Debatte Islam-Unterricht: Aleviten machen Schule

Drei Bundesländer haben jetzt einen eigenen Religionsunterricht für Aleviten eingeführt. Andere islamische Verbände können daraus lernen, wie man mit dem Staat einig wird.

Seit diesem Schuljahr, das gerade eben begonnen hat, gibt es in Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen ein neues Schulfach. "Alevitischer Religionsunterricht" heißt es dort an zunächst 15 Schulen auf der Stundentafel. Das neue Fach ist kein halbherziger Modellversuch, wie es ihn in einigen Bundesländern bislang schon gab, sondern ein ordentlicher Religionsunterricht, wie ihn das Grundgesetz definiert - das heißt, er ist in allen Belangen dem katholischen oder evangelischen Religionsunterricht gleichgestellt. Die Alevitische Gemeinde Deutschlands (AABF) stellt die Inhalte des Unterrichts bereit, wählt Lehrkräfte aus, die sich im Staatsdienst befinden, und zeigt sich gemeinsam mit den Bezirksregierungen (NRW) für die Aus- und Fortbildung der Lehrer verantwortlich.

Einen "historischen Moment" nennt der Vorsitzende der Alevitischen Gemeinde Deutschland, Turgut Öker, die Einführung des neuen Schulfachs. Mit Recht, denn einen alevitischen Religionsunterricht gibt es bislang weder in der Türkei noch in einem anderen Land. Mit der Zulassung eines eigenen Religionsunterrichtes wird die Alevitische Gemeinde in Deutschland als eigenständige Religionsgemeinschaft anerkannt. Für viele der geschätzten 400.000 bis 700.000 Aleviten in Deutschland ist dies auch eine Genugtuung für all die Verfolgungen und Demütigungen, die ihre religiöse Minderheit im Laufe der Geschichte im Osmanischen Reich wie der modernen Türkei erleiden mussten. Von der sunnitischen Mehrheit dort wurden sie lange als "Ketzer" betrachtet, weil sie viele islamische Dogmen ablehnen, nicht in Moscheen beten und es mit der Geschlechtertrennung nicht so genau nehmen. Der Brandanschlag eines aufgebrachten Mobs auf ein Hotel in der anatolischen Stadt Sivas, in dem alevitische Künstler und Intellektuelle wegen einer Konferenz logierten, war für viele Aleviten ein Wendepunkt. 37 Menschen kamen damals ums Leben, seitdem hat der alevitische Kampf um Anerkennung an Selbstbewusstsein gewonnen.

Die Einführung des alevitischen Religionsunterrichts zeigt auch, dass es gar nicht so schwer ist, eine Religionsgemeinschaft, die hier noch nicht allzu lange beheimatet ist, mit Erfolg institutionell zu integrieren. Der Begriff der Religionsgemeinschaft, wie ihn die deutsche Verfassung definiert, verlangt den nichtchristlichen Religionsgemeinschaften zwar einiges ab. Um vom Staat als Ansprechpartner für einen Religionsunterricht anerkannt zu werden, muss eine Religionsgemeinschaft nach Auffassung der meisten Juristen mindesten vier Voraussetzungen erfüllen: Sie muss eine klare Mitgliederstruktur aufweisen, auf Dauer angelegt sein und ein gemeinsames Bekenntnis teilen, dessen Pflege sie sich umfassend widmet. Darüber hinaus verlangt der Staat natürlich die Verfassungstreue.

Die Aleviten haben diese Kriterien in einem hohen Maße berücksichtigt, als sie sich in Deutschland neu formierten. Die Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF), die im Jahr 2001 unter anderem in Nordrhein-Westfalen einen eigenen Religionsunterricht beantragte, hat 20.000 eingeschriebene Mitglieder und eine klare Struktur. Sie verfügt über einen niedergelegten Glaubenskonsens, dessen Pflege sie sich widmet. Um die Sache perfekt zu machen, gab man sich im September 2002 eine neue Satzung, in der man sich ausdrücklich als eine "Glaubensgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes" definierte.

