Debatte Mitwirkung: Mehr Transparenz wagen
Führen neue Partizipationsmöglichkeiten zu mehr Demokratie? Nein, Volksentscheide und "Bürgerhaushalte" bewirken sogar das Gegenteil!
S pätestens seit den Protesten gegen Stuttgart 21 gilt es hierzulande als ausgemacht, dass die althergebrachten Institutionen die empfundene Krise der Demokratie nicht mehr allein bewältigen können. Dagegen ließe sich einwenden, dass die Krise fast schon ein Wesensmerkmal der Demokratie ist. Schließlich bringt diese Regierungsform der Freiheit und des institutionalisierten Wandels naturgemäß ein hohes Maß an Unsicherheit mit sich. Doch kaum jemand stellt die einstmals strittige Forderung nach "mehr Demokratie" noch infrage. Die Neuerungen, die vorgeschlagen werden, laufen jedoch nicht selten auf einen faktischen Demokratieabbau hinaus.
Häufig wird eine wachsende Distanz zwischen politischen Eliten und Gesellschaft als Grund für die angenommene Krise der Demokratie ausgemacht. Peter Sloterdijk beklagt gar die "Ausschaltung der Bürger in der Demokratie", denn bürgerschaftlicher Anspruch und tatsächlicher Einfluss klaffen weit auseinander. Im Umkehrschluss sollen mehr Partizipationsmöglichkeiten die Legitimität wiederherstellen. Der Historiker Paul Nolte spricht von einer "multiplen Demokratie", der Politikwissenschaftler Hans Vorländer von der "responsiven und partizipatorischen Demokratie".
Quasi als Speerspitze fungiert dabei die Forderung nach mehr direkter Demokratie, die offensichtlich jedem Politiker gut zu Gesicht steht. Doch neben den altbekannten Fallstricken der direkten Demokratie (wer stellt wann welche Frage?) erweist sich vor allem die Wirkung gegenüber benachteiligten Gruppen als Problem.
vertritt eine Professur für politische Theorie und Ideengeschichte an der Uni Trier. Jüngst erschien der von ihm und Winfried Thaa edierte Band "Krise und Reform politischer Repräsentation" (Baden-Baden 2011).
Wem Volksentscheide nutzen
Beispielhaft zeigte sich das beim Hamburger Volksentscheid zur Schulreform 2010. Ein Parlamentsgesetz, welches das längere gemeinsame Lernen ermöglichte, also die Integration von Kindern aus unteren Bildungsschichten förderte, wurde durch eine mobilisierungsfähige "Mehrheit" gekippt - bei nur 39 Prozent Wahlbeteiligung. Die Eltern derjenigen, denen die Schulreform helfen sollte, gingen dagegen kaum zur Abstimmung.
Die parlamentarische Parteiendemokratie vertritt solche apathisch-desinteressierten Gruppen und viele andere Minderheiten besser. Wie die Langzeitstudie einer Forschergruppe um Adrian Vatter zeigte, haben Volksabstimmungen in der Schweiz zu einer systematischen Benachteiligung religiöser Minderheiten geführt. Vor allem schlecht integrierte Gruppen bekommen das zu spüren.
Daneben sind zivilgesellschaftliche Beteiligungsformen derzeit en vogue - insbesondere Dialogprozesse zwischen Staat und Bürgern, die als "kooperative Demokratie" bezeichnet werden. Das klingt zunächst hervorragend - die soziale Selektivität ist dabei jedoch noch größer als bei der Direktdemokratie, die Beteiligung selbst oft nur marginal. Hinzu kommen andere Probleme, die sich am Beispiel der immer beliebter werdenden Bürgerhaushalte festmachen lassen. Der Begriff impliziert eine direkte Beteiligung der Bürger an Haushaltsentscheidungen. In Wirklichkeit wird die Bevölkerung jedoch nur konsultiert - die kommunale Verwaltung behält zumeist die Federführung. Die Exekutive wird also gegenüber dem Kommunalparlament gestärkt: Zugespitzt könnte man in vielen Fällen sogar von einer reinen Beteiligungsshow sprechen.
Fluch der guten Absicht
Oft werden solche Neuerungen in bester Absicht eingeführt. Doch es ist fatal, dabei jene Strukturprinzipien zu unterlaufen, welche unser politisches Gemeinwesen ausmachen, weil sie Orientierung geben und ein individuelles Urteil über breit diskutierte Alternativen ermöglichen. Statt eine neue Unübersichtlichkeit und damit neue soziale Spaltungen zu schaffen, gälte es, die Transparenz von Verfahren zu stärken, Wahlen nicht weiter zu entwerten und den Parlamentarismus zu beleben. Hier sind zunächst einmal die Parteien aufgefordert, die vielen Nichtwähler nicht vorschnell abzuschreiben. Das sollte im Eigeninteresse der Parteien liegen - die Branche der "professionellen" Politikberater empfiehlt jedoch eher die hübsche Verpackung und Anpreisung vergleichsweise inhaltsgleicher Produkte.
Nicht am Parlament vorbei
Die direkte Demokratie kann durchaus ein Mittel sein, die politische Landschaft zu beleben. Sie sollte im Bund jedoch nur in Form des aufschiebenden Vetos eingesetzt werden. Bei Erfüllung eines angemessen hohen Quorums wäre es der Bevölkerung dann gestattet, ein Gesetz zur Neuverhandlung ans Parlament zurückzuschicken. Allein die Möglichkeit einer solchen Vetoinitiative dürfte dazu beitragen, Elitenkartelle frühzeitig aufzubrechen und politische Fragen durch gesellschaftlichen Druck dem öffentlichen Parteienstreit zuzuführen.
Was Elemente der kooperativen Demokratie anbelangt, so können diese vor allem auf der kommunalen Ebene einen positiven Beitrag zur Demokratiereform leisten. Wichtig sind jedoch vier Punkte, die für Beiräte oder Bürgerausschüsse aller Art gelten: Erstens muss klar sein, dass es sich um konsultative Gremien handelt, die die Verantwortlichkeit des Parlaments nicht untergraben. Zweitens sollte per Losverfahren einer sozialen Schieflage entgegengewirkt werden. Drittens sollten die Gremien fest institutionalisiert sein - also nicht nachträglich als Reaktion auf medial vermittelte Ereignisse eingesetzt werden. Viertens sind alle Formen der kooperativen Demokratie grundsätzlich an das Parlament anzuschließen, nicht an die Exekutive.
Die wichtigste Reform besteht schließlich darin, radikal das Öffentlichkeitsprinzip durchzusetzen. Politische Repräsentation verlangt, dass repräsentatives Handeln jederzeit zurechenbar ist. Statt neue Institutionen und Verfahren einzuführen, ist es deshalb viel lohnender, die vorhandenen Gremien öffentlich zu machen - etwa den Vermittlungsausschuss und dessen Arbeitsgruppen, alle Parlamentsausschüsse oder den Koalitionsausschuss. Informelle Absprachen sind nicht gänzlich zu verhindern. Die Publizitätspflicht erschwert sie aber, setzt Repräsentanten unter einen gesteigerten Rechtfertigungsdruck und lässt einen offeneren Umgang mit Konflikten erwarten.
Wer hingegen die politische Apathie und Intransparenz fördern möchte, sollte den Institutionendschungel bewässern.
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