Debatte Iran: Fehlbarer Gottesstaat
Islamische Republik? Ein Widerspruch in sich. Die Proteste gegen das Wahlergebnis zeigen die Unvereinbarkeit von Gottesstaat und Volkes Wille.
A uch wenn die Berichterstattung aus und über Iran nachgelassen hat, in dem Land herrscht nur relative Ruhe. Doch nach dem Sturm in den letzten Wochen erlaubt die derzeitige Situation eine Atempause von den dramatischen Tagesmeldungen und lässt es zu, einen Blick auf die Hintergründe der Protestbewegung zu werfen.
Zwar richteten sich die Proteste vordergründig gegen die eklatante Fälschung der Präsidentschaftswahl vom 12. Juni. Doch die Dreistigkeit, mit der die Machthaber die Stimmen von Millionen raubten, war nur ein Anlass, eine willkommene Gelegenheit für einen wuchtigen Ausbruch der seit Jahren schwelenden Unzufriedenheit, Unzufriedenheit über die miserable Wirtschaftslage, über die wachsende Repression, über die engen Schranken, in die das Regime vor allem die Jugend zu zwingen versucht, und nicht zuletzt über die rechtlichen und gesellschaftlichen Benachteiligungen, die die iranischen Frauen erdulden müssen.
Allgemein betrachtet, stehen sich im Iran seit Jahrzehnten zwei Gesellschaften gegenüber: eine, die ein modernes Leben mit all seinen Schattierungen anstrebt, und eine andere, die mit rückwärtsgerichtetem Blick eine Utopie zu verwirklichen versucht, die sich nicht an der Zukunft, sondern der Vergangenheit orientiert.
Als vor dreißig Jahren die schiitische Geistlichkeit mit Ajatollah Chomeini an der Spitze an die Macht kam, glaubten die Gottesmänner, dass endlich die Zeit gereift sei, um ihre Utopie von einem islamischen Staat zu verwirklichen. Doch als sie mit der Realität der iranischen Gesellschaft konfrontiert wurden, stellten sie fest, dass ihrem Ziel eine säkular orientierte, zivile Gesellschaft entgegenstand, die auf eine lange Tradition zurückblickte.
Es war diese Gesellschaft, die bereits Anfang des vergangenen Jahrhunderts im Iran die konstitutionelle Revolution durchführte, in den 1950er-Jahren die Nationalisierung der Ölindustrie erfolgreich erkämpfte und 1979 durch einen Volksaufstand die Monarchie zum Sturz brachte. Chomeini, klug genug, ließ nicht sofort die Katze aus dem Sack und machte der Zivilgesellschaft ein Zugeständnis, das weitreichende Folgen haben sollte: Er nahm das Wort Republik in die Bezeichnung des neuen Staates auf.
wurde 1936 in Teheran geboren. Heute lebt der Autor und Journalist in Berlin. Zuletzt publizierte er "Iran. Die drohende Katastrophe", Kiepenheuer & Witsch 2006, und "Der unerklärte Weltkrieg", Booklett 2007.
Doch die Islamische Republik ist ein Widerspruch in sich. Wie sollte ein Staat, der sich nach dem Willen Gottes richtet, ein Gottesstaat, mit einer Republik, die sich dem Willen des Volkes unterordnet, in Einklang gebracht werden?
Dieser unversöhnliche Widerspruch, der auch in der Verfassung sich niederschlug, nagte seit Anbeginn an der Substanz des neuen Staates. Alle späteren Versuche, ihn durch massive Islamisierung des gesamten privaten und öffentlichen Lebens zu überwinden, schlugen fehl. Demgegenüber konnte sich die iranische Zivilgesellschaft trotz massiver Repressionen weiterentwickeln und verbreiten.
Staatliche Fehlkalkulationen
Wahlen gehören zum republikanischen Bestandteil des Systems, und gerade davon machte die Zivilgesellschaft am meisten Gebrauch, sei es durch Verweigerung oder durch aktive Teilnahme. Je mehr die Machthaber ihre Basis im Volk verloren, desto mehr wurden Wahlen zum Problem. Sie mussten manipuliert werden, um das gewünschte Ergebnis sowohl im Bezug auf den Sieger wie auch auf die Wahlbeteiligung zu erreichen.
Bei den Wahlen vom 12. Juni befürchtete die Staatsführung eine peinlich niedrige Wahlbeteiligung, was die Position Irans gegenüber ausländischen Mächten enorm geschwächt hätte. Man wollte jedoch gerade jetzt, wo Iran schwierige Verhandlungen bevorstehen, das Gegenteil demonstrieren, wollte zeigen, dass das Volk geschlossen hinter dem Regime steht. Also wurden im Wahlkampf die Zügel erstaunlich weit gelockert. Und genau darin erblickte die Zivilgesellschaft die Chance, sich zu Wort zu melden. Millionen Menschen engagierten sich im Wahlkampf. Dass ihr Favorit ausgerechnet Mir Hossein Mussawi wurde, der gerade aus einer zwanzigjährigen Abstinenz aufgetaucht war, und Ältere nichts Gutes von seiner neunjährigen Amtszeit als Ministerpräsident in Erinnerung hatten, schien sekundär. Sie trieben den Kandidaten nach vorn, und er ließ sich treiben. In den letzten Tagen vor der Wahl schien der Sieg Mussawis sicher. Der Schuss war nach hinten losgegangen. Die einzige Möglichkeit, dem Treiben Einhalt zu gebieten, war die putschartige Wahlfälschung.
Wie im Wahlkampf ließen sich die Machthaber auch nach dem Betrug von einer Fehlkalkulation leiten. Sie hatten nie damit gerechnet, dass Millionen sich den Protesten anschließen würden. Innerhalb weniger Tage verwandelte sich die Islamische Republik in eine Militärdiktatur. Der massive Einsatz von Gewalt, das brutale Vorgehen gegen Demonstranten, die ihre Stimme zurückverlangten, entzweite nicht nur das Volk, sondern erzeugte auch einen tiefen Riss durch den gesamten Staatsapparat und zog auch die Staatsführung in Mitleidenschaft. Revolutionsführer Ali Chamenei und Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad standen auf einmal Männern feindlich gegenüber, die jahrzehntelang zu den Lenkern des Staates gehörten. Damit nicht genug. Auch die religiösen Instanzen, die Großajatollahs, gingen auf Distanz, manche stellten sich sogar auf die Seite der Protestierenden.
Aber wie kann ein islamisches Regime, das auf Millionen Gläubige schießen und knüppeln lässt, das die Unterstützung religiöser Instanzen entbehrt und sogar von gestandenen Männern dieses Staates angefeindet wird, sich im In- und Ausland behaupten? Es kann zwar nicht geleugnet werden, dass der Revolutionsführer und sein Präsident noch eine Basis in der Provinz und bei unaufgeklärteren Schichten in den Städten haben. Aber auf der anderen Seite stehen nahezu die gesamte Intelligenz, die Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler, Technokraten, die überwiegende Mehrheit der Jugend, der Frauen und sogar namhafte Politiker aus den eigenen Reihen. Wie will sich eine solche Führung legitimieren, wie will sie künftig im Ausland die Interessen des Landes durchsetzen? Das Regime ist enorm geschwächt, die Zivilgesellschaft endlich am Zug.
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