Debatte Mord an Marwa El Sherbini: Die Schuld der DDR

Der Mord an Marwa El Sherbini in Dresden hat gezeigt, dass westdeutsche Debatten über Rassismus im Osten kaum etwas nützen. Denn die Wurzeln für die Fremdenfeindlichkeit dort liegen noch in den Zeiten des SED-Regimes

Vor dem Dresdner Rathaus trafen sich am 11.07.2009 etwa 1.500 Trauernde um Marwa El Sherbini zu gedenken. Bild: dpa

Anfang Juli 2009 wurde Marwa el-Sherbini im Dresdner Landgericht von dem Rassisten Alex W. erstochen. Die schreckliche Tat machte viele Verantwortliche sprachlos, zu lange sprachlos. Erst die Proteste gegen diesen Mord in Ägypten und die Trauerfeier in Dresden entfachten eine kurze, aber nicht anhaltende Diskussion. In der Kritik stand die zögerliche Reaktion der Stadtspitze, aber es wurde auch die Frage nach der alltäglichen Diskriminierung von Migrantinnen und Migranten aufgeworfen.

Immer wieder fiel in der Folgezeit ein Begriff: „Integration“, „Integration der Ausländer in Dresden“, „Integration der muslimischen Frauen“ und und und... Angesichts der realen Situation muss das für Migrantinnen und Migranten hierzulande wie Hohn klingen.

Zu wenig wurde darüber diskutiert, dass das Hauptproblem in Sachsen nicht in der fehlenden Integrationsbereitschaft der Migrantinnen und Migranten liegt, sondern in der zu geringen Aufnahmebereitschaft der angestammten Bevölkerung.

Dieses Manko liegt zu einem guten Teil auch im Umgang mit den Migrantinnen und Migranten in der früheren DDR begründet.

20 Jahre nach der Wende ist es endlich an der Zeit, sich dessen bewusst zu werden. Und 20 Jahre nach der Wende braucht Sachsen endlich eine eigenständige Debatte über den Umgang mit Migrantinnen und Migranten.

Ein Miteinander war nicht vorgesehen

Als 1989 die Mauer fiel, lebten etwa 192.000 Ausländer in der damaligen DDR. Viele von ihnen waren Arbeitsmigranten, in der DDR 'Vertragsarbeiter' genannt. Sie waren über staatliche Abkommen ins Land gekommen. Das SED-Regime achtete streng darauf, dass sie nach der vereinbarten Zeit wieder in ihre Heimatländer zurückkehrten. Während sie in der DDR lebten, wohnten sie abgeschottet in Heimen, über die Einzelheiten der Abkommen mit ihren Herkunftsländern war bei der Bevölkerung wenig bekannt.

Ein Miteinander zwischen einheimischer und eingewanderter Bevölkerung, das über demonstrative Gastfreundschaft hinausging, war nicht vorgesehen. Bestehende Ressentiments und fremdenfeindliche Übergriffe, die es sehr wohl gab, wurden tabuisiert und geheim gehalten. Im Gegensatz zur Bundesrepublik gab es keine Normalisierungsprozesse zwischen Eingeborenen und Eingewanderten.

Dieses Erbe der Vergangenheit ist auch heute noch in Ostdeutschland gegenwärtig. Auch 20 Jahre nach der Wende gibt es ausreichend Anzeichen, dass die Vorstellung, Migrantinnen und Migranten seien nicht Teil dieser Gesellschaft, sondern eine Gruppe von 'Besuchern' auch weiterhin verbreitet ist.

Das betrifft nicht nur Teile der Gesellschaft, sondern auch offizielle Stellen. Oder wie erklärt es sich, dass die Staatsregierung auch im Jahr 2009 noch kein Integrationskonzept für Sachsen vorgelegt hat? Oder dass in Sachsen offiziell auch bei Kindern und Jugendlichen, die hier geboren wurden, allein aufgrund ihres Passes konsequent von 'Ausländern' gesprochen wird?

Westdeutsche Debatten helfen nicht

Was in Sachsen und Ostdeutschland fehlt, ist eine aktive Auseinandersetzung mit dem DDR-Erbe sowie eine realistische Analyse zur Situation der Einwanderer in Ostdeutschland.

Die Ausschreitungen in Hoyerswerda 1991, der Tod von Jorge Gomondai in Dresden 1991 oder aber auch die Übergriffe in Rostock-Lichtenhagen 1993 hätten Anlass sein müssen, eine eigene ostdeutsche Debatte zu Zuwanderung, Fremdenfeindlichkeit und den Umgang mit Migrantinnen und Migranten in breite gesellschaftliche Schichten zu tragen.

Denn allein das Nacherzählen westdeutscher Debatten hilft weder in der Bearbeitung der rassistischen und fremdenfeindlichen Tendenzen der ostdeutschen Gesellschaft, noch unterstützt es Integrationsbemühungen von Migrantinnen und Migranten.

