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Debatte KaukasuskonfliktKrieg und Frieden

Kommentar von José Luís Fiori

Russlands hat bis heute den Phantomschmerz der verlorenen Sowjetrepubliken nicht verdaut und rüstet unbeirrt auf. Insofern weist der Einmarsch in Georgien in die Zukunft.

Der Krieg entsteht nicht urplötzlich; seine Verbreitung ist nicht das Werk eines Augenblicks" Carl von Clausewitz, Vom Kriege (1832)

Bild: gerhard dilger

JOSÉ LUÍS FIORI, Politikprofessor an der Bundesuniversität Rio de Janeiro, ist Brasiliens führender Imperialismus-Forscher. Zuletzt erschien von ihm „O Poder Global“ (Die globale Macht, 2007).

Wahrscheinlich wird man nie erfahren, warum Georgien Südossetien genau an jenem Tag angegriffen hat, an dem in China die Olympischen Spiele eröffnet wurden. Kein Zweifel besteht allerdings daran, dass die an dieser Geschichte beteiligten Regierungen sehr von der Schnelligkeit, dem Ausmaß und der Wirksamkeit der russischen Antwort überrascht wurden. In wenigen Stunden wurde das Territorium Georgiens ganz koordiniert umzingelt, aufgeteilt und zu Lande, zu Wasser und aus der Luft angegriffen - eine nachdrückliche Demonstration politischer Entscheidungskraft, logistischer Fähigkeit und militärischer Macht.

Offensichtlich war dieses Vorgehen nicht improvisiert - und doch hatten es die NATO-Geheimdienste nicht erkannt. Alles geschah so schnell und geschickt, dass die westlichen Regierungen perplex, gespalten und machtlos dastanden. Sie waren gezwungen, die russische Offensive als vollendete Tatsache wahrzunehmen. Anfang Juli hatten Flugzeuge der russischen Luftwaffe Südossetien überflogen - unmittelbar vor dem Besuch der US-Außenministerin Condoleezza Rice in Georgien und dem Beginn von "Immediate Response. An diesen dreiwöchigen Militärübungen im Luftwaffenstützpunkt von Vaziani, der bis 2001 der russischen Luftwaffe gehört hatte, nahmen Truppen der USA, Georgiens, der Ukraine, Armeniens und Aserbaidschans teil.

Schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg formulierte Hans Morgenthau, der Vater der US-amerikanischen Theorie internationaler Politik, eine sehr einfache und klassische These über den Ursprung der meisten Kriege in der Geschichte der Menschheit. Der dauerhafte Zustand der Unterwerfung von im Krieg unterlegenen Ländern könne ganz leicht dazu führen, dass diese die Niederlage überwinden wollen - und zwar, indem sie von den Siegern geschaffen internationalen Status Quo zertrümmern und ihren alten Platz in der globalen Hierarchie der Macht wieder einnehmen, schrieb Morgenthau 1948 in "Politics Among Nations". Die imperialistische Politik der Siegermächte provoziere also eine gleiche und zugleich entgegengesetzte imperialistische Politik seitens der Besiegten. Wenn der Unterlegene nicht für immer ruiniert sei, werde er versuchen, die verlorenen Gebiete zurückzugewinnen, und wenn möglich, noch mehr, als er im letzten Krieg verloren hatte.

Nach dem Ende des Kalten Krieges 1991 gab es kein Friedensabkommen, in dem die Verluste der Sowjetunion festgesetzt oder klar die Regeln der von den Siegern durchgesetzten Weltordnung definiert worden wären, so wie es nach dem ersten oder zweiten Weltkrieg der Fall war. Die Sowjetunion wurde ja auch nicht angegriffen, ihr Heer nicht besiegt und ihre Herrscher nicht bestraft, doch während der gesamten 90er Jahre unterstützen die USA und die EU die Autonomie der Länder im früheren sowjetischen Einflussbereich und arbeiteten aktiv daran, die russischen Gebiete auseinanderzunehmen - auf Lettland, Estland und Litauen folgten die Ukraine, Weißrussland, der Balkan, der Kaukasus und die Länder Zentralasiens.