Die Kultusministerien haben all dies mit großem Wohlwollen zur Kenntnis genommen. Unter der Federführung von Nordrhein-Westfalen gab man zwei Gutachten in Auftrag, die abschließend klären sollten, ob es sich bei der Alevitischen Gemeinde tatsächlich um eine Religionsgemeinschaft im Sinne unserer Verfassung handele. Sowohl die Marburger Religionswissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann wie der Kölner Jurist Stefan Muckel kamen zu dem Schluss: Ja.

Man muss der Alevitischen Gemeinde ein hohes Maß an Flexibilität bescheinigen. Allein schon, dass sie ihre Gemeinde- und Verbandsstrukturen formal an die Vorgaben, die sich letztlich an den deutschen Staatskirchen orientieren, angepasst haben, ist für sich genommen bereits ein Bravourstück. Dieser Erfolg war nur möglich, weil die Politik über kleinere Hindernisse hinwegsah und den Prozess mit großer Sympathie betrachtete. Besonders deutlich wird dies beim Stichwort Repräsentativität. Den sunnitischen Verbänden halten staatliche Stellen seit Jahren vor, das sie bestenfalls vielleicht 20 Prozent der deutschen Muslime vertreten und deshalb nicht das Recht hätten, für alle Muslime zu sprechen. Das kann man so sehen; Gleiches ist aber auch bei den Aleviten der Fall. Alle Vereine, die der alevitischen Gemeinde angeschlossen sind, verfügen zusammen über rund 20.000 Mitglieder. Rechnet man die Familienmitglieder großzügig dazu, kommt man auf eine Zahl von etwa 100.000 Aleviten - bei geschätzten 400.000 bis 600.000 Aleviten in Deutschland bleibt dies eine Minderheit. Doch für die Anerkennung als Religionsgemeinschaft spielte dieser Sachverhalt offenbar keine Rolle.

Bleibt zu hoffen, dass dieses Beispiel Schule macht, wenn es um den sunnitisch-islamischen Religionsunterricht geht. Seit geraumer Zeit herrscht hier eine Blockade zwischen muslimischen Verbänden und dem Staat, will heißen: den Bundesländern. Den muslimischen Verbänden fehlt der Mut und der Wille zu mehr Flexibilität. Sie sollten sich einen Ruck geben und den gleichen Pragmatismus walten lassen, der zum alevitischen Religionsunterricht geführt hat, also in den Bundesländern die notwendigen Voraussetzungen schaffen und sich dem deutschen Recht entsprechend organisieren.

Der bisherige "Koordinationsrat der Muslime", ein Zweckbündnis aus verschiedenen Islam-Verbänden, reicht dafür nicht aus. Vielmehr braucht es Landesverbände und lokale Moscheegemeinden mit eindeutiger Mitgliedschaft - eigentümliche Zählweisen (man nehme die Besucher des Freitagsgebets in der Moschee mal fünf oder so ähnlich) helfen da nicht weiter. Außerdem müssen alle Organisationen endlich ein klares, eindeutiges Bekenntnis zur Verfassung abgeben. Dazu gehört, dass Moscheegemeinden garantieren müssen, dass in ihrem Umfeld keine antisemitischen oder verfassungsfeindlichen Schriften oder Filme vertrieben werden.

Doch auch der Staat sollte sich flexibel zeigen und nicht auf absolute Repräsentativität pochen. Der alevitische Religionsunterricht zeigt, wie das geht: wer daran teilnehmen will, meldet sich an. Wem der Unterricht nicht passt, lässt es einfach sein. Das ist übrigens wunderbar mit islamischen Grundsätzen zu vereinen: "la ikraha fi-d-din"- im Glauben gibt es keinen Zwang.

Und jene ungebundenen Muslime, die den überwiegend konservativen muslimischen Verbänden misstrauen und deren Religionsunterricht meiden dürften? Ihnen bleibt es ja unbenommen, eine eigene Religionsgemeinschaft zu gründen.

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