Debatte NSU-Morde: Geheimdienst am Ende
Der Verfassungsschutz sollte aufgelöst werden. Eine Behörde, die systematisch Skandale hervorbringt, ist schlichtweg überflüssig.
D ie Enthüllungen über das Versagen des Verfassungsschutzes werden immer drastischer, aber dennoch traut sich fast keine Partei, seine Auflösung in Betracht zu ziehen. Denn obwohl die Öffentlichkeit das Vertrauen in die Kölner Behörde größtenteils verloren hat, würde sie sich ohne das Amt schutzlos dem Treiben sogenannter Extremisten ausgesetzt fühlen – so befürchten es zumindest Innenpolitiker.
Der Verfassungsschutz gilt daher weiterhin als unverzichtbar, was den Spielraum für Veränderungen klein macht: Der Bundesinnenminister hat eine „bewährte Kraft“ aus dem eigenen Haus an die Spitze gesetzt, Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht drängen auf Zusammenlegung kleinerer Landesämter und wollen deren Kooperation untereinander und mit der Polizei verbessern. SPD-Politiker plädieren für eine schärfere Kontrolle, insbesondere der V-Leute. Außerdem soll das Amt vom Rhein endlich nach Berlin verlegt werden.
Gerade vom Bundestag könnte man erwarten, dass dort das allenthalben um sich greifende Unbehagen am Verfassungsschutz analysiert und debattiert würde. Der eigentliche Skandal des deutschen Verfassungsschutzes waren ja nie seine Pannen, die seit 1950 nicht abgerissen sind, sondern sein ganz normales Wirken.
Schwerer Geburtsfehler
HORST MEIER ist Politologe und Jurist. Gemeinsam mit Claus Leggewie hat er gerade das Buch „Nach dem Verfassungsschutz“ (Archiv der Jugendkulturen) veröffentlicht.
CLAUS LEGGEWIE ist Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen und Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik“.
So verständlich in den frühen Fünfzigern seine Einrichtung gewesen sein mag (im Westen wurde eine Elite ohne Massenbasis mit der Demokratiegründung beauftragt, im Osten hatte sich eine neue totalitäre Diktatur etabliert), so sehr blieb der Verfassungsschutz durch einen schweren Geburtsfehler geprägt: Sein Kerngeschäft, die Überwachung des Extremismus verdächtiger Parteien und Bestrebungen, greift weit ins Vorfeld objektiv feststellbarer Straftaten aus und ermöglicht bis heute eine flächendeckende Gesinnungsschnüffelei.
Das findet in vergleichbaren demokratischen Staaten keine Entsprechung – andernorts ist es der regierenden Mehrheit nicht erlaubt, eine unbequeme Opposition, die sich legal verhält, bespitzeln und einschüchtern zu lassen.
Der Verfassungsschutz war und ist der geheimdienstliche Arm einer streitbaren, präventiven Demokratie, die sich selbst nicht über den Weg traut. In dem Maße aber, wie die Demokratie in Deutschland Wurzeln schlug, ist der Sonderweg namens Verfassungsschutz eine Sackgasse geworden. Heute kann die Bundesrepublik dem Risiko, das Freiheit nun einmal mit sich bringt, gelassen und mit Augenmaß begegnen. Ein Geheimdienst, der von Anbeginn keine sinnvolle Aufgabe hatte und systematisch Skandale hervorbringt, der notorisch die Bürgerrechte beeinträchtigt und bestenfalls keinen größeren Schaden anrichtet – ein solcher Geheimdienst ist schlicht überflüssig.
Kennzeichen Opportunismus
Das Frühwarnsystem, als das er sich bis heute ausgibt, ist er nie gewesen. Wer, wie Innenminister Hans-Peter Friedrich, Vertrauen in den Verfassungsschutz zurückgewinnen will, müsste endlich einen schlagenden Beweis seiner Existenzberechtigung antreten. Das durchgängige Markenzeichen des Verfassungsschutzes ist aber eine opportunistische Dienstleistungsmentalität.
Als der deutsche Lieblingssport, die Jagd auf Linke, nicht mehr angesagt war, befleißigte er sich, im „Kampf gegen rechts“ als nützlich zu erscheinen. Zwischenzeitlich kam die Church of Scientology ins Visier, jetzt sind es die Salafisten, über die kluge Islamforscher weit mehr wissen als Geheimdienstler.
Auch die viel beschworene Trennung zwischen Polizei und Verfassungsschutz stünde einer Abwicklung des Verfassungsschutzes nicht entgegen. Die Behörde würde ja nicht mit der Polizei zusammengelegt, sondern vollständig abgeschafft werden. Und die Polizei wiederum wird am Ende nicht mehr dürfen, als sie heute ohnehin schon darf.
Die Verfassungsschutzämter können binnen fünf Jahren geordnet abgewickelt werden, fähiges Personal kann man in den polizeilichen Staatsschutz eingliedern. Dieser ist die seit jeher für politisch motivierte Straftaten zuständige „politische Polizei“. Die Arbeit speziell ausgebildeter Kriminalbeamter greift nicht in ein diffuses Feld des „Extremismus“ aus, sondern orientiert sich an der Verfolgung und Verhütung von strafbarer Gewalt (eine Aufgabe, die Friedrich jetzt ausgerechnet dem Kölner Amt zuweisen will).
Denn ein polizeiliches Vollzugsdefizit vor Ort, wo Fremde terrorisiert und Nachbarn eingeschüchtert werden, ist das größte Problem hierzulande in Sachen innere Sicherheit. Das ist die Lektion von Rostock-Lichtenhagen, die bis in die Gegenwart reicht.
Extremistenspiele einstellen
Die Perspektive, den Verfassungsschutz abzuwickeln, sollte, so unser Vorschlag, von zwei Maßnahmen flankiert werden: Damit polizeilicher Staatsschutz professionell und politisch neutral ermittelt und sich seine Vorfeldaufklärung nicht unnötig ausdehnt, sind erstens die bestehenden parlamentarischen Gremien, die bislang dem Verfassungsschutz galten, auf die Kontrolle der „politischen Polizei“ umzustellen. Zweitens: Eine zu gründende unabhängige, wirklich gut ausgestattete „Bürgerstiftung zur Verteidigung der Demokratie“ kann Antidemokraten, Rassisten und Antisemiten aller Schattierungen politisch Paroli bieten.
Die deutsche Demokratie darf den Sonderweg namens Verfassungsschutz getrost verlassen und dessen so groteske wie fruchtlose Extremistenspiele einstellen. Dazu gehört (man denke nur an die kopflose NPD-Debatte!) die Bindung eines Parteiverbots an das illegale, gewalttätige Verhalten der Parteianhänger. Wo noch ideologischer Verfassungsschutz ist, muss gefahrenbezogener Republikschutz entstehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann