

    Wie ist es denn mit unserer Moral, wenn wir ein Land was eben noch nicht auf eigenen Beinen stehen kann, den Rücken zukehren? Wenn wieder hunderte von tausenden Menschen einen gewaltsamen Tod finden, wie er fast 30 Jahre lang in AFG gang und gebe war? Kann man dann wirklich sagen: "Das waren die Afghanen selber"?

    Es geht nicht darum den Afghanen unseren westlichen Wertekanon aufzudrücken, sondern das Demokratie die einzige Staatsform ist, mit der ein Land in einer vernetzten und globalisierten Welt auf dauer stabil sein kann.

  • S
    Sebastian

    Jaja, immer so wie es einem passt. Wenn das Souverän (die Bevölkerung) gegen die Aufnahme von Guantanamo-Häftlingen, gegen Moscheebau oder gegen gegen Geschwindigkeitslimit auf Autobahnen ist passt es den Linken nicht, aber wenn das Souverän gegen den Afghanistan Einsatz oder gegen Atomkraft ist muss natürlich gehandelt werden. Traurig dieses Deutschland.

  • PS
    paul sturm

    endlich ein lesenswerter bericht .... mein vorschlag ist das die medien weniger kriegshätzerische politisch gefärbte und einseitige journalisten a`la erich rathfelder ernst nimmt und mehr auf menschen wie rudolf walther setzen. dann wird die welt viel friedlicher sein als sie momentan ist und deutschlands söhne und töchter mussten nicht die kolonialmacht spielen und viele ältern hätten ihre kinder noch.

    denkt mal darüber nach.