Auch in Sachsen wurden die Vorfälle an der Berliner Rütli-Schule, wo Lehrerinnen und Lehrer in einem Offenen Brief an die Schulverwaltung vor den Zuständen in der Schule kapitulierten, breit diskutiert. Aber bei uns ist die Situation an den Schulen eine völlig andere: Kinder mit ausländischem Pass, insbesondere die vielen Schüler vietnamesischer Herkunft, besuchen in Sachsen überdurchschnittlich häufig ein Gymnasium und sind erfolgreich in der Schule.

Eine ostdeutsche Debatte um Kinder mit Migrationshintergrund und Bildung müsste die Frage aufwerfen, wo diese Kinder morgen studieren und übermorgen arbeiten werden? Werden sie so schnell wie möglich Sachsen verlassen und in die Metropolen Westdeutschland abwandern, wo sie mit weit weniger Angst vor Gewalt und Diskriminierung leben können? Werden sie ihre Zukunft im Herkunftsland ihrer Eltern suchen oder zu einem guten Teil auf Dauer ihre Heimat in Sachsen finden, hier arbeiten und Familien gründen?

Eine ostdeutsche Debatte müsste die Frage aufwerfen, wie auch Jugendliche aus Asylbewerberfamilien so gefördert werden können, dass sie ihre Motivation zum Lernen nutzen und ebenfalls schulisch erfolgreich sein können. Oder wie junge Menschen mit Duldung und Residenzpflicht unbürokratisch eine Universität ihrer Wahl besuchen können.

Angesichts des aktuellen Bevölkerungsrückgangs in den fünf ostdeutschen Ländern und des sich abzeichnenden Fachkräftemangels gibt es allen Grund, diese Debatte zu führen.

Rassismus und Diskriminierung müssen ernst genommen werden

Auch die politisch Verantwortlichen tragen zu einem Zerrbild bei, wenn sie in Veranstaltungen über den Islam hauptsächlich über die Gefahr von Terrorismus reden, statt über in Ostdeutschland tatsächlich bestehende Herausforderungen und Probleme von Menschen mit Migrationshintergrund zu diskutieren.

Der Mord an Marwa el-Sherbini hat auch etwas anderes deutlich gezeigt: Dass diese Frau hervorragend gebildet war, Deutsch sprach und das deutsche Rechtssystem nicht nur anerkannte, sondern sich ihm sogar anvertraute, hat sie nicht vor der schrecklichen Gewalttat bewahrt. Auch wenn sie schon bald nach Ägypten zurückkehren wollte, entsprach sie fast dem konservativen Wunschbild der „Integration“. Das hat sie nicht geschützt. Wir müssen uns also die Frage stellen, ob wir in Sachsen den Menschen, die von vielen als „Fremde“ wahrgenommen werden, den Respekt entgegenbringen, auf den jeder, wirklich jeder Mensch Anspruch haben muss – unabhängig von Herkunft oder Religionszugehörigkeit.

Es ist wahr, dass Rassisten wie Alex W. nicht die Mehrheit in Sachsen darstellen. Trotzdem berichten Menschen mit anderer Hautfarbe immer wieder von täglichen Beleidigungen und Belästigungen, von offener Diskriminierung. Auch wenn die Mehrzahl der Einheimischen nicht rassistisch und fremdenfeindlich ist, so sind es doch offensichtlich zu viele. Statt also die Begriffe 'weltoffen' und 'tolerant' wie Schutzschilder vor sich herzutragen, ist es an der Zeit, dass staatliche Stellen den EinwanderInnen zuhören und anerkennen, dass es ein Problem gibt.

Dazu gehört auch, dass konkrete Vorschläge wie Rassismus eingedämmt werden kann, erörtert werden. Solche gibt es viele: Toleranz muss festes Thema in Kitas und Schulen sein, Projekte gegen Rassismus und Diskriminierung müssen verlässlich finanziert werden, in den Städten und Gemeinden, aber auch bei der Staatsregierung braucht es AnsprechpartnerInnen, an die sich diskriminierte Menschen wenden können. Aber vor allem: Es geht auch um gleiche Augenhöhe. Migrantinnen und Migranten brauchen Rechte, um mitreden und mitentscheiden zu können.

Dies alles bedeutet nicht zuletzt auch, dass wir, die Teil der sogenannten Mehrheitsgesellschaft sind, unsere Vorstellungen darüber, was 'deutsch' ist und wer Teil der deutschen Gesellschaft sein kann, radikal prüfen müssen. Solange wir dies weiter an Abstammungsfragen und Staatsbürgerschaft festmachen, leidet ein Teil der Menschen, die in Sachsen leben, fortgesetzt unter der Ungerechtigkeit des Ausgeschlossenseins.

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