Zugleich führten die USA die Expansion der NATO gen Osten an, auch wenn dies einigen europäischen Ländern nicht passte. In jüngster Zeit unterstützten die USA und die EU die Unabhängigkeit Kosovos und beschleunigten die Installierung ihres Anti-Raketen-Schildes in Zentraleuropa. Die Streitkräfte der Ukraine, Georgiens und der Länder Zentralasiens rüsten sie auf und trainieren sie. Dabei ignorieren sie, dass die meisten dieser Länder in den letzten drei Jahrhunderten zum russischen Territorium gehörten. 1890 war das im 18. Jahrhundert von Peter dem Großen und Katharina II. errichtete russische Reich 22,4 Millionen Quadratkilometer groß und hatte 130 Millionen Einwohner. Es war das zweitgrößte zusammenhängende Imperium in der Geschichte der Menschheit und eine der fünf europäischen Führungsmächte. Während der sowjetischen Phase im 20. Jahrhundert behielt das russische Territorium dieselbe Größe. Die Bevölkerung wuchs auf 300 Millionen an, und Russland verwandelte sich in die zweitgrößte Militär- und Wirtschaftsmacht der Welt. Heute hingegen ist Russland 17,1 Millionen Quadratkilometer groß und hat gerade 152 Millionen Einwohner.

Die meisten internationalen Beobachter, die Zuknuftsszenarien entwerfen, vergessen in der Regel, dass die großen Sieger des Jahres 1991 nicht nur die USA waren, sondern auch Deutschland und China. Es war eine historische Wende, bei der es nur einen großen Verlierer gab: die Sowjetunion. Ihre Zerstörung brachte ein verstümmeltes Russland voller Ressentiments auf die internationale Bühne zurück. Deutschland und China werden noch viele Jahre brauchen, um die neuen Gebiete und Einflussbereiche zu "verdauen", die sie in Zentraleuropa und in Südostasien erobert haben. Das Verschwinden der Sowjetunion hat Russland in die Lage einer geschlagenen Macht versetzt, die ein Viertel ihres Territoriums und die Hälfte ihrer Bevölkerung verloren hat, jedoch immer noch über ihre Atomwaffen und ihr militärisches und wirtschaftliches Potenzial verfügt - zusammen mit einer immer expliziteren Entscheidung, nach Morgenthau die Niederlage zu überwinden, den neuen, von den Siegermächten 1991 geschaffenen internationalen Status Quo zu zertrümmern und ihren Platz in der internationalen Machthierarchie zurückzugewinnen.

Russland erlitt viele Invasionen und Niederlagen, doch immer wieder gelang es ihm, sich zu erheben und schnell seine Stellung innerhalb der Weltmächte zurückzuerlangen. So war es nach der schwedischen Invasion 1709, der französischen Invasion 1812 und dem deutschen Einmarsch 1941. Nach der sowjetischen Niederlage und der "Dekonstruktion der russischen Territoriums 1998 schien eine Wiederholung unmöglich. Zehn Jahre später steht Russland jedoch wieder aufrecht da, erschreckt Europa und erfüllt die Welt mit Sorge.

Nach durchschnittlichen Wachstumsraten von 7 Prozent hat seine Wirtschaft bereits wieder das Niveau vor der großen Krise der 90er Jahre erreicht. In zehn Jahren versechsfachte sich das Bruttoinlandsprodukt. Heute hat Russland weltweit die drittgrößten Devisenreserven, die Durchschnittslöhne erhöhten sich von 80 Dollar im Jahr 2000 auf 640 Dollar (2008). Wenn Hans Morgenthau Recht hat, weisen all diese Tatsachen in dieselbe Richtung, und es ist nicht schwer, vorauszusehen, was künftig passieren wird. Russland war der große Verlierer der 90er Jahre, und es wird die neuen Weltordung so lange in Frage stellen, bis es sein altes, von Peter dem Großen und Katharina II. erobertes Territorium wieder zurückbekommt. Deswegen ist der derzeitige Krieg in Georgien nicht ein alter Krieg, sondern ganz im Gegenteil nimmt er die Zukunft vorweg

Übersetzung aus dem Portugiesischen: Gerhard Dilger

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1 Kommentar

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  • FK
    fred kasulke

    irgendwie fehlt in dem artikel eine ganze epoche. die abschaffung der feudalherrschaft. ein ansatz von gerechter verteilung der gesellschaftlichen leistungen. der heutige trend in richtung von besserwissenden, allmächtigen politbarden ähnlich dem unfähigen adel des 19. jahrhunderts bringt die ideen von freiheit und gerechtigkeit an der basis wieder auf den tisch. verlierer des (wiedermal notwendigen) trend sind der politadel der spd und ähnliche basisferne extremisten in nadelstreifen. die frage ist nur, ob dieser konflikt unblutig und demokratisch gelöst wird oder es wieder zu militanten auseinandersetzungen zwischen oben und unten kommt. es gilt aber immer noch eine massnahme der globalisierung: PROLETARIER ALLER LÄNDER VEREINIGT EUCH.